Laufende Ausstellung im Bucerius-Kunstforum Hamburg

Günther Winckel

Hamburg (Weltexpresso) - Gut, daß uns die kommende Paula Modersohn-Becker daran erinnert hat, daß die gegenwärtige Ausstellung  bis zum 15. Januar in Hamburg auch sehr sehenswert ist. Das Thema VENEDIG ist eines der allerhäufigsten im Kunstbestrieb, einfach deshalb, weil diese Stadt ihres Lichts wegen besonders viele Künstler seit Jahrhunderten angezogen hat, von anderen Attraktivitäten ganz abgesehen.

Venedig ist also Sehnsuchtsort - für viele und für Künstler besonders. Das gilt auch für Literaten, nicht nur, aber auch Thomas Mann,  und auch für die Musik, wobei das Zusammentreffen, zumindest der gleichzeitige Aufenthalt von Verdi und Wagner in Venedig. absolut Spitze ist. Wie keine andere hat diese Stadt in den vergangenen Jahrhunderten ihre Besucher herausgefordert und Künstler wie Künstlerinnen in ihren Bann gezogen. Bis zum 15. Januar 2017 können Sie  mit "Venedig. Stadt der Künstler" erstmals hier im Bucerius-Kunstforum die Inspirationskraft der Lagunenstadt erleben.

Mit Werken von Vittore Carpaccio, Canaletto, Francesco Guardi, Giambattista Tiepolo, William Turner, John Ruskin, Claude Monet, Wassily Kandinsky, Gerhard Richter, Candida Höfer u.v.m. widmet sich die Schau der gesamteuropäischen Dimension der einzigartigen künstlerischen Rezeptionsgeschichte Venedigs vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. In sechs Themenabschnitten präsentiert die Ausstellung die malerische Inszenierung eines Mythos: darunter die Darstellung der venezianischen Gesellschaft und ihrer Festlichkeiten, des Stadtbilds und der Architektur, sowie die besondere künstlerische Erfahrung von Licht und Wasser in der Löwenrepublik. Die rund 100 nationalen und internationalen Leihgaben kommen aus Sammlungen wie dem Museo Correr, Venedig, der Tate, London, dem Centre Pompidou, Paris, dem Rijksmuseum Amsterdam, dem Städel Museum, Frankfurt der Neuen Pinakothek, München.

Venedig ist eine Stadt der Superlative: „La Serenissima“ – die Durchlauchtigste – war fast ein Jahrtausend eine der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Mächte in Europa. Die vom Meer durchdrungene Anlage der Stadt und die auf den Canal Grande ausgerichtete kulissenhafte Prachtarchitektur Venedigs vermitteln den Eindruck einer theatralischen Inszenierung, die eine künstlerische Reaktion geradezu provoziert. Vom beginnenden 16. Jahrhundert bis zum frühen 20. Jahrhundert feierten die Maler Venedig als Stadt des Sehens: Wasser, Schiffe und Prozessionen boten einem großen Publikum ein immerwährendes Schauspiel. Ihr Blick auf die Stadt prägt bis heute das Bild von Venedig und macht die Löwenrepublik zu einer Projektionsfläche erfüllter und unerfüllter Träume.

Die von Inés Richter-Musso kuratierte Ausstellung Venedig. Stadt der Künstler veranschaulicht, dass bereits um das Jahr 1500 venezianische Gemälde, anders als in anderen Städten, Darstellungen von Prozessionen und Staatszeremonien vor der realistisch wiedergegebenen Stadtkulisse zeigten. Diese frühe repräsentative Funktion der Erkennbarkeit der Stadt kennzeichnet auch die Portraits der Dogen, etwa in Carpaccios Darstellung von Leonardo Loredan oder Tintorettos Porträt des Dogen Alvise Mocenigo. Während im 18. Jahrhundert der wirtschaftliche Abstieg Venedigs begann, erlebte die Stadtansicht in der Malerei ihre Blütezeit. Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, und seine Werkstatt etablierten das Genre der Vedute als venezianische Leitgattung.

Gleichzeitig hat sich durch die kunstegeschichtliche Vorherrschaft des Florentiners Giorgio Vasari - ja geboren in Arezzo, aber durch und durch Florentiner - , der ja nicht nur Maler war, sondern als erster Kunstgeschichtler der Welt gilt und in den Lebensbeschreibungen der früheren und zeitgenössischen Künstler einfach die florentiner Linie zum Nonplusultra erklärte und die Farbigkeit der venezianischen Malerei doch etwas plump und gewöhnlich fand, lange also die Malerei Venedigs nicht die Anerkennung gefunden, die ihr gebürt. Doch dieses Fehlurteil - nur, was Venedig betrifft, der florentiner Strich bleibt einzigartig - ist schon längst korrigiert und erweist sich auch in dieser Ausstellung also als falsch. Dennoch eine gute Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß diese wunderbare, erstmals vollständige und neu übersetzte und mit Anmerkungen von heute ausgestattete Gesamtausgabe Vasaris im Wagenbach Verlag längst abgeschlossen ist, vom  Frankfurter Kunstprofessor und jetzigem Leiter des Kunstgeschichtlichen Instituts in Florenz, Allessandro Nova, umsichtig herausgegeben und eine Anschaffung fürs Leben und eine Notwendigkeit für jeden Kunstinteressierten, der italienische Kunst liebt, wie hier: Venedig.

Vielfältige Ansichten des Canal Grande, des Markusplatz, der Basilika und des Dogenpalasts mit den ankernden Schiffen dokumentierten und glorifizierten die bauliche Pracht des einstigen Handelszentrums und prägten die Vorstellung von Venedig. Die Vedute wurde zu einer gefragten Reiseerinnerung und machte die Wasserstadt in ganz Europa bekannt. Mit Francesco Guardi fand die repräsentative Vedute dann ihren Ausklang. Die melancholische Note seiner Malerei deutete bereits Reaktionen auf den Niedergang einer Gesellschaft und einer Epoche an. Diese finden sich auch in den Beobachtungen des zeitgenössischen Alltags und der Vergnügungskultur bei Pietro Longhi und Gabriel Bella.

Nach dem Abzug Napoleons lagen 1815 das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben Venedigs und die lokale Kunstproduktion danieder. Die Stadt blieb jedoch Ziel englischer Künstler, die in der Tradition der Grand Tour nach Italien reisten. Zu den ersten Malern, die im 19. Jahrhundert nach Venedig kamen, gehörte William Turner. Seine Malerei löste die traditionelle Vedute in einem von Licht, Luft und Wasser abhängigen Wahrnehmungserlebnis auf. Das langsam verfallende Venedig lieferte Künstlern wie John Ruskin neue Sujets. Zum Ende des Jahrhunderts suchten Amerikaner wie John Singer Sargent und James Whistler ihre Motive weit ab von der Piazza San Marco und machten einsame Gassen und schmale Seitenkanäle bildwürdig.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts brachten die französischen Maler den subjektiven Blick auf die flüchtigen Momente mit. Das besondere Licht, der weite Himmel über der Lagune und die Spiegelungen der Fassaden im Wasser bedienten die Wünsche impressionistischer Malerei. Künstler wie Eugène Boudin oder Claude Monet fingen in ihren Werken die flirrende Atmosphäre der Stadt ein und gaben sich dem Einfluss des Wetters und den tageszeitabhängigen Lichtveränderungen in der Schattengebung der Architektur hin.

1895 wurde die für Künstler aus Europa und Amerika seit Jahrhunderten bestehende Anziehungskraft Venedigs institutionalisiert, als mit der Biennale die erste Weltausstellung der Kunst ins Leben gerufen wird. Auch wenn die Stadt seitdem selten als künstlerische Inspirationsquelle thematisiert wird, bleibt der Mythos Venedig bis heute bestehen.

Der Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Kathrin Baumstark, Tiziana Bottecchia, Barbara Dayer Gallati, Laura De Rossi, Daria Dittmeyer-Hössl, Martin Gaier und Inés Richter-Musso erscheint im Hirmer Verlag (München, 192 Seiten mit farbigen Abbildungen aller ausgestellten Werke, 29 € in der Ausstellung).

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Italienischen Republik.

 

Foto: Turners Ansicht von Venedig (c) Veranstalter

Info:

Kommentierte Gesamtausgabe der Ausgabe von 1568   

Alessandro Nova (Hg.): Giorgio Vasari, Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Deutsche Gesamtausgabe in neuer Übersetzung von Victoria Lorini, 45 Bände + Supplementband. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004–2015.