Serie: Stilleben von Franz Snyders bis Giorgio Morandi im arp museum Bahnhof Rolandseck, Teil 3/4
Claudia Schulmerich
Bonn (Weltexpresso) – Dies ist die fünfte Ausstellung und der fünfte Katalog innerhalb der Ausstellungsfolge der Kunstkammer Rau. Die bisherigen Ausstellungen lassen sich also noch anhand der Kataloge nachvollziehen, was wir tun. Jedes Mal ist es eben auch der dokumentarische Wert, den 'alte' Kataloge mit sich bringen, denn Ausstellungen vergehen, Kataloge bleiben bestehen!
Über den ersten Katalog verfügen wir noch nicht. Aber allein der Titel
Band 1 Tiepolo und das Antlitz Italiens, hrsg. Von Oliver Kornhoff, DuMont Buchverlag 2009
spricht von der Ausprägung der Sammlung Rau. Demnächst mehr und demnächst auch mehr zum Sammler Rau und der facettenreichen Geschichte seiner Sammlung.
Band 2 Das Auge des Sammlers, hrsg. von Oliver Kornhoff, DuMont Buchverlag 2010 greift die naheliegende Frage auf, was den Industrieellensohn, alleinigen Erben und Arzt Gustav Rau veranlaßt hat, überhaupt Kunst zu sammeln und dann noch in einem solchen Umfang hochwertige Kunst über Jahrhunderte hinweg zu sammeln. Klaus Gallwitz, so entnehmen wir den Büchern hat die ersten Ausstellungen kuratiert und Kataloge zusammen mit Susanne Blöcker - die heute die Ausstellungen innerhalb der Sammlung Rau zweimal jährlich zusammenstellt und mit Katalogen begleitet - mit einem Katalogbeitrag ÜBER SAMMELN UND ZERSTREUEN sich als der dargestellt, der im privaten Bereich konstatieren muß: „Blicke ich mich in meinem Zuhause um – keine Sammlung, nichts als Angesammeltes.“ Das könnten wir für uns nicht besser sagen.
Der Kunsthistoriker und begnadete Museumsleiter Gallwitz kann aber fortfahren: „Gehe ich aber heute wieder ins Frankfurter Städel-Museum, wird man mich dort zur Rechenschaft ziehen können. Denn alle Ankäufe und Schenkungen, die zu meiner Amtszeit ins Haus kamen, haben letzten Endes die Zerstreuung nicht vermindert, sondern im Gegenteil vergrößert. Jeder namhafte Zuwachs alarmierte auch das Bewußtsein für Abwesendes und Versäumtes. Es ist immer Kompensation im Spiel, und diese ist der Feind der Einmaligkeit des Kunstwerks. „
Klaus Gallwitz, der das Frankfurter Städel zwanzig Jahre geleitet hatte, hat – das sieht man tatsächlich erst heute – durch Neuankäufe das erworben, was von heute aus für damals wichtig war. Denn in der Tat übersteht nicht alles Großaufgebauschte der Gegenwart schon mal die nächsten zwanzig Jahre, von Jahrhunderten ganz zu schweigen. Sammeln ist also eine Kunst, die dem Sammler die Pein bringt, daß mit jedem neuen Stück der Sammlung die Leerstellen um so deutlicher in Erscheinung treten.
Der Sammler Rau hat sich, was das angeht, in Schweigen gehüllt. Auch, was das meiste andere in seinem Leben angeht. Lassen wir also die Bilder für ihn sprechen und die sprechen eine deutliche Sprache, so wie sie für diese Ausstellung und dieses Katalog ausgewählt wurden. Vom „Kabinett des Kunstliebhabers“ wird da gesprochen und so heißt auch das erste Bild, das dann zutreffend Titelbild wurde. Jan Siberechts (1627 - 1703) Gemälde hatte Gustav Rau 1973 auf einer Auktion in London erworben. Es zeigt die Zufriedenheit, aber auch die Skepsis des Sammlerehepaares, das prunkvoll gekleidet inmitten seiner Sammlung selber wie ein Ausstellungsstück sitzt.
Hat sie, die Madame im grünen Samt mit Perlenkette, Ring und Armbändern eine Uhr in der auf dem nach Niederländerart gewebtem Teppichtischtuch niedergelegten Hand? Oder ist es Schmuck oder gar ein Vergrößerungsglas, damit sie die Details besser sehen könnte, die die drei antiken Klein-Plastiken auf dem Tisch nahelegen. Vor allem aber wird ihre Hand im oberhalb der Wand gehängten Spiegel zusammen mit den weißschwarzen Fliesen widergespiegelt. An das Tuch gelehnt ist ein sogenanntes SEESTÜCK, genauso in jeder gutbürgerlichen niederländischen Stube hängend wie die Porträts und Fischstilleben und Landschaften, die auf der Linken ein junger Mann dem Sammlerpaar gerade vorführt. Schluß. Dieses Bild verführt dazu, die Geschichte vom Sammeln weiterzuspinnen, denn jede Zeit hat ihre Sammler.
Insofern ist die Sammlung Rau dann schon wieder anachronistisch, weil Rau anders – als die meisten anderen – nicht gegenwärtige Künstler sammelte, sondern seine Schönheitsideale allein in der Vergangenheit fand. Das kann man ihm nachempfinden. Und man kommt ins Imaginieren, wie wenig der Sammler Rau diesem selbstzufriedenen Sammlerpaar inmitten seiner Schätze glich. Denn großenteils arbeitete er in Afrika als Armenarzt, derweil er persönlich seine Stücke auf Auktionen aufspürte, sie dann aber in der Schweiz in Banken deponiert hatte.
Auf jeden Fall eine schöne Idee, diesen Sammlungsstücken unter dem Oberthema „Sammler Rau“ einen gemeinsamen Ort in einer eigenen Ausstellung zu geben. Geht man die Bilder in Ruhe durch – der Vorteil von Katalogen! - dann fällt auf, wie sorgfältig die einzelnen, insgesamt 47 Bilder beschrieben sind und alle über einen Provenienznachweis verfügen sowieso ausführliche Literaturangaben. Das sind also nicht nur Schau-Kataloge, sondern ernsthafte zum Arbeiten auch.
Ja, den Courbet hätten wir auch erworben. Hätten wir das Geld. Bacchantin wird die nackte Schöne von 1844-47 genannt, die nur der Thematik nach an die in der Landschaft still schlafenden Göttinnen oder mythischen Gestalten erinnert. Denn hier prangt das nackte Fleisch das Licht reflektierend sehr irdisch und auch ganz und gar voyeuristisch. Mag ja sein, daß Courbet als Junger noch das Thema Bacchantin brauchte, um die Keckheit als trunkene Maid 'zu entschuldigen'. Der „Ursprung der Welt“ liegt hier aber zwischen den angezogen Beinen nur dezent angedeutet.
Wir haben uns festgelesen und sind jetzt schon total angetan von der Idee, die im Bahnhof Rolandseck befindlichen Teile der Sammlung Rau unter spezifischen Themen in einer Auswahl jeweils über mehrere Monate zu zeigen, die es vom Umfang her noch möglich macht, wirklich jedes Bild genau zu betrachten und im Katalog seine Geschichte nachzuvollziehen. Fortsetzung folgt.
Katalog: Kunstkammer Rau Band 5. Köstlich! Stilleben von Frans Snyders bis Giorgio Morandi, hrsg. Von Oliver Kornhoff, Kerber Verlag Bielefeld 2012. In sechs Essays wird dem Begriff vom stillen Leben, dem Stilleben auf Leinwand und Tafel Gestalt gegeben. Was sagt ein Totenschädel aus? Was ein totes Rebhuhn? Was die Pastete und die Lammkeule und vor allem, was, wenn eine Fliege, eine Made oder noch Schlimmeres dabei ist. Ganz und gar keine stille Welt, sondern äußerst lebendig, wenn man genau hinschaut. Es geht also beim Stilleben auch immer um Schein und Sein, was absichtlich in Gegensatz gebracht wird. Manchmal. Es geht aber auch um Illusionen, aber selten nach dem Leben. Denn das Leben ist vielfältiger und auch stärker chaotisch und durcheinander, als es dem Stilleben gut tut. Und wer so still vor sich hin steht, wie Morandis Flasche und Gläser, den hört und erhört auch Gustav Rau, obwohl das Bild geradezu jung ist, aus den Jahren 1945/55. Und es ist kein Gegensatz, daß das Stilleben als Sinnbild des Materielles in der Welt genauso die inneren Werte, die Gefühle, Gedanken und Absichten repräsentiert. Es kommt auf den jeweiligen Zusammenhang an, deshalb muß man besonders gut hinschauen und sich seine eigenen Gedanken machen. Still.
bis 14. Oktober 2012
ab 9. November schließt sich die nächste Kunstkammer Rau-Ausstellung an: LICHTGESTÖBER. Der Winter im Impressionismus.
Schon zuvor ab 30. September 2012 gibt es zum fünfjährigen Jubiläum des Museums eine Ausstellung über seinen Architekten: BUILDING AS ART. DIE ARCHTIEKTURKOMPOSITION RICHARD MEIERS.
www.arpmuseum.org