Serie: Maler des russischen Realismus in den Kunstsammlungen Chemnitz, Teil 3/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Höhepunkt ist dann der Schluß. Der große Saal mit den Bildern von Ilja Repin und wenig anderen. Das ist nicht nur große europäische Malerei, das ist auch eine kulturgeschichtliche Lektion. Sieht man AUF DER DATSCHA DER AKADEMIE von 1898 nimmt man einmal die privilegierte Position der Malerausbildung unter den Sonnenschirmen in freier Natur war, sieht gleichzeitig aber auch die impressionistische Manier, in der Repin - seit 1894 Professor an der Petersburger Akademie der Künste und ein innovativer Lehrer – die Szene malte.
Tatsächlich erzählt bei ihm jedes Bild seine Geschichte der Zeit. UNERWARTET von 1884-1888, das 1884/85 in der 12. Wanderausstellung gezeigt wurde, ist ein komplexes Beispiel, hinter dem sich die Geschichte Rußlands in einer bürgerlichen Wohnstube mit dem Zaren und zwei Freiheitshelden verbirgt. Ein Exilant tritt ein und die Kinder und Frauen schauen gebannt den Eintretenden an. Ein Schock.
Wunderschön einfach das Kinderbild seines Sohnes BILDNIS JURI REPIN ALS KIND von 1882. Ein kleiner Knabe sitzt auf einem aufgeworfenen Teppich, genau so ein Perser, den früher jeder gute Bürger im Wohnzimmer hatte, in diesen warmen rostroten Tönen mit hellen Bordüren. Adrett angezogen in einem blauen Samtjackett mit goldenen Knöpfen, wie eine Kinderuniform, die ebenfalls blauen Samthosen in wattierten knöchelhohen Stiefel – auf dem Teppich! -, schaut der Junge selbstbewußt und gleichermaßen verträumt uns direkt an. Er ist hier zu Hause in diesen Teppichaufwürfen und schirmt sich durch seine Sitzhaltung und die geschlossenen Hände gegen uns alle ab.
DIE WOLGATREIDLER von 1870-1873 und der TREIDLER von 1870 sowie eine Studie zu DIE WOLGATREIDLER von 1870 berühren sicher die am meisten, die wissen, daß es so auch an unseren Flüssen zuging. Am Main sind die Treidlerpfade immer wieder einmal noch zu sehen und die heutige Bevölkerung weiß meist nicht mehr, wofür die gut waren. Das zeigen diese Bilder, wie einer oder eine ganze Gruppe von Menschen mit breiten Bändern um die Brust gemeinsam die Schiffe auf den Flüssen zogen. Sicher waren die hiesigen Treidler nicht derartig verlumpte armselige Gestalten, wenngleich auch die russischen ja die Kraft zum Ziehen noch hatten. Gerade dies Gemälde in der Größe von 131,5 x 281 zeigt, daß die Peredwischniki in ihrer Volksverbundenheit nicht nur Volksszenen malten, sondern dies auch kritisch mit dem Blick der Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse taten. Uns ist kein Bild von einem angesehen deutschen Maler bekannt, das so etwas zeigt.
Völlig anders, aber wiederum in Form und Inhalt geschlossen, zeigt uns Repin BILDNIS PAWEL TRETJAKOV von 1901, inmitten seiner Sammlung, das auf der Wanderausstellung 1902/03 gezeigt wurde. Tretjakow war der reiche Textilkaufmann, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts gesammelt hatte und insbesondere die Peredwischniki unterstützte. Allein von Ilja Repin ließ er sich fünfzig Bilder malen und dies Bildnis, als Gedenken an seinen Tod, hängt sonst inmitten der Tretjakow-Galerie, die mit dem Bestand von 140 000 Werken zusammen mit der Eremitage in Sankt Petersburg das größte Museum Rußlands ist. Daß sich diese Malergruppe durchsetzte und so lange hielt – aufgelöst 1922, aber nur bis 1910 aktiv – hat eben auch mit solchen Mäzenen zu tun, die nicht nur für sich Kunst sammeln, sondern diese erst möglich machen. Eine starke und nachdenklich machende Ausstellung!
bis 28. Mai 2012
Katalog:
Die Peredwischniki. Maler des russischen Realismus, hrsg. Von Ingrid Mössinger und Beate Ritter, Kunstsammlungen Chemnitz 2012. Schlägt man den Katalog auf, ist man schon mittendrinnen in der russischen Landschaft, die großformatig die ersten Blätter einnimmt. Die Weite, die Birken, das Vieh, auch der Wald im Schnee sind eine schöne Einleitung. David Jackson beschreibt in AUFRUHR UND TRADITION die gemeinsamen Momente der Kunst der Gruppe, das eindrucksvolle Gruppenfoto hängt auch in der Ausstellung. In höchst interessanten Beiträgen geht es um den Kontakt mit Europa – ein Teil der Maler war in Europa, vor allem in Frankreich, andere blieben im Russischen. Auf den bekanntesten der Maler, Ilja Repin wird gesondert eingegangen.
Das Eigentliche ist wie immer der Katalog, d.h. Die 99 Abbildungen der Ausstellungen, denen hier so kundige Texte beigegeben wurden, die das Nachlesen nach der Ausstellung lohnen. Natürlich wäre es als Vorbereitung noch sinnvoller, aber wie immer, wollen wir dann alles ganz genau wissen, wenn durch das Geschaute das Interesse geweckt ist. Die Beiträge sind wichtig, weil sie uns mit vielen Traditionen russischen Lebens, auch mit dem Inventar von Wohnungen oder Verhaltensweisen bekannt machen. Zudem macht der Katalog auch noch einmal klar, daß die Malstile der einzelnen so unterschiedlich sind wie die Bildinhalte. Deshalb war es eine kluge Entscheidung, den Katalogteil der Bilder nicht gemäß der Ausstellung an Themen orientiert zu gliedern, sondern im ABC nach den einzelnen Malern. Beate Ritter hat als Beilage zusätzlich die Künstlerbiographien verfaßt..
So ist der Katalog für jeden Besucher eine Bereicherung. Durch die vielen Bilder und Erklärungen eignet sich dieser Katalog auch hervorragend für die, die nicht nach Chemnitz kommen können. Die Peredwischniki können sie auch hier sehen und ihre Geschichte erfahren.
Veranstaltungsprogramm
Das reichhaltige Programm von Vorträgen, Lesungen, filmen, Symposium und Konzert entnehmen Sie bitte der Webseite: www.kunstsammlungen-chemnitz.de