Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Februar 2017, Teil 15

Filmheft

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Alle sprechen davon, wie ähnlich der Schauspieler dem chilenischen Dichter und Frauenverehrer Neruda sei. Hören wir den Interpreten der Rolle. Die Redaktion



WAS  HAT  ES  FÜR  SIE  BEDEUTET,  EINE  LEGENDÄRE  PERSÖNLICHKEIT WIE NERUDA ZU SPIELEN?

Die Antwort auf diese Frage hat für mich damit zu tun, was es überhaupt bedeutet, eine Figur zu spielen: Für mich bedeutet das  eher,  eine  bereits  gezogene  Linie  zu  finden  und  ihr  zu  folgen, als diese Linie selbst zu ziehen. Eine Rolle zu spielen, bedeutet für mich, das ganze Material zusammenzubringen, um diese Linie zu finden und imstande zu sein, dieser Linie zu folgen und sie auch zu verändern. Es geht darum, einen Dialog  herzustellen.  Aus  dieser  Perspektive  fühlt  es  sich  für  mich fast falsch an zu sagen: „Ich habe Neruda gespielt.“

Als  ich  gefragt  wurde,  ob  ich  die  Rolle  spielen  wolle,  sagte ich sofort zu – und bekam erstmal Angst. Allein die Idee, einen Zugriff auf das unermessliche Leben dieses Giganten zu wagen, versetzte mich in eine Art Schockstarre. Nachdem ich dann an der Oberfläche dieses einen Abschnitts des Lebenswerks Nerudas gekratzt hatte, um den es im Film geht, tauchte ich langsam wieder auf. Ich las das Drehbuch und bekam eine Ahnung von der Größe der Herausforderung. Ein
Film, der nicht den Mythos dekonstruieren will, sondern den Protagonisten  als  Menschen  aus  Fleisch  und  Blut  begreift.  

Neruda war immer widersprüchlich, so empfindsam, wie ein Mensch  nur  sein  kann,  sinnlich,  hedonistisch  –  und  gleichzeitig politisch denkend und aktiv. Brillant und entschlossen,
manchmal schwach, sogar oberflächlich.


WIE HABEN SIE MIT PABLO LARRAIN DIE FIGUR NERUDAS GESTALTET?

Pablo Larrain ist einer der Regisseure, die verstehen und damit  vertraut  sind,  wie  Schauspieler  in  eine  Geschichte  und eine  Figur  eintauchen,  und  die  sogar  voraussehen,  wo  wir  vermutlich untergehen und wo wir wieder auftauchen werden. Jeder Tag auf dem Set bedeutete die Einladung, einen Stoff aus  den  Materialien  zu  weben,  die  man  selbst  mitgebracht  hatte. Und dann webt man und webt nochmal ganz anders, bis ein Stoff entsteht, der überhaupt nicht so ist, wie man ihn
erwartet hat.

Mir hat es sehr geholfen, dass Pablo von Anfang an gesagt hat, dass er selbst auch kein vorgefertigtes Strickmuster für diesen Stoff habe. Es ging um die Bereitschaft, an diesem Stoff zu weben, und die Verabredung, dass es in diesem Prozess zwei brauchen würde, Schauspieler und Regisseur, die von der ersten bis zur letzten Masche involviert sind.


WARUM HABEN SIE IHRER INTERPRETATION SO VIEL HUMOR BEIGEGEBEN?


Es heißt, Neruda habe sehr viel Humor gehabt. Aber ich glaube nicht, dass meine Interpretation darauf angelegt ist. Unser Neruda hat Humor, wie andere Menschen auch, er verdaut, er  geht  aufs  Klo,  er  lacht,  er  liebt  gutes  Essen,  er  kann  ärgerlich  werden:  eben  das,  was  jedem menschlichen  Wesen eigen ist. Das Überraschende liegt vielleicht darin, dass wir diese Figur für einmal nicht auf einem Sockel sehen, sondern als einen, der sich benimmt wie wir alle.



WIR  ERLEBEN  NERUDA  ALS  EINEN,  DER  MITUNTER  BARSCH  MIT  SEINEN  EIGENEN GENOSSEN UMSPRINGT.

Es ist schwierig, manche Dinge zu erklären. Ich persönlich glaube, dass Neruda in der Zeit seiner Flucht, in den späten 40er Jahren, wie ein Rockstar war. Er hat seine Flucht zelebriert. Er lebte in einer anderen Dimension, er war ungeheuer populär, er pflegte Umgang mit den größten Künstlern, mit Picasso, mit André Breton, er lebte im Universum eines Lebemanns. Ein Bourgeois, ein Kunstsammler – und gleichzeitig der kommunistischen Sache absolut ergeben. Er war beidem
treu: der politischen Sache und seinem Hedonismus.


SIE KENNEN GAEL GARCÍA BERNAL SCHON VON PABLO LARRAÍNS „NO“. WIE HABEN SIE DIE ERNEUTE ZUSAMMENARBEIT ERLEBT?

Mit Gael zu arbeiten, ist immer eine erfrischende Erfahrung. Er ist unglaublich wandlungsfähig und ein unschätzbarer Schauspieler. Er hat es in diesem Film geschafft, vollständig in dem Spiel des Drehbuchs aufzugehen, in einer Figur, die durch die Worte des Dichters erschaffen wird, wenn der versucht, an seiner eigenen Legende zu bauen. Aber weder Neruda noch das Drehbuch konnten vorhersehen, wie sehr diese Figur, diese Fiktion an den Bruchstellen des Komischen und der Verzweiflung lebendig wird. Das hat Gael geschafft. Nur ein Schauspieler mit seinem Talent und seiner Erfahrung ist in der Lage, ein so subtiles und gewagtes  Spiel  mit  derart  gelassener  Souveränität  anzunehmen.  

Gael  ist  ein  Schauspieler, der sein Handwerk versteht und genießt, der immer aufmerksam
und überraschend ist. Ein intelligenter Schauspieler mit einem scharfsinnigen, unermüdlichem emotionalen Gespür. Es wird immer eine Freude für mich sein, mit ihm zu drehen, immer und immer wieder.

SIE  HABEN  ZUM  ERSTEN  MAL  MIT  MERCEDES  MORÁN  GEARBEITET,  DER  GRANDE DAME DES ARGENTINISCHEN KINOS.

Der Neruda, den ich hier porträtiere, ist in vielen Aspekten bestimmt von der Figur der Delia, der „Hormiga“ (Ameise), die Mercedes Morán geschaffen hat. Eine großartige Schauspielerin, die ganz ruhig arbeitet, in völliger Konzentration. Eine Schauspielerin mit enormen Ressourcen, die es schafft, noch die unscheinbarste Subtilität in einer Weise auszudrücken, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe.

Wie sie die Delia spielt, die Malerin, die einen so großen Anteil daran hatte, den Dichter zu dem zu machen, was er war, ist unfassbar wahrhaftig und bewegend. Jeder Tag der Dreharbeiten war eine Masterclass in Sachen Zuverlässigkeit und Präzision vor der Kamera für mich. Ich weiß nicht, ob mein Ansatz, den Neruda zu spielen, der richtige ist – aber ich weiß, dass die unermüdliche, große Mercedes Morán ihn unendlich bereichert hat.



Foto: © Verleih

Info:
"Neruda"
Chile/Argentinien et al. 2016
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: Guillermo Calderón
Darsteller: Luis Gnecco, Gael García Bernal, Mercedes Morán, Alfredo Castro
Produktion: Fabula, Participant Media et al.
Verleih: Piffl
Länge: 107 Minuten
Start: 23. Februar 2017

Wir sahen den Film in der ersten Vorstellung in der HARMONIE, Frankfurt, wo er täglich um 16 und 20 Uhr spielt.