.. was Mann/Frau von einem Specht nicht lernen sollte
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) - Er hatte schon einige Stämme angetrommelt und dabei trichterartige Löcher hinterlassen. Der Holzstaub hatte ihn nie gestört, feine Federchen über den Nasenlöchern filterten ihn weg. Gehirnerschütterung war auch nie fällig, ein Stoßdämpfer zwischen der breiten Schnabelbasis und dem Schädel minderte die Erschütterung beim Zimmern seiner Spechthöhle. Die aber musste exklusiv sein. Denn Specht-Damen leben in Polyandrie, das ist eine Form von Polygamie, bei der eine Vogel-Frau mit mehr als einem Vogel-Mann verheiratet ist. Erst in höherem Alter sucht sich die Specht-Dame einen erfahrenen Specht-Herrn und wird monogam.
Die Höhle musste Platz für vier bis sieben Eier haben, und unser Specht hatte schließlich eine besonders exklusive Unterkunft im Holz einer morschen Kiefer gezimmert, mit zwei Löchern, für Einflug und für Ausflug. Wahrscheinlich hatte ihm das eine erfahrene Specht-Dame verklickert.
Nicht bemerkt hatten beide, dass die morsche Kiefer für ihre Besitzer eine wichtige Funktion hatte. Sie stand mit ihrem einzigen verbliebenen, ausladenden Ast wie der Pfeiler eines Torbogens am Eingang ihres Grundstückes. Der Stamm darüber war schon vor langer Zeit abgesägt worden, offenbar um einem Telefon-Kabel freie Bahn zu schaffen. Doch der weit gefächerte Ast trug noch Nadeln und Zapfen in großer Menge. Das änderte sich allmählich, als Herr Specht Ein- und Ausgang für seine Höhle gezimmert hatte.
Den Kiefer-Besitzern fielen zunächst weiße Flecken auf der Rinde des Stammes auf, unterhalb eines wohlgeformten Loches, das zweite entdeckten sie erst später. Dann war klar: Herr und Frau Specht hielten wohl gelegentlich den Steert aus dem Fenster, nie am Eingang, immer am Ausgang. Das war in Ordnung gewesen, solange die Nadeln des Torbogen-Astes grün geblieben waren, doch langsam wurden sie braun. Nun kennen Mann/Frau ja folgende Forderungen:
Naturnahe Wälder müssen erhalten und entwickelt werden. Hierzu hat der NABU das Konzept „Lebendiger Wald“ erstellt. Es beinhaltet fünf Grundsätze, die bei der Nutzung des Waldes beachtet werden sollten:
Totholz entwickeln und bewahren, um einen wichtigen Lebensraum zu erhalten. Keine Kahlschläge Verzicht auf Gift und Chemie Naturverjüngung statt Anpflanzung Einsatz sanfter Betriebstechniken
Also kauften die Kiefer-Besitzer im Baumarkt eine sanfte Betriebstechnik, eine Holzstütze samt Metallfuß für den Ast. Nicht gerechnet hatten sie mit der Bereitschaft von Herrn und Frau Specht, mitzuwirken an Punkt 1: „Totholz entwickeln“! Das tun sie mit Genuss: Unter mehr und mehr weggefetzter Rinde der endgültig sterbenden Kiefer haben sie ihre nächst gelegene Imbiss-Bude entdeckt, Käfer und Würmer auf kürzestem Weg, sie müssen nicht mal mehr fliegen.
Kahl steht bald die Kiefer und wankt im Sturm, sie muss weg. Die Spechts haben geholfen, kaputt zu machen, was ihr Heim hätte bleiben können. Davon wissen sie nichts, sie haben einen Stoßdämpfer für ihr Hirn. Herr Specht trommelt schon wieder an der nächsten Kiefer.
Ohne Stoßdämpfer für's Hirn sollten Mann/Frau wissen, dass sie längst dabei sind, kaputt zu machen, was ihr Heim hätte bleiben können.
Foto:
© KJS