Jahre nach der Flucht (7)
Hanswerner Kruse
Eigentlich wollte Ahmed Elfarrash nach der Prüfung als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in eine große Stadt gehen, am liebsten nach Berlin. Doch als ihm die Chefin der Schlüchterner Klinik für Psychiatrie die ärztliche Leitung der Station P 1 anbot, konnte er nicht widerstehen.
Schlüchtern (weltexpresso) - Nun bleibt der 32-jährige Oberarzt noch einige Jahre der Main-Kinzig-Klinik und dem Bergwinkel erhalten. Vor fünf Jahren kam er zufällig nach Schlüchtern, nachdem er sich bundesweit als psychiatrischer Assistenzarzt bewarb. Im engeren Sinne ist der Ägypter kein Flüchtling und musste als Mediziner keinen Asylantrag stellen: Er wurde 1988 in Nordägypten geboren, wuchs in einer weltoffenen Ärztefamilie auf und studierte ebenfalls Medizin. Damals litt das Land unter der Diktatur Husni Mubaraks und Elfarrash suchte nach Perspektiven. Die USA kamen nicht infrage, weil es dort - im Vergleich zu Deutschland - schwieriger war einen passenden Job zu finden und ein Visum zu bekommen. Also bereitete er sich auf unser Land vor, lernte in Kairo Deutsch bis zum B2-Zertifikat. Doch dann blies 2011 der „Arabische Frühling“ auch den langjährigen Diktator aus dem Amt.
Wie viele Ägypter schöpfte Elfarrash ebenfalls Hoffnung auf Freiheit und Demokratie und wollte im Land bleiben. Doch als die radikale Muslimbruderschaft mit Mohammed Mursi die Wahlen gewann, war es schon wieder vorbei mit dem demokratischen Aufbruch. Schrittweise zersetzte der neue Machthaber den Staat, bis ihn die Militärs 2013 aus dem Amt jagten. Das hatten sich zwar viele Menschen erhofft, doch die Junta verfuhr auch mit ihnen so brutal, dass es zu weiteren Unruhen kam.
Der junge Arzt und seine Freunde gingen wieder auf die Straße und wurden mehrfach von der Militärjunta verhaftet, sicherheitshalber ging Elfarrash Ende 2014 nach Deutschland. Er flüchtete - wenn man so will - und war seitdem nicht mehr in Ägypten. Bei uns wurde seine Approbation anerkannt und er konnte als Assistenzarzt arbeiten. Bei einem mehrmonatigen Praktikum in einer psychiatrischen Klinik kam er zum ersten Mal mit der Psychiatrie in Kontakt. Eigentlich interessierte ihn Orthopädie und Unfallchirurgie, doch die psychiatrische Sicht auf den Menschen faszinierte ihn viel mehr: „Die Mediziner haben meist mit diversen körperlichen Krankheiten zu tun, die sie - etwa auf Röntgenbildern - klar erkennen können. Doch in der Psychiatrie muss man herausfinden, was die Kranken haben. Dabei sehen die Ärzte den ganzen Menschen mit seiner Vorgeschichte und seinen Bezügen.“
Elfarrash spricht perfekt akzentfrei deutsch, wirkt wie ein europäischer Südländer und hat eine deutsche Freundin. Aber er leugnet seine arabischen Wurzeln nicht: „Ich freue mich, dass immer mehr Migranten und Flüchtlinge hierher kommen und es dadurch viele Speisen und Lebensmittel aus meiner alten Heimat gibt.“ Gerne trifft er sich mit seinen, in Berlin lebenden ehemaligen Kommilitonen und ägyptischen Freunden. Zusammen gehen sie vorderasiatisch essen und sprechen arabisch. Gleichzeitig ist er aber hier angekommen, schätzt die europäische Mentalität, die aufgeklärte Kultur der Offenheit und Freiheit: „Das passt einfach zu mir.“ Natürlich hat er Heimweh und Nostalgie, doch er versucht das auszugleichen durch Integration in die westliche Welt und Kontakte mit arabischen Migranten. Beide Kulturen prägen ihn, darin sieht oder erlebt er keinen Widerspruch.
„Ich bin interkulturell“, meint Elfarrash über sich, der Begriff trifft sehr gut die Lebenssituation dieses fröhlichen, zugewandten Gesprächspartners. Zwar hat er arabische Wurzeln, aber keine, nur durch die Herkunft bestimmte Weltsicht. Westliche und arabische Welt verbinden sich in ihm. Zwischen diesen Polen wird er nicht zerrissen, sondern daraus entsteht etwas Drittes, ein Leben in der Zwischenkultur - oder Interkulturalität.
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Hanswerner Kruse