Seit der Höhlenmalerei ist in der Kunst nicht mehr viel passiert“ (Picasso)

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Der Berliner Gropius-Bau präsentiert in einer exzellenten Ausstellung Felszeichnungen und Höhlenmalereien aus der Vorzeit. Aber wie kommen denn diese tausende von Jahren alten Bilder eigentlich in eine Kunsthalle, wie wirken sie dort?

 

Wenn man „Die Höhle der vergessenen Träume“, den 3-D-Film von Werner Herzog, gesehen oder die Bildkünste in Lascaux bewundert hat - dann ist man zunächst enttäuscht. In der Ausstellung hängen ungerahmte, verknitterte Blätter an den Wänden, es fehlt die Magie, die Höhlen- oder Felsbilder in ihrer ursprünglichen rauen Umgebung haben. Gezeigt werden lange, aneinandergeklebte Papierbögen mit vielschichtigen Wimmelbildern von Menschen, großen Tieren und undefinierbaren Gebilden sowie etliche kleinere Blätter mit langgliederigen Wesen oder maskenartigen Gesichtern.

 

Bei genauem Hinsehen wird erkennbar, die ausgestellten Bilder sind Aquarelle, Zeichnungen und Ölmalereien neueren Datums. Sie entstanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als der deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873 - 1938) mit ausgebildeten Künstlern Bilder der Vorzeit systematisch in Afrika, Europa und Australien erkundete und abmalen ließ. Die Abbildungen sollten möglichst authentisch sein. Doch aufgrund der verblichenen und oft beschädigten Werke auf unebenen Felsen, entstanden mit modernen künstlerischen Mitteln eigene Gestaltungen, die Kopien selbst wurden zu neuen, nun zweidimensionalen Kunstwerken.

 

Es erstaunt, dass Künstler vor tausenden von Jahren keine unbeholfenen Abbildungen von Wunschtieren, bösen Geistern oder Kampfszenen schufen. Einige Arbeiten zeigen, dass sie durchaus die realistische Nachahmung beherrschten. Ganz klar sind jedoch bei den meisten Gestaltungen sowohl Ausdruck, erzählerische Elemente, dynamische Bewegung oder Abstraktion zu erkennen. Die Künstler der Vorzeit drückten innere Bilder, Visionen und Vorstellungen aus. Jedoch weiß man natürlich nicht, was sie seinerzeit bedeuteten:

Warum liegen zwei Männer mit einer Frau auf dem Boden? Weshalb werden Menschen traumartig in die Lüfte gewirbelt? Wohin geht eine Prozession seltsamer Wesen? Wieso ist ein mächtiger Wisent zu einem roten Kraftbündel geworden? Die Kuratoren der Ausstellung vermeiden jede Interpretation, so dass der Betrachter - wie in der modernen Kunst mit ihren offenen Werken - zu eigenen Assoziationen geradezu gezwungen wird. Die Einzelszenen auf den kleineren Blättern schulen den Blick des Betrachters. Am Ende kann er mit dem Rundgang neu beginnen und sich an die eigene Interpretation der zunächst verwirrenden Wimmelbilder am Eingang wagen.

 

Nach dem Besuch wird verständlich, warum Picasso einst so ruppig behauptete: „Seit der Höhlenmalerei ist in der Kunst nicht mehr viel passiert.“ Viele Künstler der Moderne, die nach 1900 nicht mehr akademisch malen wollten, „wagten sich auf das Meer des nie Geahnten“ (Adorno). Darum waren sie begeistert von diesen inspirierenden Werken, die Frobenius weltweit ausstellte, um seine Forschungen zu finanzieren. 1937 „adelte“ sogar das New Yorker Museum of Modern Art seine Sammlung durch die Ausstellung als echte Kunst. Nach dem 2. Weltkrieg geriet sie in Vergessenheit, die moderne Malerei hatte sich etabliert und neue Techniken ermöglichten exaktere Reproduktionen der Felsbilder. „Kunst der Vorzeit“ ist seitdem die erste große Schau dieser vergessenen aber wunderbaren Werke.

 

FOTO: © Frobenius-Institut Frankfurt am Main

 

INFO: „Kunst der Vorzeit“ im Martin-Gropius-Bau Berlin noch bis zum 16. Mai 2016. Geöffnet täglich außer dienstags von 10 - 19 Uhr. Katalog 25 Euro (Museumspreis).

www.gropiusbau.de