kinderscutzDas ‚Recht auf gewaltfreie Erziehung‘ ist seit 20 Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Kampagne „Stark durch Erziehung“ startet jedes Jahr am 30. April, dem „Tag des Rechts auf gewaltfreie Erziehung“, und endet mit dem „Tag der Kinderrechte“ am 20. November, dem Datum der Unterzeichnung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Anlässlich 20 Jahre „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ wurden die Initiator*innen der Kampagne „Stark durch Erziehung“, Stefan Schäfer, Geschäftsführer Deutscher Kinderschutzbund, Bezirksverband Frankfurt am Main, und Susanne Feuerbach, Amtsleiterin des Frankfurter Kinderbüros, interviewt.

„Stark durch Erziehung“ – das hat in diesem Corona-Jahr sicher einen besonderen Nerv getroffen. Wie war die Resonanz auf Ihre gemeinsame Kampagne?

Schäfer: Sehr groß. Vor allem während der ersten Welle hatte das Thema „Erziehung“ einen riesigen Stellenwert. Viele Familien waren mit ihren Fragen ganz auf sich allein zurückgeworfen, denn Entlastung durch Kita und Schule gab es ja nicht. Auch Erziehungsberatungsstellen oder Familienbildungsstätten konnten zumeist nicht besucht werden. Bundesweit hat unser anonymes Elterntelefon einen Zuwachs um 40 bis 50 Prozent erlebt. Insgesamt spürte man, dass die Verunsicherung sehr groß war. Bei unserem „Corona-Zeit mit Kind“-Telefon zum Beispiel drehte sich etwa jeder sechste Anruf um die finanziellen Existenzsorgen von Eltern. Und ganz besonders getroffen hat es hier wiederum die Alleinerziehenden, bei denen oft von einem Moment auf den anderen die Minijobs entfielen, keine Kurzarbeiterlösung in Sicht war oder Arbeit in Teilzeit nicht möglich war wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder.

Feuerbach: Deshalb war es so wichtig, dass wir mit „Stark durch Erziehung“ in diesem Jahr so offensiv in die Öffentlichkeit gegangen sind. Durch unsere Präsenz im öffentlichen Raum – auf Litfaßsäulen, in den Medien – konnten wir viel mehr und auch andere Gruppen von Eltern erreichen als sonst. Aber auch Kinder und Jugendliche haben sich häufiger mit ihren Fragen und Nöten an uns gewandt. Dabei hat sich insgesamt sehr bewährt, dass unsere Kampagne an den Ressourcen ansetzt, die Familien zur Verfügung haben. Die Erziehungsbotschaften, die wir vermitteln, sind positiv formuliert, wie etwa „Mut machen“ oder „Liebe schenken“. Das sind sehr gute Gesprächsanlässe mit den Eltern.


Dieses Jahr jährt sich die Verankerung des „Rechts auf gewaltfreie Erziehung“ im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zum 20. Mal. Ein schönes Jubiläum, aber was muss sich noch weiter tun, um Kinder und Jugendliche gemäß Ihrer Kampagne „Stark durch Erziehung“ zu stärken?

Feuerbach: Wir müssen auf jeden Fall die Mitsprache von Minderjährigen in den Blick nehmen. Wir dürfen nicht länger über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Kinder und Jugendliche konnten sich während des Lockdowns nicht oder nur sehr schlecht in Schul und Kitas beteiligen. Wir haben den Auftrag, das besser zu machen. Ich hoffe, unsere Kampagne „Stark durch Erziehung“ kann den Aufwind dieses Jahrs auch für die weitere Arbeit nutzen. Nächstes Jahr wollen wir wieder offensiv für das Recht auf gewaltfreie Erziehung werben.

Schäfer: Im Jahr 2019 haben wir gefeiert, dass Kinderrechte in die hessische Landesverfassung aufgenommen wurden: Das ist gut, reicht aber nicht. Mit der Beteiligung von Kindern ist es immer noch nicht weit her! Deshalb fordern wir, dass Kinder und Jugendliche überhaupt erst einmal angehört werden. Ihre stärkere Beteiligung an Entscheidungen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, was wichtig ist, was nicht so wichtig, ist dringend geboten. Dafür fordern wir breite Unterstützung! Mir ist nicht bekannt, dass man Kinder und Jugendliche einmal befragt hätte, wie sie sich denn die Lösung für ihren Schulalltag vorstellen unter Corona-Bedingungen. In diesen Trial-and-Error-Prozess, den wir momentan erleben, könnte man sie ruhig mit einbeziehen. Sie würden sicher genauso viele oder wenige Fehler machen wie die Erwachsenen. Aber wenigstens hätte man sie gehört und so manche Entscheidung wäre für sie nachvollziehbarer.


Momentan steigen die Infektionszahlen wieder sehr heftig an, die zweite Welle hat uns voll erfasst. Was sind für Sie die Lehren aus den bisherigen Corona-Erfahrungen?

Schäfer: Es ist sehr deutlich geworden, dass die Familien kräftig im Stich gelassen worden sind. Die wesentlichen institutionellen Betreuungseinichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten waren für viele ja nicht erreichbar. Dieser Fehler darf sich jetzt nicht wiederholen. Es darf doch nicht vom Portemonnaie der Eltern oder von dem willkürlich verhängten Etikett der Systemrelevanz abhängen, ob Kinder in die Schule oder Kita gehen dürfen. Die Kinder der Anwältin oder des Pfarrers hatten einen Notbetreuungsplatz in der Kita, weil die Eltern als systemrelevant eingestuft wurden, eine Alleinerziehende aber nicht? Wir müssen den Zugang zu Schule, Bildung und Betreuung sicherstellen – in welcher Form auch immer, ob mit Präsenz, digital oder hybrid. Wir müssen hier deutlich kreativer werden, um den Zugang aufrechtzuerhalten – für alle!

Feuerbach: Das Wort „Systemrelevanz“ ist für mich ein Unwort. Wie menschenunwürdig dieses Wort ist, spiegeln uns die Kinder zurück. Wenn Kinder zu dem Schluss kommen, wie uns berichtet wurde, dass sie nicht in den Kindergarten dürfen, weil sie nicht systemrelevant sind, haben wir etwas falsch gemacht. Systemrelevant sind alle Menschen. Und eines ist sicher: Die Gruppe der alleinerziehenden Eltern ist von der Pandemie besonders stark betroffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Sorgen der Alleinerziehenden in der Zeit des Lockdowns erheblich zugenommen haben und ihre Lebenszufriedenheit deutlich sank. Corona ist für uns wie ein Brennglas: Es wird deutlich, dass Netzwerke, die bereits vorher getragen haben, belastungsfähig sind. Dort wo es keine Netzwerke und Angebote gibt, tritt nun der Mangel umso sichtbarer hervor.


Frankfurt ist eine Stadt mit vielen freien Trägern in der Kinder- und Jugendarbeit. Wie haben sie die Pandemie bisher erlebt?

Schäfer: Für viele der freien Träger ist es extrem schwierig, sie haben einen Großteil ihrer Eigenmittel verloren, weil Spenden zurückgegangen sind und es auch keine Erlöse aus Benefizveranstaltungen mehr gab. Umso mehr brauchen die Träger auch in den kommenden Jahren eine zuverlässige und nachhaltige Unterstützung und Planungssicherheit für die Finanzierung ihrer Angebote.

Mein dringender Appell an die Verantwortlichen lautet deshalb: Lassen Sie die Familienbildungsstätten, die Kinder- und Jugendhilfe der freien Träger nicht im Stich! Gerade sie haben diese Krise hervorragend gemeistert – zum Beispiel die Familienbildungsstätten, die sich in unserer Stadt um die ganz jungen Eltern kümmern, die keine familiären Netzwerke haben, auf die sie zurückgreifen können. In der Diskussion um Corona-Maßnahmen wird diese Gruppe von Eltern von Kindern zwischen 0 und 3 Jahren völlig vernachlässigt.


Hat Corona auch etwas Positives für Ihre Arbeit bewirkt?

Feuerbach: Ja, tatsächlich. Uns hat die Pandemie einen regelrechten Innovationsschub gegeben, der manchmal allerdings auch einem Tsunami glich. Innovation heißt ja, Aufgaben mit neuen Mitteln zu erledigen, weil die alten nicht mehr ausreichen. Das betrifft in erster Linie den Anstoß zur Digitalisierung. Für Großveranstaltungen mussten andere Formate entwickelt werden. Ohne den Zugang über Kitas und Schulen sind Kinder sehr schwer zu erreichen. Dennoch versucht das Kinderbüro den Kontakt und die Arbeit aufrechtzuerhalten, beispielweise über die Kampagne „Sag deine Meinung“. Hier konnten Kinder ihre Bilder, Kommentare, Videos oder Sprachnachrichten, in denen sie ihre Meinung zu Corona äußerten, auf unserer Webseite hochladen. Diese größere Vielfalt ist auf jeden Fall ein Vorteil und die größere Flexibilität verstärkt die Möglichkeiten der Beteiligung und Vernetzung, bundesweit oder etwa auch mit unseren Kinderbeauftragten im Stadtgebiet.


Wie wirkt sich die Pandemie generell auf die Arbeit von Kinderbüro und Kinderschutzbund aus?

Schäfer: Auf unsere gemeinsame Kampagne bezogen hat Corona sicher eher gefördert als gehemmt – unsere gesamte Zusammenarbeit als Institutionen in Frankfurt. Wir haben unsere Kräfte gebündelt, sehr schnell sehr gutes Infomaterial erstellt, alle an einem Strang gezogen. Damit sind wichtige Informationen schnell an die richtigen Stellen gekommen. Bei unseren Fachkräften haben wir bemerkt, dass sich rasch die Bereitschaft eingestellt hat, neue digitale Formate in der Beratung anzuwenden. Das gilt übrigens auch für die Eltern, die sich im Anschluss an unsere virtuellen Treffen zum Beispiel zu Online-Treffen verabredet haben. Ganz besonders erfreulich ist aber, dass wir uns dadurch eine Zielgruppe erschlossen haben, um die wir uns schon lange Jahre immer wieder Gedanken gemacht haben – die Väter.

Die Frage, wie wir sie stärker beteiligen können, hat sich in Corona-Zeiten zumindest teilweise beantwortet: durch digitale Formate. Fachlich ist es zwar noch nicht gesichert, aber wir haben starke Hinweise, dass Väter damit eher bereit sind, sich im wahrsten Sinne in die Erziehung ihrer Kinder „einzuschalten“.


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Info:
Weitere Informationen zur Kampagne, Initiatoren und beteiligten Institutionen
Deutscher Kinderschutzbund, Bezirksverband Frankfurt am Main:
Der Frankfurter Kinderschutzbund setzt sich mit Lobbyarbeit und konkreten Angeboten in den Bereichen Prävention und Frühe Hilfen, Beratung, Hilfen und Schutz bei Gewalt und kultureller Bildung für die Rechte und den Schutz von Kindern ein.
http://www.kinderschutzbund-frankfurt.de .

Frankfurter Kinderbüro: Das Frankfurter Kinderbüro ist die kommunale Interessenvertretung für alle Kinder der Stadt Frankfurt. Es wahrt die Interessen der Kinder und setzt sich für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein. 
Das Team Kinder- und Jugendschutz beim Jugend- und Sozialamt Frankfurt am Main ist unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/2010111 an 365 Tagen im Jahr bis 23 Uhr erreichbar. Beratung für Eltern, Kinder und Jugendliche sowie alle, die sich Sorgen um Kinder machen, auf Wunsch auch anonym.
Erziehungsberatung in Frankfurt: 14 Erziehungsberatungsstellen in Frankfurt unterstützen Eltern, Kinder und Jugendliche bei Fragen der Entwicklung, Streit in der Familie, Trennung der Eltern, Schwierigkeiten in der Schule oder am Ausbildungsplatz – kostenlos und vertraulich.
 http://www.ebffm.de

Familienbildung in Frankfurt am Main: Die Frankfurter Familienbildungsstätten bieten ein breites Spektrum an Information und Beratung, offenen Treffs, Kursen und Freizeitangeboten rund um die Themen Familie, Erziehung, Eltern-Sein und Gesundheit.
Kontakt:   http://www.familienbildung-in-frankfurt.de