FRIEDRICH KIESLER. Eine Ausstellung über den sozialutopistischen Architekten im MAK Wien bis 2. Oktober, Teil 1/2

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) - Tatsächlich gibt es über diesen Mann viel zu sagen: Miit seinen revolutionären, utopistischen Ideen faszinierte Friedrich Kiesler (1890–1965) nicht nur die Generation von KünstlerInnen und ArchitektInnen seiner Zeit. Bis heute prägen die transdisziplinären Beiträge des austro-amerikanischen Künstlers, Designers, Architekten, Bühnenbildners und Ausstellungsmachers die europäische und amerikanische Avantgarde.

 

Die in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung realisierte MAK-Ausstellung FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten (MAK-Ausstellungshalle, 15. Juni – 2. Oktober 2016) gibt Einblick in das faszinierend komplexe Schaffen des impulsgebenden Visionärs, in sein grenzüber-schreitendes Denken, seine Theorie des Correalismus, mit der er die Beziehung zwi-schen Kunstwerk, Mensch und Umgebung thematisierte, sowie in sein Wirken als Ar-chitekt und Ausstellungsgestalter.


Die Neubewertung von Kieslers Lebenswerk fügt sich nach der umfassenden Personale JOSEF FRANK: Against Design in die Bemühungen des MAK um eine zeitgenössische Neubetrachtung der großen Visionäre der Wiener Moderne.Wir Heutigen haben keine Ahnung, wie fortschrittlich das Wiener Bürgertum die Reformbewegungen in allen Lebensbereichen aufgenommen und unterstützt hatten. Wir sind allesamt dagegen ästhetisch ganz schön konventionell bürgerlich geblieben. Was die Wiener Werktstätten unter großer Akzeptanz der Bevölkerung einst an Ideenreichtum für Alltagsgegenstände in die Wohnungen brachte, können heutige Designvorstellungen nicht liefern. Aber der Austrofaschismus und der Nationalsozialismus brachte das Ende. Zurück zu Friedrich Kiesler.

 

Geboren in Czernowitz, einer multikulturellen Stadt im berühmten Galizien (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine), studierte Kiesler ab 1908 Architektur und Malerei an der Technischen Hochschule bzw. Akademie der bildenden Künste in Wien, ohne seine Studien abzuschließen. Mit Theater- und Ausstellungsprojekten in Berlin, Wien und Paris feierte er erste große Erfolge. 1926 reiste er in der Hoffnung, seine Visionen verwirklichen zu können, nach New York und blieb bis zu seinem Lebensende dort. Die Wiener Jahre im Umfeld von Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos und vor allem auch die Idee des Gesamtkunstwerks waren prägend für sein gesamtes künstlerisches und theoretisches Schaffen.


Der Blick auf Friedrich Kiesler hat sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts von einer vorrangig architektonischen Rezeption zu einem künstlerischen Interesse an seinem ganzheitlichen Konzept verschoben. Dazu gehört die Verbindung künstlerischer und
wissenschaftlicher Erkenntnis- und Darstellungsweisen, vor allem aber auch sein Ziel, die Trennung von autonomer Kunst und Lebenswirklichkeit aufzuheben. Kiesler setzte sich mit neuesten Entwicklungen in Film und Fernsehen ebenso innovativ auseinander wie mit kuratorischen Konzepten und mit deren radikal neuer zukunftsweisender Gestaltung.

Thematisch gegliedert gewährt die MAK-Ausstellung FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten Einblick in die Komplexität von Kieslers Schaffen von den 1920er bis Mitte der 1960er Jahre. Die vor allem aus den umfangreichen Beständen der Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung stammenden und zum Teil noch nie gezeigten Objekte spannen den Bogen von Kunstprojekten über Architekturvisionen und Ausstellungsdesign bis zu Geschäftsgestaltungen, Möbeldesign und Medienkonzepten sowie Plakat- und Buchdesign. Zahlreiche Archivalien geben Einblick in sein theoretisches Denken und seine innovative Ideenfindung.


Bereits während seiner Wiener, Berliner, Pariser und frühen New Yorker Zeit arbeitete Friedrich Kiesler an einem überaus weiten Feld von Gestaltungsmöglichkeiten. Seine intellektuellen Interessen kommen in der in den 1930er Jahren entwickelten wissen-schaftlichen Gestaltungstheorie des Correalismus zum Ausdruck, die auf damals neuen systemtheoretischen Überlegungen der Biowissenschaften aufbauen. Kieslers empirisch-wissenschaftliche Überlegungen zur nachhaltigen Gestaltung des Verhältnisses von Mensch-Natur-Technik und deren experimentelle Umsetzung in die künstlerische Praxis sind heute von höchster Aktualität.


Mit dem Konzept der Raumbühne (1924), die er anlässlich der von ihm organisierten und gestalteten Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien entwickel-te, hob er die räumliche Trennung zwischen ZuschauerInnen und SchauspielerInnen auf und integrierte beide in einen Einheitsraum. Das Publikum kreiste mit Beginn der Vorstellung um eine schwebende Bühne. Dieses „correalistische“ Instrument signali-sierte den radikalen Wandel zu einer biomorphen Formensprache. Auch die Trennung zwischen Mensch und Kunstwerk durchbrach Kiesler radikal, indem er Objekt und Mensch im gemeinsamen „Lebensraum“ interagieren ließ und frühe Environments entwickelte. Fortsetzung folgt

 

Foto: © 2016 Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

 

Info:

Begleitend zur Ausstellung FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten erscheint im Birkhäuser Verlag eine gleichnamige Publikation (herausgegeben von Christoph Thun-Hohenstein, Dieter Bogner, Maria Lind und Bärbel Vischer, Deutsch/Englisch, 224 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, MAK Wien/Birkhäuser Verlag, Basel 2016.
Erhältlich im MAK Design Shop und unter MAKdesignshop.at um € 39,95.) mit Beiträgen von Dieter Bogner, Peter Bogner, Almut Grunewald, Barbara Lesák, Maria Lind, Megan R. Luke, Vanessa Joan Müller, Spyros Papapetros, Hani Rashid, Christoph Thun-Hohenstein, Bärbel Vischer und Gerd Zillner.


Als Teil des Vermittlungsprogramms startete das MAK innovative und auf Partizipation beruhende Projekte mit Wiener SchülerInnen, die ihr Verhältnis zu ihren Lebenswelten und ihre Wahrnehmung von Raum als aktiv veränderbare Umwelt thematisieren. Die Jugendlichen setzten sich intensiv mit Friedrich Kiesler auseinander und gestalteten Beiträge, die im Kontext der MAK-Ausstellung gezeigt werden. Die Idee dazu basiert auf der Ausstellung Frederick Kiesler: Visions at Work Annotated by Céline Condorelli and Six Student Groups (11. Februar – 3. Mai 2015) der Tensta Konsthall, Stockholm.


Das im Rahmen von „Programm K3 – Kulturvermittlung mit Lehrlingen“ als Kooperation des MAK mit KulturKontakt Austria initiierte Projekt einer Integrationsklasse der Berufsschule für Frisur, Maske und Perücke wurde vom Vermittlerinnen-Team toikoi konzipiert und umgesetzt. KulturKontakt Austria (Initiative „culture connected“ des BMBF – Bundesministerium für Bildung und Frauen) förderte den Beitrag einer Klasse des Bundesgymnasiums Wien 9 (Wasagasse 10, 1090 Wien). Eine Klasse des BORG für Musik und Kunst (Hegelgasse 12, 1010 Wien) realisierte ein durch die Aktion „Schul-kulturbudget für Bundesschulen 2015/16“ gefördertes Projekt.


RAHMENPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG
FÜHRUNGEN
Sa, 14:00 Uhr
So, 15:00 Uhr
KURATORiNNENFÜHRUNGEN
Do, 7.7. und 8.9.2016, jeweils 16:00 Uhr, mit MAK-Kuratorin Bärbel Vischer Di, 6.9.2016, 16:00 Uhr, mit Gastkurator Dieter Bogner
ARTISTS' TOUR durch die Ausstellung (in English) Mi, 15.6.2016, 11:00 Uhr, MAK-Ausstellungshalle
mit Gastkuratorin Maria Lind, MAK-Kuratorin Bärbel Vischer und den KünstlerInnen
PODIUMSDISKUSSION Mi, 15.6.2016, 16:00 Uhr, MAK-Vortragssaal Frederick Kiesler: The Open Future (in English) mit Dieter Bogner (Moderation), Beatriz Colomina, Maria Lind, Hani Rashid und Benedetta Tagliabue
VORTRÄGE
Di, 12.7.2016, 19:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Meant To Be Lived In Dieter Bogner, Gastkurator
Do, 1.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle
Stefi Kiesler: Künstlerfrau, Bibliothekarin, Netzwerkerin
Jill Meißner
So, 4.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Frederick Kiesler’s Magic Architecture (in English) Spyros Papapetros
So, 11.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Friedrich Kieslers Endless House. Eine unendliche Geschichte Gerd Zillner
Do, 15.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Friedrich Kiesler und die architektonische Erneuerung des Theaters: von der Raumbühne zum Endless Theatre Barbara Lesák

Workshop für die ganze Familie (ab 4 Jahren) Materialbeitrag: € 2 pro Kind Eintritt für Begleitpersonen: € 7,50 Bitte um Anmeldung unter: T +43 1 711 36-298, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Eröffnung
Dienstag, 14. Juni 2016, 19:00 Uhr
Ausstellungsort
MAK-Ausstellungshalle
MAK, Stubenring 5, 1010 Wien
Ausstellungsdauer
15. Juni – 2. Oktober 2016
Öffnungszeiten
Di 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 Uhr
Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei