Das grafische Werk im Kunstahus Stade vom 10. September 2016 bis 15. Januar 2017
Felicitas Schubert
Stade (Weltexpresso) -Es gibt außer Picasso keinen Künstler, der in den letzten Jahrzehnten so häufig ausgestellt wurde wie Salvador Dalí, wobei - schaut man genau hin - es einen Zweig der Verkaufsausstellungen gibt, die massenhaft bekannte Werke bringen, die man sogar nach Hause mitnehmen kann, wenn man sie teuer kauft, die aber allesamt keine Originale sind. Also Geschäfte mit Dalí. Diese Ausstellung dagegen ist eine mit echten Dalís, seriös und mit dem graphischen Werk speziell dazu.
Zeitlebens erregte Salvador Dalí (1904–1989) mit seiner Kunst und seiner Selbstdarstellung große Aufmerksamkeit. Die Folge war nicht nur Anerkennung, sondern auch Kritik. Seine Bedeutung für die Kunst des 20. Jahrhunderts ist jedoch unbestritten. Dalí gilt als einer der radikalsten Gestalter des Surrealismus – etablierte Seh- und Denkweisen wurden von ihm erschüttert, das Brechen moralischer Tabus war programmatischer Bestandteil seines Schaffens. Mit einer beispiellosen Bildsprache kehrte er auf seinen Werken im Freud’schen Sinne das Innerste nach außen, stellte Begierden, Fantasien und Ängste dar.
Die künstlerischen Mittel Dalís waren vielfältig, er malte, zeichnete, druckte und fertigte Plastiken. Zudem veröffentlichte er zahlreiche kunsttheoretische Schriften und arbeitete für Film, Theater und Ballett. Mit seiner präzisen, altmeisterlichen Malweise schuf Dalí fantastische Bildwelten und bizarre Kreaturen, wie Hände voller Ameisen, Elefanten mit Spinnenbeinen, schmelzende Uhren. Seine dargestellten Körper werden verzerrt oder auch auf Krücken gestützt. All diese Unmöglichkeiten wurden von ihm so virtuos und illusionistisch wiedergegeben, dass sie gleichzeitig möglich, vielleicht sogar wirklich erscheinen.
Leben und Werk
Im Jahr 1904 im spanischen Figueras in eine bürgerliche Familie geboren, wurde Salvador Felipe Jacinto Dalí i Domènech (seit 1982 Marqués de Púbol) nach seinem verstorbenen Bruder Salvador benannt, ein Erbe, das er lebenslang als Bürde und Aufgabe zur Selbsterkenntnis empfunden hat. Er studierte an der Kunsthochschule San Fernando in Madrid, von der er wegen provozierenden Benehmens jedoch verwiesen wurde. Fortan bildete Dalí sich künstlerisch als Autodidakt weiter. Seine erste Ausstellung fand 1925 in Barcelona statt. Er lernte Pablo Picasso 1927 in Paris kennen. Mit seinem Freund aus Studienzeiten, Luis Buñuel, drehte er 1929 den Film „Ein andalusischer Hund“. 1929 wurde Dalí von Joan Miró der Gruppe der Surrealisten um André Breton vorgestellt. Kurz danach schloss Dalí sich dieser Vereinigung mit bald schon prägendem Einfluss an. Im selben Jahr noch lernte er Gala Éluard kennen, sie begleiteten einander ihr Leben lang. Nach ihrer Scheidung von Paul Éluard 1934 heirateten Dalí und sie.
Innerhalb der Gruppierung der Surrealisten war Dalí – bis zu seinem Ausschluss 1939 – ein hoch geschätztes und geschmähtes Mitglied zugleich. Von 1940 bis 1948 lebte er mit Gala in den USA, anschließend wieder in Spanien. Ab 1949 tauchen vermehrt religiöse Motive in seinen Werken auf. In den 1950er- und 1960er-Jahren verarbeitete er Forschungsergebnisse der Atomphysik und über die DNS in seinen Bildern. 1982 verstarb Gala. Seinem Wunsch folgend, setzte man Dalí nach seinem Tod im Januar 1989 in der Krypta seines Theater-Museums in Figueras bei.
Dalí bereicherte die Kunst mit technischen Experimenten. Er erprobte das Arbeiten mit der Stereoskopie, mit der Absicht, seinem malerischen Werk die dritte Dimension beizufügen. Im Rahmen der Druckgrafik ließen ihn seine Neugier und sein künstlerischer Tatendrang zu ungewöhnlichen Mitteln greifen: Druckplatten wurden von ihm mit gewöhnlichem Essbesteck bearbeitet, Originallithografien mit fotomechanischen Verfahren gemischt, er ließ mit Nägeln gefüllte Bomben auf Kupferplatten explodieren. Dalís Energie sowie seine zugleich versierte und dennoch nicht eingefahrene Arbeitsweise ließen
ihn auch im hohen Alter noch vor Witz und Geist sprühende Werke schaffen.
Ausstellung
Die Ausstellung im Kunsthaus Stade zeigt Arbeiten aus Dalís grafischem Werk, Handzeichnungen und Illustrationen zur Weltliteratur oder eigenen Schriften. Für das bildnerische Schaffen in Dalís Gesamtwerk hatten Texte ein großes Gewicht, er war ein feingeistiger Analyst seiner Zeit sowie der Kunst- und Literaturgeschichte. Einerseits war er sehr belesen und setzte sich sowohl mit Prosa als auch wissenschaftlichen und philosophischen Schriften auseinander. Andererseits trat er selbst als Autor zahlreicher Schriften in Erscheinung, darunter kunsttheoretische Aufsätze, Drehbücher für Film und Bühne sowie Lyrik. Zu mehr als 30 Werken der Literatur schuf Dalí Illustrationen, nicht nur zu eigenen Texten, sondern auch zu Klassikern der Weltliteratur.
Besonders hervorzuheben sind die Grafiken zu Lautréamonts „Die Gesänge des Maldoror“ (1934), das als Schlüsselwerk der Surrealisten gilt. Oder Dalís 100 Bilder zu Dantes „Göttlicher Komödie“ von 1960, die nahezu sein gesamtes Bildvokabular vor Augen führen. Meisterhaft orchestriert, führt Dalí den Betrachter damit durch jenseitige Welten. Beide Illustrationszyklen werden im Kunsthaus Stade ausgestellt.
Anhand einer Auswahl von mehr als 200 Werken bietet die Ausstellung auf drei Etagen einen Überblick über Dalís grafisches Werk. Neben Fotos, werkbegleitenden Dokumenten und filmischen Beiträgen wird auch „Ein andalusischer Hund“ in den Ausstellungsräumen vorgeführt, der Film, den Dalí 1929 gemeinsam mit Luis Buñuel produzierte.
Herausgegeben von den Museen Stade erscheinen zwei ausstellungsbegleitende Leporellos („Salvador Dalí. Leben und Werk“ sowie „Salvador Dalí. Literatur und Bild“) mit zahlreichen Bildern, einführenden Texten zu Dalís grafischem Arbeiten, als auch zu seinem Leben und seinem Wirken in der Kunst.
Foto:
Der gefallene Engel, Illustration zu Dante Alighieri ‚La divine Comédie‘, Blatt 35, 1960 © Kunstgalerien Böttingerhaus, Bamberg, Foto: Uwe Gaasch
Info:
Für die Bereitstellung der Werke danken die Museen Stade den Kunstgalerien Böttingerhaus, Bamberg.