Zur Retrospektive Isa Genzkens im Berliner Gropius-Bau
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Jetzt im Frühling quillt der Gropius-Bau mit Ausstellungen geradezu über: Die Bandbreite reicht von der „Kunst der Vorzeit“ über die „Sprache der Schönheit“ der Maya-Kultur bis zu Fotografen und Aktionskünstlern der Moderne. Nun gesellt sich dazu noch die derzeit im Ausland bekannteste deutsche Künstlerin Isa Genzken (* 1948) mit einer großen Retrospektive.
Im riesigen Lichthof des Ausstellungshauses scheinen meterlange flache oder röhrenartige, kräftig bemalte Objekten aus Holz über dem Boden zu schweben. Die gut vier Jahrzehnte alten „Ellipsoiden“ und „Hyperbolos“ Genzkens haben nur minimale Auflagepunkte und bilden einen rätselhaften aber spannenden Kontrast zum neoklassizistischen Umfeld. Es mag sein, dass sich das Gebäude mit diesen völlig abstrakten Gebilden aufhübscht, denn der Untertitel dieser Schau fordert: „Mach Dich hübsch!“ An einem Ende des Hofes steht die hübsche Bronzeskulptur eines nackten Jünglings mit Kopfhörern, an den Seitenwänden hängen riesige Porträts von hübschen Ohren (1980) mit und ohne Schmuck.
Doch die bisher größte Berliner Einzelausstellung Genzkens ist ansonsten eher sperrig und herausfordernd - sie erschließt sich nicht ohne weiteres den Besuchern und erfordert ihre Mitarbeit. Einfach zu begreifen sind ihre „Schauspieler“ (ab 2013) und „Nofreteten“ (2014), denen man in der ersten Halle neben dem Lichthof und später in weiteren Sälen begegnet: Einzelne oder mehrere Schaufensterpuppen tragen abgelegte, oft sehr extravagante Kleidungsstücke der Künstlerin und häufig Masken, sie sind überdies mit Kitschobjekten und Glamourstoffen geschmückt. Im ersten Moment wirken sie fröhlich und aufgedreht, doch bei längerem Betrachten werden manche düster und morbide. Sie scheinen private Erfahrungen Genzkens zu transformieren, sollen wohl Brüche zwischen eigener Identität und öffentlichem Image verdeutlichen. Sie verweisen aber vielleicht ebenfalls darauf, dass wir alle, wie Schauspieler, im öffentlichen Raum Theater spielen.
Nofretete im Berliner Neuen Museum gilt als die schönste Frau der Stadt, ihre Gips-Replikate der Künstlerin spielen mit diesem Klischee der Schönheit. Sieben Nofretetes sind auf Sockeln platziert und wirken normiert, sie unterscheiden sich nur durch ihre verschiedenen Sonnenbrillen und Lippenstiftfarben. In einem anderen Ensemble sind vier von ihnen mit Perücken und buntem Tand hübsch aufgebrezelt, aber hinter ihrer scheinbaren Individualisierung lauert der Zwang zur Anpassung an gesellschaftliche Schönheitsideale.
Genzken hat sich in ihren vielen Arbeitsjahren immer wieder mutig verwandelt, niemals auf einen „Stil“ reduzieren lassen sowie neugierig alle künstlerischen Bereiche und Medien wie Malerei, Collage, Video oder Bildhauerei erkundet. Auch mit Architektur hat sie sich oft beschäftigt, „Fuck The Bauhaus“ (2000) heißt eine Werkgruppe von grob zusammengezimmerten hausartigen Modellen mit Blumen, Muscheln und technischen Gebilden. Damit verwarf sie spielerisch den schmucklosen Formalismus der Bauhauskonzepte. Eigentlich machen alle 150 ausgestellten Werke der Künstlerin deutlich, dass sie dem schönen Schein nicht traut: „Mach Dich hübsch!“ - aber riskiere den Blick hinter die Dinge, die immer aus ihren vorgegebenen Zusammenhängen herauslöst werden können.
„Ich wollte schon immer den Mut haben, total verrückte, unmögliche und auch falsche Dinge zu tun.“ (Isa Genzken 1994)
FOTO: Isa Genzken: „Nofreteten“, 2014 © Isa Genzken, VG Bild – Kunst, Bonn 2016
INFO:
„Isa Genzken - Mach Dich hübsch“, noch bis zum 26. Juni 2016 im Gropius-Bau Berlin. Geöffnet Mittwoch bis Montag von 10 - 19 Uhr, Dienstag geschlossen. Empfehlenswert ist die Audio-Führung.
Außerdem laufen noch die Ausstellungen „Die Kunst der Vorzeit“ bis 16. Mai, „Störungszonen“ von Günter Brus bis 6. Juni, Fotografien von Lee Miller bis 12. Juni sowie „Die Maya - Sprache der Schönheit“ bis 7. August.