Was Harmonie, Dissonanz und die Jagd nach Toren miteinander zu tun haben
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Ich habe leider nie gelernt, ein Musikinstrument zu spielen. Beim Fußballspiel durfte ich allenfalls 'mal als Prellbock im Tor stehen. Politik habe ich beobachtet und kommentiert, aber nie selber gemacht. Musik, Fußball und Politik waren für mich bisher komplett getrennt wahrgenommene Lebensbereiche. Was für ein Fehler! Seit kurzem weiß ich das, und die Erkenntnis kam mir beim Autofahren. Wenn ich dabei allein bin, höre ich Klassik-Musik-Sender, übrigens auch beim Kochen, sonnabends stattdessen auch gerne die Fussball-Live-Konferenzen.
Kürzlich hatte ich die Anmoderation für das Konzert nicht gehört, hatte keine Ahnung, was ich da im Autoradio hörte. Mit Namen von Komponisten und Konzerten habe ich es nicht so. Es war, wie ich schließlich erfuhr, Wolfgang Amadeus Mozarts charmantes F-Dur-Konzert für drei Klaviere und Orchester. Und die drei Pianisten hießen Justus Frantz, Christoph Eschenbach und – Helmut Schmidt. Es war, wie ich weiter erfuhr, eine Erinnerung an den vor fünf Jahren gestorbenen fünften Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Nach der Autofahrt macht mich im Internet die „Süddeutsche Zeitung“ schlau: „Warum er sich überhaupt zu einer Schallplattenaufnahme hinreißen ließ, wird man vielleicht nie ganz ergründen. Dass es ihm gehörigen Spaß machte, sich darin von politischen Freunden und Feinden so demonstrativ zu unterscheiden, davon kann man ausgehen. Klar war, dass man um der optimalen musikalischen Wirkung willen selber aktiv werden musste, Fähigkeiten schon sehr lange Zeit vorher und allein aus sich heraus mit Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit und schier grenzenloser Ausdauer entwickeln musste, bevor sie akut gefragt waren. Aber das war ja ohnehin sein Grundcharakter.“
Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit! Um was entstehen zu lassen?
Harmonie zum zum Beispiel!
Aber Musik, auch klassische, muss nicht immer harmonisch klingen. Atonalität ist von Komponisten genutzt worden, um bewusst dissonante Effekte zu erzeugen. Aber auch sie nutzten, was universelles Merkmal der seit dem späten 13. Jahrhundert entstandenen klassischen Musik ist: die unveränderliche Anwendung eines standardisierten Systems präziser Notation, zuerst für Soloinstrumentalwerke, dann für erste Sinfonien, die während der Epoche der eigentlichen europäischen Klassik ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden. Und wie bei der Schrift war es wieder Religion, die dafür das System erfand. Katholische Mönche entwickelten die ersten Formen moderner europäischer Musiknotation, um die Liturgie in der gesamten Kirche zu vereinheitlichen. Vom mittelalterlichen, von Mönchen gesungenen Gregorianischen Choral über klassische und romantische Symphonien für Orchester aus dem 18. und 19. Jh. bis hin zu avantgardistischen atonalen Kompositionen aus dem 20. Jh. sticht ein Merkmal hervor: ohne Disziplin, ohne Konzentration und ohne Beharrlichkeit beim Lernen und beim Üben entstünde nicht der Klang, den sich ein Komponist ausgedacht hat.
Ein Orchester ist eine große Gruppe von Musikern mit vielen verschiedenen Instrumenten. Sie spielen gemeinsam und werden von einem Dirigenten geleitet. Wenn in einem Orchester mehr als 50 Musiker spielen, nennt man das Sinfonieorchester. Es gibt viel kleinere Gruppen, die zusammen Musik machen, oft ohne Dirigenten. Aber alle machen auf eine Weise Musik, die ihnen selbst und einem Publikum gefällt. Wie schaffen sie das?
Jeder einzelne akzeptiert die ihm zugeschriebene Aufgabe, die er oder sie nach bestem Können erfüllt. Wenn es sich um ein Gemeinschaftswerk handelt, werden einige leise oder sogar stumm, damit andere solistisch brillieren können. Andere stellen sich allein mit ihrem Instrument an eine Straßenecke und ihr Können wird belohnt von spontanem Publikum. ... Egal ob Straßenmusikant oder Sinfonieorchester, die Zuhörer entscheiden, ob sie die Musik für gelungen halten.
Und in einem Fußball-Stadion?
Hier lebt ein gutes Spiel nicht nur von einstudierten Rollen. Hier muss jeder Spieler mit Kreativität für einen anderen einspringen können. Ein Stürmer erkennt, dass sich der mitgelaufene Verteidiger in besserer Schussposition befindet. Er gibt den Ball ab und ermöglicht ihm so den Torschuss. Gelingt es einem Team, derart miteinander zu harmonieren, werden nicht bloß Zuschauer aus dem eigenen Lager das Spiel gerne gesehen haben.
Und in der Politik?
Zu Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit wird sich Kreativität und die Bereitschaft zum Abgeben gesellen müssen, wenn das Publikum zufrieden sein soll. Da wird auch kein Schiedsrichter helfen!
Foto:
Grafische Gestaltung und FotoNach der Autofahrt macht mich im Internet die „Süddeutsche Zeitung“ schlau: „Warum er sich überhaupt zu einer Schallplattenaufnahme hinreißen ließ, wird man vielleicht nie ganz ergründen. Dass es ihm gehörigen Spaß machte, sich darin von politischen Freunden und Feinden so demonstrativ zu unterscheiden, davon kann man ausgehen. Klar war, dass man um der optimalen musikalischen Wirkung willen selber aktiv werden musste, Fähigkeiten schon sehr lange Zeit vorher und allein aus sich heraus mit Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit und schier grenzenloser Ausdauer entwickeln musste, bevor sie akut gefragt waren. Aber das war ja ohnehin sein Grundcharakter.“
Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit! Um was entstehen zu lassen?
Harmonie zum zum Beispiel!
Aber Musik, auch klassische, muss nicht immer harmonisch klingen. Atonalität ist von Komponisten genutzt worden, um bewusst dissonante Effekte zu erzeugen. Aber auch sie nutzten, was universelles Merkmal der seit dem späten 13. Jahrhundert entstandenen klassischen Musik ist: die unveränderliche Anwendung eines standardisierten Systems präziser Notation, zuerst für Soloinstrumentalwerke, dann für erste Sinfonien, die während der Epoche der eigentlichen europäischen Klassik ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden. Und wie bei der Schrift war es wieder Religion, die dafür das System erfand. Katholische Mönche entwickelten die ersten Formen moderner europäischer Musiknotation, um die Liturgie in der gesamten Kirche zu vereinheitlichen. Vom mittelalterlichen, von Mönchen gesungenen Gregorianischen Choral über klassische und romantische Symphonien für Orchester aus dem 18. und 19. Jh. bis hin zu avantgardistischen atonalen Kompositionen aus dem 20. Jh. sticht ein Merkmal hervor: ohne Disziplin, ohne Konzentration und ohne Beharrlichkeit beim Lernen und beim Üben entstünde nicht der Klang, den sich ein Komponist ausgedacht hat.
Ein Orchester ist eine große Gruppe von Musikern mit vielen verschiedenen Instrumenten. Sie spielen gemeinsam und werden von einem Dirigenten geleitet. Wenn in einem Orchester mehr als 50 Musiker spielen, nennt man das Sinfonieorchester. Es gibt viel kleinere Gruppen, die zusammen Musik machen, oft ohne Dirigenten. Aber alle machen auf eine Weise Musik, die ihnen selbst und einem Publikum gefällt. Wie schaffen sie das?
Jeder einzelne akzeptiert die ihm zugeschriebene Aufgabe, die er oder sie nach bestem Können erfüllt. Wenn es sich um ein Gemeinschaftswerk handelt, werden einige leise oder sogar stumm, damit andere solistisch brillieren können. Andere stellen sich allein mit ihrem Instrument an eine Straßenecke und ihr Können wird belohnt von spontanem Publikum. ... Egal ob Straßenmusikant oder Sinfonieorchester, die Zuhörer entscheiden, ob sie die Musik für gelungen halten.
Und in einem Fußball-Stadion?
Hier lebt ein gutes Spiel nicht nur von einstudierten Rollen. Hier muss jeder Spieler mit Kreativität für einen anderen einspringen können. Ein Stürmer erkennt, dass sich der mitgelaufene Verteidiger in besserer Schussposition befindet. Er gibt den Ball ab und ermöglicht ihm so den Torschuss. Gelingt es einem Team, derart miteinander zu harmonieren, werden nicht bloß Zuschauer aus dem eigenen Lager das Spiel gerne gesehen haben.
Und in der Politik?
Zu Disziplin, Konzentration, Beharrlichkeit wird sich Kreativität und die Bereitschaft zum Abgeben gesellen müssen, wenn das Publikum zufrieden sein soll. Da wird auch kein Schiedsrichter helfen!
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© Klaus Jürgen Schmidt
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