Serie: Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka und Neo Rauch in der Hamburger Kunsthalle, Teil 1/3
Claudia Schulmerich
Hamburg (Weltexpresso) – Sagen wir es gleich: sensationell diese Ausstellung um die MÜDEN HELDEN, die wirklich müde sind, nur macht einen die Ausstellung putzmunter, mit einem Wort: kein bißchen müde, je mehr man sich um diese müden Helden kümmert, sie anschaut, ihrer Müdigkeit auf den Grund geht.
Das klingt nach Paradox; ist aber keines, denn so ansprechend diese drei Künstler aus drei Generationen auch im Dreierpack in ihren Korrespondenzen gehängt sind - dazu später mehr -, die eigentliche Sensation ist der Russe und Sowjetaufbauheld Aleksandr Dejneka. Ihn hatten wir in den Siebziger Jahren im damaligen Leningrad und in Moskau erstmals als Sowjetkünstler wahrgenommen und dann anläßlich der von heute aus besonders verdienstvollen Ausstellung in der Frankfurter Schirn im Jahr 1992 DIE GROSSEN UTOPIEN. DIE RUSSISCHE AVANTGARDE 1915-1932 als Alexander Alexandrowitsch Deineka (1899-1969) wiedergesehen, wo er mit 14 Werken aus den Jahren 1924 bis 1931 vertreten war und als Maler und Graphiker reüssierte.
Hubertus Gaßner, heute Direktor der Hamburger Kunsthalle, ist Mitkurator der MÜDE-HELDEN-AUSSTELLUNG und hatte damals unter der Ägide von Christoph Vitali die Frankfurter Ausstellung mitkonzipiert und im Katalog zur Ausstellung die „KONSTRUKTIVISTEN. DIE MODERNE AUF DEM WEG IN DIE MODERNISIERUNG“ verantwortet. Das waren eben nicht nur die Folgen des Zusammenbruch des Sowjetkommunismus, sondern Folge einer kunsthistorischen Avantgarde aus der Bundesrepublik Deutschland, die schon vor 1988 den Kontakt nach Moskau aufgenommen hatte, was eine Fotografie dokumentiert: mittendrinnen hochaufgeschossen und als einziger mit Fliege: Hubertus Gaßner.
Sage keiner, daß das für das Jahr 2012, in dem die Ausstellung bis zum 13. Mai in Hamburg zu sehen ist, nicht relevant sei. Deshalb wollen wir zuerst einmal den Lebensweg des mittleren der drei Heroen, betrachten, besagten Aleksandr Dejneka. Noch gerade am Ende des 19. Jahrhundert in Kursk in Zentralrußland - mit einer furchtbaren Schlacht im 2. Weltkrieg – als Sohn eines Eisenbahnschlossers geboren, fing er nach dem Studium der Kunstschule in Charkow im Jahr 1918 an zu fotografieren und zu malen, 1918 also, dem Todesjahr Ferdinand Hodlers, Egon Schieles und Gustav Klimts, von denen man Egon Schiele im Kontext dieser Ausstellung wiederbegegnen wird.
Das ist das erste Jahr, wo es mit der zaristischen Zensurpolitik vorbei ist und die sozialistische noch keine neue Mauern errichtet hatte, sondern eine befreite Gesellschaft sich in ihren Künstlern als Avantgarde verstand – für das Volk nämlich und postrevolutionär in Form und Inhalt: das bedeutete viele Plakate, Wanderbühnen, öffentliche Kunst. So auch Aleksandr Dejneka. Er wird sich in den künstlerischen Grabenkämpfen um die ideologisch korrekte Beteiligung der Künste an der Revolution auf die Seite der Neuerer schlagen, denen, die 'moderne Themen' wie Großstadt, Sport, Technik und Industrialisierung für Bildmotive einer neuen gesellschaftlichen Realität für angemessen, ja notwendig halten. „Vergleichbar der 'Neuen Sachlichkeit' in der westeuropäischen Kunst“, heißt es im Katalog auf Seite 266.
Er ist ein anerkannter Künstler und wird 1927 vom Revolutionären Kriegsrat der UdSSR mit dem Gemälde DIE VERTEIDIGUNG VON PETROGRAD beauftragt. Als einziger Maler ist er Mitglied der letzten Vereinigung russischer Konstruktivisten für Druckgraphik, Typografie, Fotografie, Film, Produktgestaltung und Architektur, also den angewandten Künsten für eine neue Gesellschaft. Er illustriert Bücher, unterrichtet Zeichnen und arbeitet mit Majakowski zusammen, sowohl bei dessen avantgardistischer Zeitschrift wie auch den Bühnenbildern am Meyerhold-Theater. Dann ist es mit dem Ausprobieren des eigenständig revolutionären Weges vorbei. Auch für den Künstler Dejneka.
1932 kam also die Verordnung des Sozialistischen Realismus in der Sowjetunion und tatsächlich sieht man den Sportplakaten von Dejneka danach eine ähnliche Auffassung vom monumentalen menschlichen Körper an, wie er auch im nationalsozialistischen Deutschland in Kraft durch Freude Ausdruck fand. In der Ausstellung heißt dies Bild “Sportlerin“ und firmiert als Neue Körperlichkeit.
Er wird zukünftig andere Themen bedienen, wie Mutterschaft, Kinder, Freizeitvergnügen, Erholung, ländliche Idylle. Im zweiten Fünfjahresplan galt: „Der Mensch sollte fortan in der Kunst zu einem antikischen Idealtyp stilisiert werden.“ Seine Sportler malt er weiterhin, aber sie sind nicht mehr im Kollektiv stark, sondern überzeugen als Individuen.
Zuvor hat Aleksandr Dejneka 1929 drei „Skiläufer“ gemalt, die Prototypen sind für die sportlich-laszive Demi-Mond Welt, die in den Dreißiger Jahren die Tourismusplakate des neuen weißen Reichensports - in der Schweiz vor allem - dann ausstrahlen. Muskulös und elegant. Anfänger und Meister. Fortsetzung folgt.
bis zum 13. Mai 2012
Katalog: Müde Helden. Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka, Neo Rauch, hrsg. Hubertus Gaßner u.a., Hirmer Verlag 2012. Den Titel ziert Neo Rauchs kopfverbundenen Jüngling, dem auf dem Frontblatt ein sehr müder Held folgt, der auf dem Sessel wie ohnmächtig hingesunken der Puls gemessen wird, durchaus eine Bevorzugung von Neo Rauch, die sich im Katalog selbst wie in der Ausstellung auflöst zum Dreiklang. Dem Katalog vorgeschaltet sind Themen der Ausstellung wie HELDEN, NEUE KÖRPERLICHKEIT, ARBEIT und DER Neue Mensch, zu denen die Referenzbilder der drei Maler in Kleinausschnitten zugeordnet sind, so wie sie auch in den Räumen der Ausstellung im Miteinander hänge. Sagen wir es so, in der Kleinheit sind die Übereinstimmungen und Anverwandlungen noch viel auffälliger als an den Museumswänden, wo die großen Formate schon die Augen auf einem einzigen Bild festhalten. Es korrespondiert diese Auflistung exakt mit der Hängung im Museum.
Darüber hinaus sind es natürlich die ESSAYS, die kunsthistorisch den Weg vom Fin de Siècle zur Aufbruchstimmung der Lebensreformer um 1900 und ihrem Bild gewordenem Impetus nachverfolgen. In einer eigenen DOKUMENTE-Reihe werden die Theorien vom Neuen Menschen zusammengefaßt bis hin zu seinem Gegenteil: „Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft der Gegenwart“ von Alain Ehrenberg und „Müdigkeitsgesellschaft“ von Byung-Chul Han.
Die Tafeln der drei Maler sind in thematischer Unterordnung der vier Bereiche mit je einem längeren Vorwort ohne weitere Kommentierung ganzseitig abgedruckt. Sehr gute Bildqualität! Die drei Biographien am Schluß liest man – nach der Ausstellung und dem Katalogstudieren – anders, als man es im Vorhinein getan hätte.