Der Friedensnobelpreis 2012 geht an die Europäische Union

 

Klaus Hagert

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das ist das übliche Ritual. Nach der Verleihung der Nobelpreise zu des Stifters Alfred Nobels Geburtstag in Stockholm, geht es einen Tag darauf in Oslo weiter, denn ein Friedenspreis war damals bei der Einrichtung der Nobelpreise so wenig angesagt, wie einer für Musik oder für Sport. Letzteres erledigen Weltmeisterschaften und Olympiade und der Internationale Ibsenpreis wird von der norwegischen Regierung für Theater, Tanz und Musik  ausgelobt und mit 330 000 Euro honoriert. 2012 bekam ihn der Frankfurter Komponist, Theatermacher und Künstlerische Leiter der Ruhrtriennale Heiner Goebbels.

 

Recht überraschend ist der Europäische Union in diesem Jahr der Friedenspreis zuerkannt worden, den man für eine der vielen Frauen, die in die Krisengebiete Menschlichkeit bringen, erhofft hatte, einfach, weil Frauen bei den stark naturwissenschaftlich ausgerichteten Nobelpreisgebieten traditionell kaum zum Zuge kommen. Das war der eine Einwand. Über andere diskutieren wir kurz, wenn der Ablauf der Preisverleihung am gestrigen Montag in Oslo geschildert ist.

 

Die politischen Spitzen waren anwesend, hier wie da. Es war die gesamte EU-Hierarchie gekommen wie auch 20 Regierungschefs der EU-Länder, die feiern wollten und sich feiern ließen. Das war drinnen im Rathaus von Oslo. Draußen waren die Norweger nicht nur desinteressiert am Vorgang, sondern innerlich gegenüber der EU immer ablehnender gesinnt. Nach zweimaligem NEIN der Bevölkerung zu einem EU-Beitritt, ist inzwischen die Bereitschaft zur Mitgliedschaft noch einmal immens gesunken und steht bei 18 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

 

Der Friedenspreis-Komiteevorsitzende und ehemalige norwegische Ministerpräsident Thorbjörn Jagland dagegen schwört auf die friedensstiftende Kraft der Europäischen Union. In seiner Ansprache wehrte er sich gegen jeglichen Anspruch auf Vollkommenheit, der bezüglich der EU erwartet werde und sagte: „Wir sind nicht hier versammelt, weil wir glauben, daß Europa perfekt ist“. Der Preis gelte einem Europa, das seine Probleme gemeinsam lösen wolle. „Was dieser Erdteil erreicht hat, ist wirklich fantastisch…In diesem Prozeß war sie die führende Kraft und dafür verdient sie den Nobelpreis.“

 

Zuvor war ausgehandelt worden, wer in Oslo für die EU den Preis entgegennehmen werde. Daß dies eine reine Männerveranstaltung werde, war ziemlich sicher. Bei den drei ausgewählten Großkopferten sind politischen Repräsentanzprobleme kein Problem. Stellvertretend für die einzelnen Mitglieder der EU, das sind so etwa 500 Millionen Europäer, nahmen der Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der Präsident des Europarats Martin Schulz die Auszeichnung in Empfang. Der Friedensnobelpreis ist immerhin 927 000 Euro wert, die den Kinderhilfsprojekten in Krisengebieten  zu gute kommen sollen.

 

In den Dankensansprachen wurden die Gründe genannt, weshalb dieser Preis seine inhaltliche Entsprechung habe. Dabei war ein Hauptpunkt  die gelungene Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, für die nach zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert gilt, daß das Ausmaß der Feindschaft  heute kein Mensch mehr vorstellen kann. In der Tat ist der Mentalitätswandel vielleicht bei keiner anderen Frage so deutlich wie im ehemaligen deutsch-französischen Konflikt. Wenn heute junge Leute die Hetzlieder und Gedichte- „Jeder Stoß, ein Franzos’“, „Jeder Schuß, ein Ruß’“ - aus dem ersten Weltkrieg hören, die damals ganz offiziell in den Geschichtsbüchern standen, verstehen sie die Welt nicht mehr und halten das für inszeniertes Theater.

 

Eine zweite gewaltige Dimension betrifft den Fall der Mauer und mit ihr eines ganzen Gesellschaftssystems, das zuvor für Europa konkurrierende Modelle gebracht hatte, die Scheidung in Ost und West und damit auch potentiellen Streit, was seit 1945 ein möglicher Dritter Weltkrieg bedeutet hatte. Im Süden Europas hatte es in drei Ländern, in Spanien, Portugal und Griechenland Militärdiktaturen gegeben. Erst deren Beendigung und der Prozeß der Demokratisierung waren dann Voraussetzungen für den Beitritt zur EU. Auch die Länder des ehemaligen Jugoslawiens haben inzwischen durch den Wunsch, Mitglied zu werden, die schärfsten Nachbarschaftskonflikte kleingedreht. Es spricht also alles für einen befriedeten Kontinent, der seit Jahrtausenden nur Kampf und Krieg kannte.

 

Zwei Argumente bleiben jedoch, die gegen die Preisvergabe vorgebracht werden. Das ist zum einen die Rolle, die Europa als Waffenlieferant der Welt spielt, demnach immerhin ein Drittel der Waffenproduktion von hier kommt sowie die Abschottung an den äußeren Grenzen Europas gegenüber Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen.  Das zweite Argument, das gegen die Preisvergabe vorgebracht wurde, ist der Zeitpunkt. Die Krise des Euro und damit das potentielle Herausfallen, ja Herausschmeißen ganzer Länder aus der Eurozone  - so war sehr lange die Diskussion um Griechenland – konterkariert  naturgemäß die Lobreden auf die Europäische Union als gemeinsame friedensstiftende Kraft.

 

Pikant war auch Folgendes: In den Fernsehbildern aus Oslo konnte man von den drei Spitzeneuropäern lange den dritten, Martin Schulz, SPD, nicht sehen. Stattdessen wurde Angela Merkel, CDU, eingeblendet, die warme Worte fand. Ganz am Schluß des Beitrags kam auch Martin Schulz zu Wort. Allerdings hatte er nur auf die Frage zu antworten, was man von Berlusconis Ankündigungen halten solle, erneut in den politischen Ring zu steigen. Die Antwort der Börsen war glasklar und knallhart: in den Keller. Italien wurde sogleich als potentieller vierter schwächelnder  Staat eingeschätzt.