Die FAZ bringt den Fund des Michelangelo-Manuskripts von Erwin Panofsky groß ans Licht
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon auffällig, in welcher Breite die FAZ vom Freitag, 31.August 2012 die 1920 verfaßte und verschollen geglaubte Schrift des berühmten Kunsthistorikers Erwin Panofsky über viele Seiten würdigt. Wir meinen zu Recht und das nicht wegen der Bedeutung des Manuskripts, einer Habilitationsschrift, sondern der Bedeutung Erwin Panofskys wegen.
Wir mögen das nicht hören und erst recht nicht schreiben, vom jüdischen Kunsthistoriker Panofsky, denn in erster Linie war Erwin Panofksy ein wacher, die Augen und das Hirn gleichermaßen beschäftigender Kunsthistoriker. Zum Juden haben ihn die Nazis gemacht, weshalb er 1933, als er das kunsthistorische Seminar der Hamburger Universität leitete, entlassen wurde und ein Jahr später in die USA emigrierte, wo er dann am Institute for Advanced Studies in Princeton auf Englisch im Jahr 1939 seine bahnbrechenden ikonologischen Sehweisen – der „versteckte“ Symbolismus von Gegenständen in den Bildern der Alten, die den jeweiligen Zeitgenossen offensichtlich waren, weshalb Panofsky die Erforschung der Zeit und Umgebung von Bildern für konstitutionell hielt - und auch seine EARLY NETHERLANDISH PAINTINGS 1953 veröffentlichte.
Letztere, ein zweibändiges Gebrauchshandbuch für jeden, der mit der Altniederländischen Malerei zu tun hat, wurde erst sehr spät ins Deutsche gebracht, von Jochen Sander, Stellvertretender Direktor des Städel in Frankfurt und Professor am Kunsthistorischen Institut der Goethe-Universität und Stephan Kemperdick, Kustos für Altdeutsche Malerei der Gemäldegalerie in Berlin und 2001 im DuMont Verlag veröffentlicht – immerhin fast 50 Jahre nach seiner Entstehung. Eine Übersetzertat, denn Panofsky schrieb ein merkwürdiges Englisch, dem man das Deutsche anfühlte. Doch nicht der Stil ist für Panofsky wesentliche, sondern seine Erkenntnisse.
Panofsky wurde 1892 in Hannover geboren und war schon bald nach seinen Studien in Freiburg, München und Berlin – ja, damals galt das noch, sich akademisch umzutun, um möglichst viele Lehrmeinungen in direkter Konfrontation zu erfahren – Lehrender für Kunstgeschichte an der Hamburger Universität, wo er 1926 Professor wurde. Nach seiner Emigration 1933/34 wurde sein Nachfolger am Kunstgeschichtlichen Institut sein ehemaliger Schüler und nur elf Jahre jüngere Ludwig Heydenreich. In dessen seit 1973 'verstecktem' Nachlaß wurde – und das ist Anlaß des FAZ-Berichtes – nun ein Manuskript über Michelangelo gefunden, das bisher nur als Fama durch die kunstgeschichtlichen Diskussionen geisterte.
Dieser Fund hat es aus vielen Gründen in sich. Was die Schrift über Michelangelo – Titel: „Die Gestaltungsprinzipien Michelangelos, besonders in ihrem Verhältnis zu denen Raffaels“ - kunstwissenschaftlich bedeutet, kann man erst nach seiner Kenntnisnahme gesichert beurteilen. Panofsky hatte sich weiterentwickelt und andere Themen der Kunstgeschichte – wie die Ikonologie, die er eigentlich erfand und die heute Allgemeingut ist – bearbeitet. Was der Fund fast 70 Jahre nach dem Krieg politisch bedeutet, liegt auf der Hand. Was er in Bezug auf die Persönlichkeit seines Nachfolgers Heydenreich aussagt, das wird zum Skandal. Julia Voss hat in der FAZ das Faß aufgemacht und auch ein Interview mit Panofskys zweiter Frau Gerda geführt, die dieser 1966 geheiratet hatte und die ihn begleitete, als er 1967 auf Initiative dieses Ludwig Heydenreich in München den Orden „Pour le Mérite“ verleihen erhielt. Panofsky war 1966 zum ersten Mal durchaus bangend nach Deutschland zurückgekehrt. Aus privaten Gründen, um seine Schwiegereltern kennenzulernen.
In einem Interview, das Julia Voss mit Gerda Panofsky führt, erfahren wir mehr über diesen Ludwig Heydenreich, der 1946 in München Gründungsdirektor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte wurde und das Institut bis 1970 leitete. Die Nazi-Zeit hatte er sehr saturiert überstanden hatte, nämlich seit 1943 das Kunsthistorische Institut in Florenz geleitet. Gerda Panofsky hatte zudem bei Heydenreich studiert, der nach und nach als Kenner für Leonardo da Vinci galt. Der Emigrant und sein Nachfolger hatten ein gutes persönliches Verhältnis, weil Panofsky ihn für einen Freund hielt. Seine Habil-Schrift hielt Panofsky für verloren, weil sie in seinem Hamburger Institut stand, daß er nach der Machtergreifung der NSDAP nie wieder betrat. Wieso das Hamburger Manuskript jetzt im Nachlaß Heydenreichs in München - der zwar schon 1973 starb, dessen Teilnachlaß aber in einem verschlossenen Panzerschrank untergebracht worden waren, in dem zuvor Nazi-Akten ruhten – aufgefunden wurden, läßt nur einen Schluß zu: Heydenreich hatte das Dokument als Nachfolger Panofskys am Hamburger Institut an sich gebracht, mit nach München genommen und seinem Freund und Lehrer Panofsky mit keinem Wort gesagt, daß er dessen verloren geglaubte Schrift besäße.
Da kann man nur froh sein, daß Panofsky das nicht mehr mitbekommen kann. Denn, was sich dahinter als Schande und Verrat aufzeigt, wird sicherlich viele psychoanalytischen Deuter finden. Gerda Panofsky, die den Nachlaß ihres Mannes betreut, zeigt sich fassungslos über diesen Treueverrat durch den Schüler und Freund Heydenreich an ihrem Mann. Jetzt erst wird auch verstehbar, warum Heydenreich sofort nach der ersten Kontaktaufnahme nach dem Krieg zu Panofsky diesen beschwor, sein ursprünglich geplantes Michelangelo Buch dringend zu schreiben, „dessen wir heute mehr bedürfen denn je“. Dieser war längst mit anderem beschäftigt und hatte ja den Verlust seiner Michelangelo-Habil-Schrift zu beklagen.
Uns aber ist dies Anlaß, die Aufarbeitung der Geschichte der Kunsthistorik im Nationalsozialismus und ihre Weiterführung in der Nachkriegszeit, sowohl in der späteren DDR wie Bundesrepublik anzusprechen, die ein sehr gutes Thema nicht nur für Magisterarbeiten und Dissertationen, sondern eben auch für Habilitationen in Kunstgeschichte sind!!