Serie: SCHWARZE ROMANTIK. VON GOYA BIS MAX ERNST im Frankfurter Städel, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – GLOTZT NICHT SO ROMANTISCH hat Bertolt Brecht uns Menschen empfohlen und er hätte an der Ausstellung im Frankfurter Städel zur Nachtseite der Romantik seine helle Freude gehabt, denn die Biedermänner, die mit Recht und Anstand im Mund ihre rabenschwarzen Seelen in Abgründen verlieren und so manches fremde Leben dabei mitnehmen, „die hab' ich gern'“, souffliert Wolf Biermann dazu.

 

Brecht hat dieses romantische Glotzen durch Verfremdungseffekte verhindern wollen, Kurator Felix Krämer sorgt nun im Frankfurter Städel dafür, daß wir zwar glotzen, denn er hat mit gewaltigen Leihgaben aus aller Welt diese Ausstellung von der schwarzen Seite der Romantik mit über 200 Gemälden, Skulpturen, Grafiken, Fotografien und Filmen tatsächlich 'geklotzt', aber romantisch wird uns dabei ganz und gar nicht zu Mute – ganz in seinem Sinne und im Sinn der Künstler, die das Schwarze beschwören, damit die Tagesromantik nicht überhand nimmt. Denn die lullt uns ein, mit den eigenen Sehnsüchten und Hoffnungen auf einen neuen Tag, die Ausstellung im Städel aber zeigt, was passiert, wenn die Vernunft schläft.

 

Die berühmte Radierung von Goya hängt mit vielen anderen aus dem eigenen Haus auch in der Ausstellung, die wenigstens wissen um ihre wahre Bedeutung und Goya ist der erste Hexenmeister, der auch in seinen Gemälden – herrliche Leihgaben aus Madrid – den Ton angibt. Das Grauen liegt in uns selbst. Denn schließlich ist es nicht nur ein selbstreinigender Akt, die Vernunft nicht schlafen zu lassen, sondern zuvor muß es für Menschen immer wieder Auswege, Touren, Eskapaden aus dem normalen Leben geben, wie es die Fastnacht, der Karneval beispielgebend ausdrücken. Mit einem Wort, es ist ein dualistisches Prinzip, das auf den Tag die Nacht folgt und auf die Sonne der Schatten und auf Liebe oft Haß, auf Mitleid Neid und was es sonst noch an dichotomischen Gefühlen und Tatbeständen gibt, die alle das Komplementäre am Gegenstand und am Seelenhaushalt meinen.

 

In Deutschland hat sich dies als literarisches Genre so wuchernd wie in keinem anderen Sprachraum ausgelebt. Sei es E.T.A. Hoffmann, die Gebrüder Grimm oder die phantastische Literatur, die Topoi schufen, die uns sofort vor Augen kommen. Was man mit Staunen im Städel sieht, ist, wie gering dagegen die Bildgewalt deutscher bildender Künstler wird, wenn es um die Schwarze Romantik geht. Insofern kann man die erst einmal ungewöhnliche Entscheidung des Kurators schnell sehr gut verstehen, daß er Länder über ihre Künstler sprechen läßt. Das sind neben Spanien vor allem die Engländer mit William Blake und Thomas Cole und dem aus der Schweiz geliehenen Johann Heinrich Füssli, der als Fuseli mit dem NACHTMAHR von 1790/91 aus dem Goethe-Haus für ewig das Synonym für unbewußte Ängste und sexistische Träume schuf. Der Auftaktraum ist eine Ausstellung für sich und das Geld schon hier wert.

 

 

bis 20. Januar 2013

 

Katalog: Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst, hrsg. von Felix Krämer, Verlag HatjeCantz 2012. Bei Ausstellungen wie dieser, die Gedanken befrachtet sind und deren Bilder nicht nur die Schauseite, sondern selbst auch ihre Rückseite haben, ist es immer besonders wichtig, den Kontext von Ausstellung und Werken noch einmal genau nachlesen zu können. Denn tatsächlich ist diese Bilderschau über die Nachtseite der Romantik nur mit dem literarischen Wissen, der Kenntnis der entsprechenden Filme, auch der Musik und der Theaterstücke erfolgreich zu verarbeiten, so viel Grausen und Gänsehaut auch das alleinige Schauen der Bilder in der Ausstellung produziert. In zwei Beiträgen zur SCHWARZEN ROMANTIK und UNHEIMLICHEN BILDERN gehen Felix Krämer und Johannes Grave den geistesgeschichtlichen Spuren nach, bevor Hubertus Kohle ALBTRAUM-ANGST-APOKALYPSE beschwört und damit das Unheimliche und Katastrophale in der Kunst der Moderne erläutert. Der Katalog versucht von Seite 54 bis 269 den ausgestellten Bilder mit nur kurzem Vorspann genug Raum zu lassen, was gelingt. Und dennoch sind wir froh, daß sich erneut Essays anschließen, die die Literatur als Vorläufer (Roland Borgards) und den Film als Nachmacher (Claudia Dillmann) beleuchten.