Serie: „Déjàvu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube“ in der Kunsthalle Karlsruhe, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Karlsruhe (Weltexpresso) – Eigenartig. Eigenartig ist, daß die insgesamt interessante und informative Karlsruher Ausstellung rund ums Kopieren den eigentlichen Grund für das Abmalen, das genaue Nachmachen, das getreue Imitieren, das schlichte Reproduzieren von Bildern gar nicht nennt. Denn wie all unsere Kunst sich aus dem Kirchenkult entwickelt hatte – zur Ehre Gottes oder seiner Anbetung –, so galt die exakte Kopie vom Urbild bei den Ikonen der Ostkirche als Voraussetzung für deren Wundertätigkeit. Diese Urfunktion der Wiederholung von Bildern wird hier überhaupt nicht angesprochen.

 

Über das Urbild nämlich – beispielsweise eine Heiligenlegendenikone - strömte das Göttliche in den Betrachter ein und darum durfte ein neues Bild zu diesem Heiligen eben nicht das Geschehen abwandeln, eine eigene Handschrift zeigen – heute das Urprinzip unserer Kunstauffassung als Schöpfertum des autonomen Kunstwerkes - , sondern mußte bis in die Details genauestens die Vorlage kopieren, weil sich nur dann die Heilswirkung ebenfalls einstellte. Nun benennt diese Ausstellung ausdrücklich die Zeitspanne vom Mittelalter bis zum heutigen Internetzeitalter, also rund 700 Jahre als zeitlichen Rahmen. Das wäre aber kein Ausschlußgrund für die Erwähnung der Bildkopien in den Ostkirchen, die bis heute deren Kult und Kunst ausmachen.

 

Im Westen dagegen ist der Schnitt zwischen dem Bildermaler als Handwerker und dem Künstler, der sich zu konstituieren anfängt, tatsächlich in der Spätgotik auf dem Weg zur Renaissance und wenn die Ausstellung gleich am Anfang Dürer zeigt, dessen „Kleines Rasenstück“ sich als Farbfotografien zeigen, nimmt sie eine Sonderform der Kopie, nämlich das technische Reproduzieren von Malerei vorweg. Dürer bleibt die Ausstellung hindurch der wichtigste Künstler, weil sich an seiner Person und seiner Zeit verschiedene Facetten des Kopierens besonders gut aufdröseln lassen. Denn die Motive, Formen und Funktionen des Wiederholens sind vielfältig.

 

Die Ausstellung ist deshalb in diverse Untergruppen gegliedert, die eigentlich alle dem Zwecke dienen, dem heute verächtlich oder gar als Betrug vorgenommenen Kopieren einen Ehrenmantel umzuhängen. Sie stellt also die jeweiligen Funktionen einer Wiederholung vor und bringt es dabei auf 22 differente Arten und grenzt diese Kopien damit von betrügerischen So-tun-als-ob-Werken ab, die auf dem Kunstmarkt teuer verkauft werden. Welche Funktionen Kopien in der Kunst haben können, weiß auch der Laie. So wird folgerichtig die Kopie in der Malerausbildung angesprochen. Wenn Museen dazu sagen, diese sehen Sie auch als Originale an, haben sie vollkommen recht. Denn das selbständige Schaffen eines Bildes ist – Original oder Kopie hin oder her – immer eine Künstlerproduktion, im Gegensatz zum Fotokopierer, der Vorlagen lediglich technisch reproduziert. Fortsetzung folgt.

 

bis 5. August 2012

 

Info: Diese Ausstellung wurde als Pilotprojekt für Karlsruhe in Zusammenarbeit von Kunsthalle mit der Hochschule für Gestaltung erarbeitet, „einer führenden Institution bei der Analyse neuester Kultur- und Medienphänomene. Es gibt darüberhinaus eine didaktische Sonderschau COPYSHOP und eine für Familien konzipierte COPYBOX zur praktischen Annäherung an das Thema. Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen beleuchtet die Thematik auch über die Sphäre der bildenden Künste hinaus. Bitte entnehmen Sie diese Informationen der Webseite.

 

Katalog:

Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YuTube, hrsg. von Ariane Mensger, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Kerber Verlag 2012. Das Vorwort beginnt mit einer Verleugnung der Geschichte eines bestimmten Bildes. Es geht um die „Darmstädter Madonna“ des Hans Holbein d.J., die hier erst einmal nur den Namen des Basler Bürgermeisters Jacob Meyer von 1525/26 trägt und vom Unternehmer Würth gerade für 55 Millionen Euro aufgekauft wurde. Die Auslassung der Bezeichnung „Darmstädter Madonna“ im Zusammenhang mit dem Verkauf ist bedauerlich, weil in der Folge im Vorwort Pia Müller-Tann gerade dieses Beispiel für den Original-Kopien-Streit im 19. Jahrhundert verdienstvoller Weise anführt, der viel zu wenig bekannt ist, denn damals wurde die Profession der Kunstgeschichte als universitäre Wissenschaft gefestigt, als es diesen gelang, die zuvor als Original geltende Dresdener Madonna des Holbein als Kopie zu ‚entlarven’ und die zuvor als Kopie geltende Darmstädter Madonna zum Original zu erklären, was heute so anerkannt ist, das es Schnee von gestern scheint.

 

Allein aber den Begriff ‚Darmstädter Madonna’ nicht mehr anzuwenden und nur von der Holbeinmadonna oder der des Bürgermeister Meyer zu sprechen, ist der erste Schritt zum Vergessen der ganzen Angelegenheit, die aber für die Kunstgeschichte und jegliche Auseinandersetzung um Originale und Kopien konstitutiv ist. Aber wir hoffen, daß viele dieses Vorwort lesen und den Sachverhalt behalten, denn wie das Vorwort, lohnt der gesamte Katalog, der neben 12 wissenschaftlichen Essays über hundert Katalognummern ausführlich kommentiert.

 

www.kunsthalle-karlsruhe.de