Serie: Die NAZARENER in Rheinland-Pfalz, Teil 2/5
Claudia Schulmerich
Mainz (Weltexpresso) – DIE NAZARENER GEHÖREN ZU DEUTSCHLAND, wollten wir eigentlich die Überschrift lauten lassen, was angesichts der unterschiedlichen Politikerworte zwar provokant ist, aber in der Malerei der Nazarener gleich drei Grundgesetzformulierungen auf ihrer Seite hat: Die Präambel des Grundgesetzes läßt dieses im „Bewußtsein vor der Verantwortung vor Gott...“ , Artikel 4 spricht von der „Freiheit des Glaubens“ und in Artikel 5 ist die „Kunst... frei“. Die Nazarener, dieser Ausbund christlicher Kunst, gehören also zu Deutschland, obwohl Friedrich Overbeck ihren Vorläufer den LUKASBUND 1809 in Wien gründete und die Nazarener genannten Künstler ab 1810 sich in Rom, dem Hort der Christenheit, zu Hause fühlten.
Ja, diese Kunstrichtung hat Entscheidendes mit den Präraffaeliten aus Großbritannien gemeinsam, die stilistisch an die mittelalterliche Malerei vor Raffael anknüpften, also eine Malweise vor der Verwissenschaftlichung der Kunst in der Renaissance durch Zentralperspektive und heidnische Antike. Ja, sie hießen Nazarener, weil sie in Natur den Jesusscheitel bevorzugten und viele ihre Figuren in den Gemälde auch Jesuslatschen trugen, auf jedenfalls ihre als Bruderschaft bezeichnete Künstlergruppierung Apostelaffines hatte. Ja, die Nazarener haben viele Werke geschaffen, die in unseren Kindertagen ob ihrer Feierlichkeit, Farbgebung und Flächigkeit als einfältig, süßlich und kitschig galten und es oft auch sind. Aber sonst ist alles ganz anders.
Wie es in Rheinland-Pfalz war und wie es heute ist, zeigt das Landesmuseum Mainz in einer interessanten Übersichtsausstellung, die in rund 130 Exponaten von 40 nazarenischen Künstlern die Vielfalt, aber auch die lokalen Besonderheiten zeigt. Im ersten Teil der Ausstellung empfängt einen in einer Konche der Spruch von Ludwig Richter, der auf die spitze Feder dieser ausgezeichneten Zeichner verweist und eine Bibel mit Illustrationen, die dokumentiert, daß die Verbreitung des göttlichen Wortes durch Kunst - „Kunst dient dem christlichen Glauben“ - das Medium Buch und Druck sowie Wandmalereien nahelegten, also zum bevorzugten Träger wurden. Letzteres ist für Ausstellungen ein Pferdefuß, denn hier sind nur die Fresken zu sehen, die im kirchlichen oder staatlichen Kontext abgenommen wurden. Die anderen verbleiben an ihren Standorten, viele sind kulturbanausisch einfach abgeschlagen worden. Zeichnungen, Drucke und Bücherillustrationen ergeben darum neben Staffeleigemälden den Hauptteil der Ausstellung.
DER LUKASBUND heißt dann der erste Ausstellungsteil, der vor allem an Zeichnungen die stilistischen Übereinstimmungen der Künstler aufweist, uns aber auch ihre bedeutsamsten Vertreter zeigt, neben Overbeck Franz Pforr, Julius Schnorr von Carolsfeld und Philipp Veit in einem schönen Selbstbildnis um 1816. Bei den MÜNCHNER NAZARENERN steht Johann von Schraudolph im Mittelpunkt, dessen Apostel aus dem Dom zu Speyer derzeit in Rolandseck ausgestellt sind und danach im Dom einen eigenen Raum erhalten. Die MAINZER UND FRANKFURTER NAZARENER – am umfangreichsten – zeigen zum einen Ferdinand Becker in romantischer Manier, August Gustav Lasinsky und Joseph Anton Settegast sowie Eduard von Steinle, der 1866 in Frankfurt starb und sicher zu den einflußreichsten, weil erfolgreichsten Nazarenern gehört sowie in der Hauptsache Philipp Veit.
Auf die Koblenzer und Trierer Nazarener sind wir vor allem in der Katalogbesprechung eingegangen. Die DÜSSELDORFER NAZARENER vertreten Andreas und Carl Müller, Ernst Deger
Was zur Ausstellung als Kenntnis dazugehört, ist, daß sich einige, als Nazarener begonnene Künstler in andere Richtung der Romantik oder Realismus weiterentwickelten. Wichtig war die gesellschaftliche Bedeutung einzelner Nazarener der ersten Stunde durch spätere Berufungen als Professoren und dann Direktoren der großen Malerausbildungsstätten in Deutschland: Peter Cornelius war erst Leiter der Düsseldorfer Malerschule, dann der von München, arbeitete dann in Berlin. Sein Nachfolger in Düsseldorf wurde Wilhelm von Schadow, den er von Rom her kannte und der von Berlin an den Rhein kam. Julius Schnorr von Carolsfeld schließlich war lange Jahre Professor in München, dann Leiter der Malerschule, wurde 1848 nach Dresden berufen und dann Leiter der Gemäldegalerie, wo er 1856 deshalb zum ersten Direktor der neugebauten Sempergalerie wurde.
Ausstellung Bahnhof Rolandseck bis 9. September 2012
Ausstellung Landesmuseum Mainz bis 25. November 2012
Speyerer Dom: Schraudolph-Dauerausstellung beginnt gegen Ende des Jahres
Katalog:
Die Nazarener – Vom Tiber an den Rhein. Drei Malerschulen des 19. Jahrhunderts, bearbeitet von Norbert Suhr und Nico Kirchberger, Verlag Schnell + Steiner 2012. Dieser Katalog ist ein Grundlagenwerk für die Kunstrichtung der Nazarener in Rheinland-Pfalz, wobei das Erstaunliche ist, daß ein Hauptteil der Werke geschaffen wurden, als in den Zentren der Kunst diese religiöse Malerschule längst perdu war. Auch ein Beispiel dafür, wie lange es dauert, bis aus einer Avantgardebewegung das von der Allgemeinheit akzeptierte Kunstideal und somit zunehmend blutleerer wird. Aber auch ein Beispiel dafür, weshalb es so lange dauerte, bis sich in Rheinland-Pfalz Landeseinrichtungen, Museen, Kirchen- und Schlösserverwaltungen sowie Gebietskörperschaften sich des kunsthistorischen Kapitels der Nazarener annahmen und ihre überlieferten Werke dokumentierten und zum Zentrum einer Ausstellung in der Landeshauptstadt machten.
Auch im Landesmuseum Mainz selbst hat sich auf der Suche nach Nazarenern vieles in den eigenen Beständen gefunden. Der Katalog geht, abgesehen von dem eigentlichen Katalogteil ab Seite113, wo die Exponate in Bild und Texterklärung erscheinen – dort sind auch die Zeichnungen benannt, die aus konservatorischen Gründen (Licht!) einzelne Werke ersetzen – erst einmal kunst- und regionalhistorisch vor, in dem nach einem Überblick (Norbert Suhr) der Nazarener in Rheinland-Pfalz die Vertreter der zwei Malerschulen München und Düsseldorf vorgestellt werden und für die dritte, das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt am Main, dessen Direktor Philipp Veit 1852 nach Mainz ging, sein Wirken und sein sich bildender Kreis um ihn in Mainz im Mittelpunkt steht.
Neben diesen Überblicken stehen drei Künstler, Peter Rittig, Johann Ramboux und Anton Dräger aus der preußischen Rheinprovinz im Zentrum eines eigenen Essays (Norbert Suhr), weil sie anderen Ortes ausgebildet, auch wenig Werke im heutigen Bundesland hinterlassen haben, aber 'waschechte' Nazarener der ersten Stunde sind und zu ihren bedeutsamsten Vertretern gehören. Hier erweist sich der Katalog als weit über die Ausstellung hinausgehend, weil er Werke dokumentiert, die nicht nur typisch für diese Kunstrichtung stehen, sondern bei Anton Drägers MOSES AM BRUNNEN (1827/28) beispielsweise eine derartige Raffaelnachfolge – erzählendes Bild mittels Handgestik, Dramatik, Farbgebung – sehen lassen, bei Peter Rittigs DAS GLEICHNIS VON DEN FÜNF KLUGEN UND FÜNF TÖRICHTEN JUNGEFRAUEN (1821) eine Perugino/und Raffaelanverwandlung, das man staunt und froh ist, dies durch den Katalog zu erfahren, weil diese Bilder nicht in der Ausstellung hängen. Der Katalog gewinnt also neben der Dokumentation der Ausstellung einen kunsthistorischen Eigenwert.
REISEWEGE ZU DEN NAZARENERN IN RHEINLAND-PFALZ, bearbeitet von Norbert Suhr und Nico Kirchberger, Verlag Schnell + Steiner 2012. Hervorragend die Einführung von Norbert Suhr, die auch denen, denen die Kunst der Nazarener gänzlich unbekannt ist – besser: die zwar solche Bilder kennen, aber sie Zuordnung als Nazarener nicht – einen wirklichen Zugang eröffnet zu Motiven der Maler, ihrer Abgrenzung vom damaligen akademischen Ausbildungsgang sowie die Abkehr vom Kunstmarkt und der Zuwendung zur Kunst als einer christlichen Botschaft, die auch ein anderes Leben erzwingt. Wie schnell sich die Anfänge dann selbst in etwas Herkömmliches auflösen, kann man auch erkennen. Dies auch an den aufgeführten 34 Stätten, die jeweils erst die Architektur vorstellen und dann die Geschichte des Bildmaterials, wobei insgesamt Wert darauf gelegt wird, daß dies ein vorläufiges Ergebnis des Nazarenertums in diesem Bundesland ist, weil man davon ausgeht, daß noch mehr aufgefunden wird.
Bitte informieren Sie sich über die Details, insbesondere das Begleitprogramm auf der Webseite www.landesmuseum-mainz.de