Diane Arbus-Ausstellung im Gropiusbau in Berlin geht zu Ende

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Was heißt schon normal? Diese Aussage, die ja keine Frage ist, kommt einen flugs über die Lippen, wenn man die über 200 Fotos der amerikanischen Fotografin im Gropiusbau anschaut, die immer DEN MENSCHEN abbilden, dessen Norm es nicht gibt, sondern nur die Vielzahl der unterschiedlichsten Menschen, die einem deutlich sagen: „Nichts und niemand ist ‚normal’, was im Umkehrschluß heißt: „Nichts Menschliches ist mir fremd, es ist alles normal!“

 

Na ja, manchmal muß man schon schlucken, denn unter diesen Menschen sind Prachtexemplare, denen Sie lieber nicht abends im Dunkeln im Park begegnen möchten. Und dann auf einmal „Zwei Damen im Automatenrestaurant“, eine Aufnahme aus New York aus dem Jahr 1966. Es haut einen um, so eine Mischung von aufgebretzelter Wohlanständigkeit und russischer Mafia. Solche Figuren kann man gar nicht erfinden, die muß man finden, wie es Diane Arbus ihr Leben lang gelungen ist. Die im Gropiusbau ausgestellten Fotografien allerdings sind fast ausschließlich aus den Sechziger Jahren in New York, was der Schau eine kulturhistorische Dimension gibt, was Kleidung, Frisuren, Haltungen angeht, die uns heute zeigen, wie weit diese Zeit entfernt liegt. Äußerlich.

 

Diane Arbus, selbst 1923 in der City von New York geboren, hatte ihr Handwerk bei mehreren berühmten Fotografen gelernt und reüssierte schnell und veröffentlichte vor allem Porträts in Zeitschriften wie Harper’s Bazaar und Esquire, aber auch ganze Fotoserien mit einem inhaltlichen Schwerpunkt. 1963 und 1966 erhielt sie dann Guggenheim Fellowships für ihr Projekt AMERIKANISCHE RITEN, SITTEN UND GEBRÄUCHE, für das sie durch die USA reiste und alles aufnahm, was ihr bedeutsam schien: „Ich möchte sie einfach bewahren, denn was feierlich, seltsam und gebräuchlich ist, wird zum Mythos,“, sagte sie, die nun selber zum Mythos wurde, weil ihren Fotografien das Seltsame und Bedeutende anhaftet, seien es nun völlig unbekannte Menschen oder die weltberühmten Stars, die auch in Berlin eine Rolle spielen. Das Leben und die Arbeitsbedingungen der Diane Arbus finden in den letzten zwei Räumen eine interessant aufbereitete intensive Würdigung und Aufklärung.

 

 

Zurück zu den Bildern. Zwar fanden wir nicht die von uns russisch attribuisierten Damen, aber der Katalog beginnt mit der Aufnahme der ‚Russischen Liliputanerfreund in einem Wohnzimmer in der 100th Street, New York City aus dem Jahr 1963. Eigentlich aber sehen Sie in eine russische Wohnstube des 19. Jahrhunderts, wo noch die Schürzen über dem guten Kleid getragen wurden und auch noch die Jugend wußte, was sie dem Alter schuldig ist. Liliputaner? Ja, das auch, aber es ist nur  eine weitere Seite dieser Menschengruppe, denn die Fotografien von Diane Arbus sind nie despektierlich, sie verachten niemanden, sie achten jeden. Tatsächlich sind in unseren Augen viele Dargestellten komisch und lächerlich und wir lachen auch. Aber wir lachen diese Figuren nicht aus, weil Diane Arbus ihnen ihre Würde läßt, besser: sie verleiht ihnen eine, auch wenn die Dargestellten davon gar nichts wußten, diese gar nicht fühlen.

 

Eine eigene Überlegung für sich sind die Titel ihrer Aufnahmen, die die Ausstellungsmacher von ihrer Beschriftung übernommen hatten, auch wenn die oft sehr allgemein war, wie beispielsweise FRAU MIT PERLENKETTE UND –OHRRINGEN, New York City, 1967. Da schaut einen bärbeißig eine sich sehr in der Welt zu Hause fühlende, als Dame hergerichtete Frau an, über deren Blick, ihre überschminkten Lippen und die Mimik beispielsweise man selbst gleich einen Roman verfassen will. Und genau da fällt einem auf, daß es einem ständig so geht. Die Aufnahmen der Menschen, sehr viele aus dem FKK-Bereich, also Nacktbadeanlagen, andere leicht bekleidet oder etwas obszön, alle erzählen Geschichten. Jede neue Aufnahme eine neue Geschichte und man beginnt, diese individuellen Geschichten im eigenen Kopf zu verbinden und erhält so auch ein gesellschaftlichen und geselliges Panorama dieser Zeit.

 

Das Eigentümlich der Arbus-Fotografien ist dann sogleich, daß sie einerseits zeitbezogen, andererseits universell sind und so ist man hin und hergeworfen, selbst einen historischen Blick einzuüben, sich aber gleichzeitig zu versichern, daß man das ALLGEMEIN MENSCHLICHE  vor sich hat, völlig unabhängig von Zeit und spezieller Gesellschaft. Daß sie so oft Menschen aufnimmt wie Transvestiten, Kleinwüchsige oder Menschen mit Behinderungen, Alte, Kranke, Kinder etc. begründet sie selbst damit, daß sie DIE SCHWEIGENDE MINDERHEIT fotografiere. Dem gegenüber stehen dann eindrucksvolle Porträts von Helene Weigel oder Marcel Duchamps, Jorge Luis Borges und so vielen anderen Berühmtheiten ihrer Zeit. Am Montag, 24. September geht die Ausstellung zu Ende, weshalb wir sie rasch noch sehen wollten und froh darüber sind. Danach gibt es nur noch den Katalog.

 

Verlängert bis 24. September

 

Katalog: diane arbus, Verlag Schirmer und Mosel, 2003/2011. Es handelt sich um die Wiedergabe eines Buches, das 1972 von ihrer Familie und Freunden gestaltet wurde und wo man beim Blättern alle Gefühle wiederfindet, die einen schon in der Ausstellung begleiteten. Es geht um die Jubiläumsausgabe zum 40. Geburtstag des Originals, das mit heutigen technischen Mitteln sehr opulent ausfällt. Auf 15 Seiten werden erst einmal Aussagen von Diane Arbus Tonbandaufzeichnungen -  Mitschnitte von Seminaren, die sie hielt, Interviews - sowie aus ihren Schriften zitiert, die eine interessante weitere Dimension ihrer Arbeit dem Betrachter erklären. Es langt aber auch, die Aufnahmen erneut in aller Ruhe zu betrachten, um mehr über die Welt zu wissen.

 

Schirmer und Mosel hatte auch von ihr REVELATIONS/OFFENBARUNGEN. DIE GROSSE MONOGRAPHIE  herausgegeben sowie UNTITLED, mit einem Nachwort von Doon Arbus.