Serie: Füsslis Nachtmahr im Goethemuseum, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Anders als in der ersten Fassung liegt in der zweiten, der Frankfurter Fassung, die Frau hier auf der Bettstatt von rechts nach links überhängend, mit nach unten angewinkelten Armen und geschlossenen Augen – schlafend oder wachend? Das ist die Frage.



Schläft sie, so kann man an einen Traum denken, den der auf ihr hockende Mahr in einen Albtraum wandeln wird, denn ihr Gesichtsausdruck ist voll Schmerz, überdrüssig sind die Lippen verzogen. Das aber könnte auch Zeichen einer stattgefundenen Vergewaltigung sein, für die der Alb oder Alp auf jeden Fall auch steht.

Denn ihm, dem Mahr und Nachtalb,  wurde im französischen Strafraum noch eine Geschlechterteilung zuteil: der männliche (incubus= Auflieger) und weibliche (succubus = Unterlieger) Nachtalbe. Auf jeden Fall ist das Pferd, das mit blinden Augen hineinschaut, wichtig. Und jetzt  wird die Wortbedeutung der von Füssli vorgenommenen Betitelung noch spezieller . Nightmare. Nachtmahr. Der Mahr, die Mahre, das waren in vergangenen Zeiten die Fabelwesen; etymologisch kommen sie  aus dem Althochdeutschen, wo mara so etwas wie zerstoßen, zertrümmern heißt. Aber  es gibt auch marah im Althochdeutschen und das wurde zur Mähre, also dem abgeklapperten alten Pferd. Und auf einer lahmen Mähre bewegt sich auch der Alb durch die Welt. Dies Bild ist archetypisch.

Diese sprachliche Gemengelage zwischen ‚mare‘, ‚Mahr‘ und ‚Mähre‘, die nur für das Deutsche gilt, ist doch hochinteressant. Aber bringt sie uns weiter? Vielleicht doch eher das Pferd. Daß es blind ist, ist aussagekräftig, aber nach der Traumdeutung von Freud – ja, zeitlich sehr viel später als Füssli, aber eben das Wissen der Welt in der Psychoanalyse systematisierend – steht das Pferd für Leidenschaft, für Bewegung und Kraft. Sein Auftauchen im Traum ist eine Metapher für Sexualität, Beziehungen, Partnerschaft. Auch Weisheit und mit Pegaus symbolisiert das geflügelte Pferd sogar die Dichtkunst. Aber weiter kommt man mit ‚reiten‘, dem, was das Pferd dem Menschen bietet und hier ist die sexuelle Komponente unüberhörbar. Denn durch den Beischlaf ‚geritten‘ zu werden, ist eine gängige, sprich traditionelle Zuschreibung in Trivialtexten für den Geschlechtsakt von Frauen, selbst zu reiten, die für Männer.  

Es gibt darüber hinaus auch christliche Deutungsmuster. Denn die weiße Frau kann auch Objekt der von Gott abgefallenen Engeln sein, die in Dämonengestalt Teuflisches unternehmen, auch mit Frauen schlafen und solche schlimmen Sachen, was gegen deren Willen dann Vergewaltigungen werden.

Wäre also FÜSSLIS NACHTMAHR ein Albtraum, hätten wir nun verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Aber Füssli zeigt keinen Albtraum, er zeigt den Moment im Schlaf, die Sekunden, in denen der Alb von uns Besitz ergreifen will, nicht von uns, von der Schlafenden, von ihrem Unterbewußtsein, von den Traumbildern. Das ist auch bildnerisch deutlich dargestellt. Denn der Alb hockt auf dem Parasympathikus der weißen Frau, dem Ortes des vegetativen Nervensystems.  Die Vertiefung, der Hügel von Brust und angezogenem Bein oder Beinen, ist auffällig. Aber eben auch die ergeben hingegossene Haltung der Frau. Dies Bild sagt uns einerseits JA und andererseits NEIN.

Zum JA gehört aber auch das Pferd, dem wir bisher rein funktionale Zuschreibungen gaben. Aber kann es im beginnenden Albtraum nicht auch handelnde Funktion übernehmen. Sind die Augen wirklich blind, oder sind sie verblendet, starr aufgerissen ob dessen, was gleich passieren kann, der Vereinigung mit dieser schönen Frau? Blind vor Lust?


Aber sobald wir als Zuschauer uns hier Gedanken machen, echte Voyeure werden, ist eine neue Ebene erreicht. Denn wir sind ab jetzt in die Strategien des Alb miteingebunden. Jeder Gedanke von uns, jede Interpretation läßt den Alb vor Freude erglühen, sein Spiel geht auf. Und dazu müssen wir nicht einmal schlafen oder träumen. Er schlägt uns mit unseren eigenen Gedanken und Gefühlen: Das Dunkle ist der Schrecken, das Böse; das Weiße ist die Unschuld, die Frau.


Aber, wir gehen noch weiter und wagen auch diese Deutung: Vielleicht war der Maler Füssli hier auch nur der clevere und geschäftstüchtige Vollstrecker einer nach Erotik in anderem Gewand dürstenden Männergesellschaft. Vielleicht hat er ganz rational die Bestandteile für ein Bild zusammengestellt, das auf jeden Fall Aufmerksamkeit, ja Skandalträchtiges beinhaltet. Vielleicht hat er aus Prestigegründen und aus finanziellen Motiven knallhart erotisches Einmaleins  für ein aufsehenerregendes Bild in dieser Komposition vereint? Gibt es einen, der – wir sind 1790/91 – Auftraggeber ist? Wer ist der Käufer und wie verläuft die Provenienz des Gemäldes, bis es 1953 im Goethemuseum landet, wo es sicher auf Dauer bleiben wird. Das müssen wir ein andermal näher untersuchen. Aber, dies Bild hier zu Hause im Goethehaus, das hätte Goethe durchaus gefallen, der ein zwiespältiges Verhältnis zu Füssli hatte, aber ihn eben auch hoch schätzte. Fortsetzung folgt.



Foto:

Johann Heinrich Füssli: Der Nachtmahr, Öl auf Leinwand, 1790/91, Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Foto: David Hall



Info:

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 10.00-18.00 Uhr, Sonn- und Feiertage, 10.00-17.30 Uhr
Abweichende Zeiten: 14.04. (Karfreitag) geschlossen; 06.06. (Wäldchestag) 10.00-13.00 Uhr

Ausstellung im Goethemuseum bis 18. Juni 2017;
Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover 22. Juli  15. Oktober 2017

Katalog: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wirklichkeit, hrsg. von Werner Busch und Petra Maisak, Michael Imhof Verlag

Das reichhaltige Rahmenprogramm wird noch vorgestellt.