DER FRÜHE DÜRER zog über 280 000 ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das darf man schon eine kleinere Sensation nennen. Dabei wäre es der Sache angemessen, daß noch mehr Besucher nach Nürnberg gekommen wären. Denn die Ausstellung des frühen, nicht des jungen Dürer, war auch deshalb spektakulär, weil seine berühmten, seinen Namen begründeten Werke fast alle später gemalt sind, die Stiche auch.
Von daher ist in unseren Augen das Sensationelle am Publikumserfolg – immerhin muß man aus allen Richtungen her erst einmal nach Nürnberg fahren, ist Berlin das Ziel, dann gibt es durch den Hauptstadtcharakter eben noch weitere Anziehungspunkte, man ist schneller dort, auch wenn es weiter ist – das Sensationelle ist also die Tatsache, daß diese Ausstellung eine kunsthistorisch eminent spannende war und dennoch auch das sogenannte Laienpublikum in Scharen anzog. Zu Recht, wie wir in vielen Artikeln betonten.
Am Sonntag, 2. September ging sie nun also zu Ende, diese Dürerschau, die genau 199 Tage lang gezeigt wurde. Das Museum teilt uns dazu folgende Details mit: „Nach 100 Tagen Laufzeit schlossen am Sonntag, 2. September 2012 um 22.57 Uhr die Türen der Sonderausstellung „Der frühe Dürer“ im Germanischen Nationalmuseum. Mehr als 280.000 Besucher (genau 282.347 Besucher) zählte die spektakuläre Schau, die in ihren letzten Tagen Wartezeiten von bis zu 5 Stunden verlangte. Der Andrang war groß, doch jeder, der die einzigartigen Werke Dürers sehen wollte, bekam dazu Gelegenheit. Das Germanische Nationalmuseum handhabte seine Schließzeiten flexibel und blieb abends so lange geöffnet, bis auch der letzte Wartende in der Ausstellung angelangt war. Eine Premiere: In der Nacht von Freitag auf Samstag campierte vorsichtshalber ein kleines Grüppchen mit Zelt vorm Haupteingang, um an nächsten Morgen auch wirklich als erste in die Ausstellung zu gelangen.“
Das freut einen doch, daß auch Superstar Dürer etwas erreicht, was für Hollywoodfilme oder neue Pop-CDs, auch Harry Potter Bücher längst Wirklichkeit ist. Äußerst zufrieden zeigten sich die Museumsleute auch über die Annahme ihrer Vermittlungsangebote wie personelle oder akustische Führungen, letztere auch auf Englisch. Daß ein Kunstkatalog in die 4. Auflage geht, ist schon erstaunlich und hört man erst, daß schon 20 000 Exemplare verkauft wurden, möchte man dem Verlag sofort gratulieren, denn einen Kunstkatalog herzustellen, ist ein hochartifizielles Unternehmen und findet oft nur einen kleinen Kennerkreis.
Wir hatten bei unseren mehrmaligen Besuchen – auch das ist eine interessante Tatsache, die das allgemeine Publikum niemals erleben kann, wie sich ein und dieselbe Ausstellung innerhalb von Wochen verändern kann, nicht in der Wirklichkeit, aber in unseren Augen, die wir jeweils stärker auf dies oder das richten, dazwischen haben wir vielleicht nachgelesen oder dieses eine Bild bisher doch etwas übersehen, sehr sehr spannend, was passiert, wenn man Ausstellungen mehrmals anschaut! - wir hatten also auch die Begleitausstellungen genau angeschaut und mitbekommen, wie besucht auch diese waren.
Das Museum sagt dazu: „ Große Nachfrage bestand ebenfalls nach den Angeboten des Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrums der Museen in Nürnberg (KPZ), das für Gruppenführungen, Kinderprogramme sowie den Familien-Aktionsraum „Alles Dürer“ verantwortlich war: 1.704 Privatgruppen, 165 Schulklassen und 378 öffentliche Führungen verzeichnen die Buchungslisten – 2.247 Termine insgesamt.
Daß sich Generaldirektor Prof. Dr. G. Ulrich Großmann überaus zufrieden mit dem Verlauf der Ausstellung und der hohen Besucherzahl zeigte, melden wir gerne weiter: „Die Ausstellung ist auch für die Forschung von herausragender Bedeutung. Bei den Vorbereitungen haben wir festgestellt, dass es auch bei Dürer noch mehr Fragen als Antworten gibt. Mit der Sonderausstellung im Germanischen Nationalmuseum haben wir daher mehr als nur ein Tor für neue Forschungen aufgestoßen.“
Am Montag beginnt nun der Abbau der Ausstellung, bis Freitag werden alle Werke wieder in ihre Heimatmuseen zurückkehren.
Katalog: DER FRÜHE DÜRER, hrsg. von Daniel Hess und Thomas Eser, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012. Ein Katalog, der genauso sinnvoll gegliedert ist wie die Ausstellung und zudem noch – bei aller Kompaktheit der 603 Seiten – lesefreundlich ist, weil das Schriftbild gut lesbar und differenziert mal die Abbildungen als Illustration nutzen, mal die Katalognummern das Bild durch größeren Abdruck herausheben und den entsprechenden Text mit den Bilddaten und Provenienz sowie Literatur nur klein am Rand abdrucken.
Beides entspricht den unterschiedlichen Erfordernissen von Essays – insgesamt achtzehn – und dem Katalogteil, der den vier Sektionen der Ausstellung folgt: DAS ICH UND SEINE NEUEN MEDIEN, ABMACHEN UND NEUMACHEN,‘GWALTIGE KUNST‘. DÜRER ALS DRAMATIKER, WAS IST KUNST? Dies Buch ist also einerseits ein getreulicher Führer durch die Ausstellung und bringt die Ideen, die die Hängung beeinflußten, auch im Wort zur Sprache. Andererseits ist es so anschaulich gestaltet, daß auch derjenige, der nicht nach Nürnberg kommt, einen Eindruck von dem bekommt, worum es den Ausstellungsmachern ging. Die Essays zudem sind mit vielen Zwischenüberschriften und eben dokumentiertem Bildmaterial nicht auf wissenschaftliche Länge, sondern pointierte und verständliche Vermittlung gerichtet.
Besonders erwähnt werden muß der Anhang, in dem Thomas Eser „Materialien für eine Dürer-Matrix von 1471 bis 1505“ liefert, wo vertikal die Daten stehen und horizontal das Ereignis, die Quelle, Belege und Literatur sowie Evidenz eingetragen sind: Als Beispiel: links ist eingetragen: „21.5.1471, etwa 10 Uhr vormittags“, dann folgt horizontal „Geburt und Geburtsdatum, Taufpate“, sodann werden die Quellen angegeben, die ältesten historischen Belege aufgeführt, die entsprechende Literatur angeführt und zur Evidenz vermerkt: „Sicher.“
Letzteres heißt dann bei anderen Ereignissen „sehr spekulativ“, „Plausibel, aber nicht gesichert“, „unklar“…Uns hat diese Matrix auf den Seite 536 bis 552 so elektrisiert, daß wir sie regelrecht studierten, darüber aber dann die Bilder vergaßen.
Ähnlich ging es uns dann mit DÜRERS NACHBARSCHAFT, die Sebastian Gulden kommentiert. Aus dem „Prospekt der Reichsstadt Nürnberg“ von Hieronymus Braun, Nürnberg 1608 hat Gulden die Burgstraße, aber auch weitere Straßenzüge mit den erkennbaren Häusern mit Nummern versehen und diese Nummern genau hinsichtlich ihrer Bewohner dokumentiert. Sie glauben gar nicht, wer alles im Nürnberg der damaligen Zeit an wichtigen Leuten wohnte. Ein ebenfalls spannendes Dokument. Rundherum ein gelungener Katalog zu einer gelungenen Ausstellung, die noch lange nachwirken wird.
Artikel im Weltexpresso zu Dürer:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/686-der-fruehe-duerer-vom-kopf-auf-die-fuesse-gestellt
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/741-forschungsergebnisse-zum-der-fruehe-duerer
Zur aktuellen Situation des Nürnberger Museums
Foto: Dieses hinreißende, weil selbstbewußte Selbstbildnis von Dürer von 1498, das heute in Madrid hängt, war - wie das andere von 1500 aus München - nicht im Original in Nürnberg zu sehen. Das war schade, aber es ging auch so. Daß das Münchner sogenannte Christus-Selbstbildnis allerdings nicht den Weg nach Nürnberg fand, bleibt ein bayerischer Skandal.
www.gnm.de/der-fruehe-duerer