Serie: Pergamon. Panorama der antiken Metropole im Pergamonmuseum in Berlin, Teil 1
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Panorama im Panorama sozusagen. Wer aus der Geschichte und Kunstgeschichte die Panoramen des 19. Jahrhunderts nicht kennt oder nichts weiß von den heutigen Panometern, die Yadegar Asisi aus Gasometern von Leipzig und Dresden im Stil von damals, aber mit den neuesten technischen Mitteln gezaubert hat, der ist noch überraschter, wenn er die vielen Schritte Eisenleiter hochgegangen ist, in diesem temporären Bau im Ehrenhof des Pergamonmuseums und von der Plattform aus auf das alte Pergamon von 129 vor Christus im Frühjahr hinuntersieht, die Vögel zwitschern und die Leute sprechen hört – ja, am durchdringendsten kläfft der Hund!
Aber ehrlich gesagt ist, auch wenn man Panoramen kennt, der Eindruck einfach überwältigend. Dieses Pergamon, das das große Rom so gerne nachahmen wollte, kommt einem fast größer vor als das Rom des Konstantins von 312 nach Chr., das Asisi schon staunenswert nachgebildet und nachgebaut hatte. Das hätte den Pergamesen gefallen! Noch eindrucksvoller als Rom! Denn romorientiert wurden sie, obwohl sie als Teil des ehemaligen Seleukidenreiches – angesiedelt in Kleinasien zwischen Troja im Norden und Ephesos im Süden, heute alles Türkei - griechischen Ursprungs sind und jahrhundertelang wie alle umliegenden Völker und Reiche an Alexander den Großen und an Athen anschließen und es erneuern wollten. Den geschichtlichen Hintergrund wollen wir kurz halten und nur auf diesen doch eigentlich ungeheuren Vorgang verweisen, daß Attalos III. als letzter König der Attaliden-Dynastie im Jahr 133 vor Chr. sein Reich und sein Volk dem Senat von Rom vermachte und der es auch gerne in Besitz nahm. Das nur kurz zum historischen Verständnis der Situation von 129 vor Chr. und diesem Panorama, das wenig Römisches und viel Griechisches in einem zeigt.
Nun aber zum überwältigenden Rund des Panoramas von Pergamon, wie es Asisi uns sichtbar und fühlbar macht. Wir befinden uns an der Stelle der Plattform, der der Akropolis gegenübersteht. Während wir noch die einzelnen Tempel identifizieren, der des Zeus muß einfach sein, aber die lokalen Gottheiten spielen auch eine große Rolle, wird es dunkel. Das kennen wir aus dem Konstantin in Rom-Panorama, wenn die Nacht kommt, aber das Leben weitergeht. Denn wir sind im Süden und die Dunkelheit heißt erst einmal nicht Stille. Man hört die Händler da unten und man hört die auf den Treppen Schreitenden einander begrüßen, hört Fluchen, hört Freudelaute – ja, ja, kann schon sein, daß man da ein bißchen phantasiert, aber das soll man auch, denn schließlich ist ein solches Panorama keine filmisch völlig überrollende 360 Grad Maschinerie, sondern im Gegenteil die Folie, die uns ein Eintauchen in diese Antike möglich machen soll. Von uns also Hinschauen und Hinhören fordert, auf daß wir unsere eigene Wege gehen durch dieses Pergamon, die sicher für den historisch Bewanderten anders aussehen als für den Laien.
Aber hierin liegt die Kunst dieser Anfertigung von Panoramen, daß sich jeder dort holen kann, was ihm auf seiner Erfahrungsstufe möglich ist. Und ehrlich gesagt wird auch uns, die wir die griechischen Götter gut kennen, die pergamesische Geschichte auch und mit den Anschauungsobjekten im Rund wie dem Theater mit seinen steil ansteigenden Stufenreihen unter uns, der Arena und dem Hippodrom weit links und dem Pergamonaltar links unter uns und erst recht mit der Akropolis da oben viel anzufangen wissen, daß uns unser Vorwissen trotzdem fast ein bißchen egal wird. Denn wir schauen gebannt auf die weißen Statuen, die in der Nacht um die Wette leuchten und die Tempel, die aus dem Dunkel auftauchend ihre Göttlichkeit anmahnen. Allein die hunderte von Metern steilabfallenden Wände der Akropolis machen diese zum Olymp. Grandios ist das. Wir lauschen in die Nacht, hören die immer stiller werdenden Pergamesen und sind schon mit den ersten Zwitscherlauten und einer entsprechenden Musik als Hintergrund – Eric Babak- wieder früh am Morgen angelangt, wenn das Leben erneut beginnt. Fortsetzung folgt.
Bis 30. September 2012
Begleitbuch zur Ausstellung:
Pergamon. Panorama der antiken Metropole, hrsg. Von Ralf Grüßinger, Volker Kästner und Andreas Scholl, Michael Imhof Verlag 2011. Ein Ziegelstein dieses Begleitbuch. Aber das darf man bei einer solch imposanten Angelegenheit wie Pergamon auch erwarten, wo ja alleine der in Berlin befindliche Pergamonaltar das menschliche Begreifen übersteigt, wie nämlich all die Steine und Steinplatten den Weg aus Vorderasien nach Berlin gefunden haben. Diesmal aber geht es um die Region aus der er herstammt und wo der Altar selbst am Ende der Ausstellung den krönenden Schlußpunkt setzt. Dieser Katalog ist einer für das ganze Leben, denn er enthält Grundsätzliches zu Geschichte, Kultur und Religion von Pergamon und geht auf alle regionalen Besonderheiten ein, Entdeckungs- und Grabungsgeschichte, Topographie und Architektur, Herrscher und Hof, Kulte und Heiligtümer, Pergamon als Polis – im Unterschied zur Metropolregion, Skulptur und Handwerk. Insbesondere die abschließende Rezeptionsgeschichte der Funde, die ab Seit 378 einsetzt, ist spannend und erhellend zudem.
Der Katalogteil folgt ab Seite 422 und führt dreispaltig im Bild (farbig!) die Ausstellungsexponate der einzelnen Ausstellungsteile vor und gibt neben den bibliographischen Angaben- bei Fundstücken sind dies Ort, Zeitpunkt, Herstellungsangaben, Material sowie heutiger Aufbewahrungsort - auch Hinweise zur Auffindung oder der Funktion, ihren Gebrauch und das Besondere des Gegenstandes. Wenn es sich dabei beispielsweise um die „Statue eines bärtigen Gottes, ‚Zeus Ammon‘ handelt, dann gehen auch vier Spalten drauf. So kommen für den ersten Teil 26 Exponate zusammen, für den zweiten 39, den dritten 158, den vierten 18, den fünften 64, den sechsten 68, den siebten 13, den achten 13, den neunten 16, den zehnten 12 in Wort und Bild erlebbare Ausstellungsstücke.
Abgesehen davon, daß Sie zu Hause dann froh sind, sich so die gesehen Stücke noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, und beispielsweise vergleichen zu können mit anderen Stücken in anderen Teilen der Ausstellung, ist einfach die Gesamtheit des Bandes das Wunderbare, weshalb man aus guten Gründen von einem Buch fürs Leben sprechen kann.
Panorama-Bild und Textband der asisi GmbH, 2011. Würdigung folgt.
Foto: Yasegad Asisi vor seinem Panorama