wpo IMG 6824Jahre nach der Flucht (3)

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - Vor sechs Jahren kam die Syrerin Hanin Hizber auf der Flucht vor Bürgerkrieg und islamistischem Terror in ihrem Heimatland in den Bergwinkel.
Ihr Name Hanin bedeutet im Arabischen Sehnsucht...

„Erst hier habe ich mich selbst richtig kennengelernt“, meint die junge, westlich wirkende Frau im Gespräch, „bis dahin musste ich immer das machen, was andere von mir wollten.“ Das Gehorchen und die Erfüllung der arabischen Frauenrolle wurden reichlich von der mittlerweile 29-jährigen verlangt. Weniger in ihrer weltoffenen Geburtsstadt Damaskus, in der sie bis zu ihrem neunten Lebensjahr lebte, sondern radikal in dem extrem frauenverachtenden Saudi-Arabien. Weil ihr Vater dort selbstständig zu arbeiten begann, ging die Familie mit ihm. In der Hauptstadt Riad verbrachte Hanin, unter Burkas bis zum Abitur, ihre wichtigen menschliche Entwicklungsjahre vom Kind zur Erwachsenen, also auch ihre Pubertät.

Doch der Unterricht in der saudischen Schule war vollgestopft mit religiösen Inhalten - obwohl Hanin die Naturwissenschaften so sehr liebte. Ihre Reifeprüfung wurde weder in Syrien, wohin sie mit 19 Jahren zurückkam, noch später in Deutschland anerkannt. Gerne wäre sie Journalistin, Rechtsanwältin oder Politikerin geworden, doch diese Wünsche ließen sich deshalb nicht verwirklichen. Immerhin konnte sie vier Jahre lang in Damaskus Betriebswirtschaft und Management studieren, bis der Bürgerkrieg ausbrach. Aufgrund des mörderischen IS-Terrors und der kriegerischen Unruhen floh sie ohne Abschluss aus Damaskus. Über Saudi-Arabien, wo ihre Familie immer noch lebte, reiste sie Ende 2013 mit ihrer älteren Schwester nach Deutschland.

Damals herrschte in unserem Land noch großes Verständnis für Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg: Die waren in der Regel gut ausgebildet, lernten schnell Deutsch und entwickelten sich hier beruflich weiter. So bekam auch Hanin bald den begehrten „blauen Pass“. Der ermöglicht anerkannten Asylbewerber Reisefreiheit ins Ausland, doch sie dürfen dann keinen Pass ihres Heimatlandes beantragen.

Derzeit versucht Hanin über verschiedene akademische Hilfsprogramme für Migrantinnen, ihre Deutschkenntnisse zu perfektionieren und die Berechtigung zum Studium zu erlangen. Zwischendurch arbeitet sie immer wieder wenn sie gebraucht wird: In einem Büro erledigte sie eine Zeitlang gerne „den Papierkram“, seit einigen Wochen arbeitet sie befristet bis Oktober als Hilfskraft in einer städtischen Kindertagesstätte. Sehr stark engagiert sie sich mit ihren guten Deutschkenntnissen für den syrischen „Onkel“ Abou Hajar, einem Bekannten ihres Vaters. Der will hier einen Imbiss betreiben und kämpft seit Jahren gegen die Mühlen der deutschen Bürokratie (wir berichteten). Hanin wurde durch ihr Engagement zur Kämpferin für Gerechtigkeit und faire Regeln, da wundert es nicht, dass sie Sozialarbeit studieren will.

Frage an Clas Röhl
Der Deutsch-Schwede Clas Röhl (67) unterstützt uns mit Informationen aus seiner Arbeit mit Geflüchteten und kommentiert ihre angesprochenen allgemeinen Probleme.

Hanins Geschichte klingt nicht so dramatisch, aber wie kommt sie hier mit ihrem kulturellen Erbe klar?

Die kulturelle Umstellung ist für alle Geflüchteten eine große Herausforderung, kommen sie doch aus Kulturkreisen mit oft ganz anderen Werten und Vorstellungen. Bei Hanin ist diese Umstellung noch extremer, da sie viele Jahre im frauenfeindlichen Saudi-Arabien aufwuchs. Es ist allerdings beeindruckend zu sehen, wie sie sich mit diesem kulturellen Erbe nicht nur im Studium auseinandersetzt. Sie ist bestrebt, ihrer kulturellen Vergangenheit einen Sinn zu geben, auch positive Elemente darin zu finden und sie nicht als verlorene Jahre zu betrachten. So schafft sie es mit den großen Unterschieden zu leben und sich im deutschen Alltag zu behaupten.

Foto:
(c) Hanswerner Kruse