In der Frankfurter Paulskirche ist am 27. September auch Nobelpreisträger Eric Kandel dabei
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Morgen werden in der Frankfurter Paulskirche gleich zwei Preise vergeben: zum einen wird Professor Wolfgang Oertel mit der Hertie-Seniorprofessur Neurowissenschaften in Höhe von einer Million Euro geehrt, zum anderen erhält die Nachwuchswissenschaftlerin Sonja Hofer den Eric Kandel Young Neuroscientists Prize in Höhe von rund 75 000 Euro – und der Namensgeber Eric Kandel ist anwesend!
Das allein hat so manchen bewogen, sich um ein Dabeisein in der Paulskirche zu bemühen. Denn mit dem Namen und der Person Eric Kandels ist die Geschichte Deutschlands, was die Nazis angeht, untrennbar verbunden, erst einmal naturgemäß unangenehm. Wir verdanken ihm, der sich aus der Heimat Wien im November 1938 in die USA retten konnte, aber auch eine Menge guter Gefühle, denn er hat – sehr, sehr spät – den persönlichen Mut aufgebracht und hat die Stadt, aus der er vertrieben wurde, aufgesucht und in ihr das Liebenswerte wiedergefunden, was tief in ihm verborgen war, von dem er selbst gar nicht wußte, daß es noch in ihm schlummert.
Auch wenn der Zusammenhang gewagt ist, zu formulieren, daß gerade der Verlust der Heimat das Movens war, weshalb er Hirnforschung unternahm und innerhalb dieser das Gedächtnis und seine Leistungen zum Mittelpunkt machte, nämlich wie sich Erinnerungen speichern, aus was sie sich konstituieren, so hat er doch selbst immer wieder betont, daß für ihn nicht das große Ganze, die Vertreibung, der Punkt des Schmerzes und der bohrenden Erinnerung war, sondern der Verlust seines gerade zum 9. Geburtstag am 7. November 1938 erhaltenen Elterngeschenkes, eines batteriebetriebenen, ferngesteuerten blau glänzenden Modellautos. Denn zwei Tage später vertrieben zwei Nazi-Polizisten den Jungen, seinen Bruder und die Mutter in wenigen Minuten aus der Wohnung, wohin sie nach einigen Tagen zurückkehren durften: das neue blaue Auto aber war weg. Überhaupt ist die ganze Wohnung geplündert worden, aber dem Neunjährigen geht es um sein Auto und zudem nimmt er es sich übel, daß er nicht daran gedacht hatte, es einfach einzustecken und mitzunehmen, wie sein Bruder, der seine Briefmarken- und Münzsammlung so rettete.
Der Verlust des Autos wird gewißerweise Lebensmotto für Eric Kandel, denn gerade dieser Geschichte entnimmt er die wichtigste Erkenntnis zum Gedächtnis und dem Erinnern: es sind nicht die Erinnerungen selbst, gewissermaßen autonom und von daher als biologische Erinnerung bezeichnet, sondern es ist die Art und Weise, wie wir unsere Erinnerung als Vorstellung im Gedächtnis pflegen, quasi ein narrativer Akt. Das hat uns damals, das war im Juni 2009 derart überzeugt, daß wir diese, seine Geschichte noch heute im Gedächtnis haben – biologisch oder als Vorstellung!
Die Preisverleihung in der Paulskirche beginnt am 27. September 2013 um 18 Uhr und hat einen weiteren Programmpunkt. Es findet eine Diskussionsrunde zum Thema „Der kreative Mensch: Kunst und Wissenschaft im Gespräch“ statt, die von Gert Scobel moderiert wird, der seine Sendung bei 3 sat hat und in Frankfurt seit dem Jahr 2005 auch der Moderator zum Deutschen Buchpreis im Kaisersaal des Frankfurter Römer ist. Er diskutiert mit „dem amerikanische Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel, der Fotokünstlerin und Filmemacherin Herlinde Koebl und dem Maler Markus Lüpertz, eine wirklich ansehnliche Runde. Wir wollen von der Preisverleihung und der Diskussion berichten.
Foto: Eric Kandel mit Frau inmitten der Herren vom Hertie Forschungsinstitut an der Universität Tübingen
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