ÜBER DIE BRÜCKE IN DOLLDORF ... geht’s auch nach Afrika - Teil 3

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – „Schritt fahren!“ – „Das geht gar nicht,“ sagt Oberstleutnant Reinhard Egge, und fotografiert das altertümliche Verkehrszeichen an dem schönen Sandstein-Torbogen, der aus der Weser-Renaissance stammt und im Zentrum des Weilers Drakenburg die Einfahrt zum alten Gutshof ziert. „Kommt aus der Zeit als Pferdekutschen von Benzinkutschen abgelöst wurden.“ Und ich erfahre von dem Militärexperten, dass Pferdefuhrwerke zum letzten Mal während des Zweiten Weltkriegs eine entscheidende logistische Rolle gespielt haben. Allein für den Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 standen den „bespannten Truppen der Wehrmacht“ bei ihrem Aufmarsch im Osten über 700.000 Pferde zur Verfügung, insgesamt hatte die Deutsche Wehrmacht 2,8 Millionen Pferde im Einsatz. Und der kriegerische Einsatz von Pferden prägte in dieser norddeutschen Region schon früher das bäuerliche Leben.

Wir haben nichts davon geahnt, als unsere Tochter 1983 mit ihrem Apfelschimmel „Rocky“ an einem Weihnachtsreiten in der nahegelegenen Reithalle Bötenberg teilnahm.

(http://www.mmanuskriptt.de/vortrag/pferdezuchtverein_winsen.htm)
75 Jahre Pferdezuchtverein Winsen Festvortrag von Martin Teske
> „Ein Pferd, geeignet für die Truppe, Kürassiere und Artilleriestangen-pferde, auch mittlerer Karossier mit guten, regelmäßigen und schaffenden Gängen sowohl in der Trab-Bewegung als auch im Galopp. Ein gutes Temperament, guter Magen. Blut muss mit Masse in richtiger Verbindung stehen. Die zu vorstehenden Zwecken weniger geeigneten Pferde müssen in der Landwirtschaft zu verwenden sein und eine Furche von 30 Zentimetern ziehen können. Das Pferd muss bei gefälligen Formen, gutem Hals- und Schweifansatz eine schräge Schulter und gutgestellte Beine mit ausdrucksvollen Gelenken und Sehnen, dabei gute Hufe mit gut entwickelten gesunden Strahlen haben. In der Schritt- und Trab-Bewegung müssen die gleichseitigen Füße auf Linie gehen. Pferde mit breiten Hüften sind nicht beliebt, weil solche Pferde schwer zu ernähren sind.“ So umschreibt das Hannoversche Stutbuch von 1888 das Zuchtziel. ... Das Deutsche Reich, nach dem Sieg über Napoleon 1871 neu gegründet, ist gerade 17 Jahre alt, und eine Krise bahnt sich an im Dreikaiserjahr: Bismarcks Stuhl wackelt, sein Bündnissystem gerät nach seiner Entlassung ins Wanken, die Spannungen in Europa verschärfen sich. Das Reich rüstet auf, und es beginnt die Aufrüstung dort, wo sie einerseits am wenigsten ins Auge sticht und andrerseits den größten zeitlichen Vorlauf braucht – in der Pferdezucht. Kanonen sind schnell geschmiedet, doch die Pferde, die das neue und immer größer werdende Kriegsgerät manövrieren sollen, sind so schnell nicht aus dem Boden zu stampfen. ...<

Den Oberstleutnant Egge habe ich bei einem Radio Bremen-Forum zum Thema „Medien und Konfliktbewältigung“ kennen-gelernt. Der Organisator hatte darauf bestanden, dass die eingeladenen Offiziere in Uniform erschienen. Inzwischen sind wir bei zivileren Umgangsformen angelangt. Reinhard hatte mich zu ein paar Vorträgen in die Lucius-D.-Clay-Kaserne in Osterholz-Scharmbeck eingeladen, wo der „Nachschubschule des Heeres“ durch die „Erweiterung des Aufgabenspektrums der Streitkräfte und die daraus resultierende Teilnahme an Auslandseinsätzen seit 1993 eine wesentliche neue Aufgabe zugewachsen ist: Das gesamte in der Logistik eingesetzte Führungs- und Funktionspersonal der jeweiligen Einsatzkontingente wird in einwöchigen Lehrgängen umfassend und realitätsnah auf die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Einsatzgebiet vorbereitet. ... Bis zu 10.000 Lehrgangsteilnehmer können derzeit pro Jahr eine Ausbildung durchlaufen“.
Um seinen Weg zu unserem Landhäuschen in Dolldorf zu finden, hatte Reinhard sich aus der Nachschubschule das Kartenblatt „Nienburg (Weser) L 3320“ mitgenommen, herausgegeben vom „Amt für militärisches Geowissen - 1996“. Darauf ist sogar unser Häuschen zu erkennen, mit dem Wanderweg, der zur Brücke führt. Aber potentielle Invasionstruppen würden sich auf dem Weg von Bremen nach Nienburg wahrscheinlich verirren: Die Bundesstraße 6 biegt bei Sudhalenbeck noch Richtung Marklohe-Lemke ab. Das „Amt für militärisches Geowissen“ hatte 1996 die seinerzeit schon bestehende B6-Führung über den Süd-Ost-Bogen einer neuen Schnellstraße noch nicht berücksichtigt. Hoffentlich sind die Karten auf neuestem Stand, wenn sich Bundeswehrtruppen in neuen Einsatzgebieten der Südwelt orientieren sollen.

„Es gibt sie – die europäischen Spuren in der Region“. Das hatte Reinhard am Rand eines kopierten Artikels notiert, der aus dem Bremer Staatsarchiv stammte, und der uns zu unserem Ausflug in den Weiler Drakenburg an der Weserschleife begleitete, etwa fünf Kilometer von der Dolldorfer Brücke entfernt. 1541 hatte Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, die Freiheitsrechte der Stadt Bremen bestätigt. Am 19. Februar 1547 erschien das kaiserliche Heer vor den Mauern der Stadt. Der Rat zu Bremen hatte sich geweigert, im Religionskonflikt mit Karl V. dem Schmalkaldischen Bund abzuschwören. Bis zum 22. Mai verteidigten sich die Bremer mit Erfolg, dann zog das kaiserliche Heer nach Süden ab. Es kam zur Schlacht bei Drakenburg am 23. Mai 1547.
Bereits zu Luthers Lebzeiten hatte die neue Lehre den größten Teil des Deutschen Reiches erfasst. Kaiser Karl war ein stenggläubiger Katholik; er versuchte, die weitere Ausbreitung der Reformation zu verhindern und die Einheit der katholischen Kirche zu erhalten. Da er sogar mit Waffengewalt drohte, verbündeten sich mehrere deutsche Fürsten und Städte zum Schutze der Reformation in dem thüringischen Städtchen Schmalkalden miteinander. Bereits ein Jahr nach Luthers Tod gelang es dem Kaiser, die Hauptmacht der Schmalkaldener mit Hilfe seiner spanischen Söldner bei Mühlberg / Thüringen zu vernichten und ihren Führer, den Kurfürsten von Sachsen gefangen zu nehmen. ...

Bei Drakenburg wurde der einzige Sieg des Schmalkaldischen Bundes erfochten. Für die Errettung des lutherischen Glaubens in Norddeutschland und für die Zurückdrängung der Gegenreformation hatte der Tag von Drakenburg eine außerordentliche Bedeutung.
(“Aus der Geschichte unserer Heimat”, Hermann Ziegler Verlag Walter Leseberg, Nienburg/Weser, 1988 - S. 163)


Auf eine andere Geschichte aus dieser Heimat macht mich Willi Rüter bei einem seiner gelegentlichen Besuche in unserem Dolldorf-Häuschen aufmerksam. „Weißt du, dass in Drakenburg die Paket-Bombe erfunden wurde?“ Und er erinnert sich an die Geschichte des Erich von Halacz aus Drakenburg, so wie er sie vor über fünfzig Jahren gehört hatte. Das Internet weiß Einzelheiten. (http://www.tachauch.de/bremensien/leute/0612_bomben.html)

„Dr. Wolfard durch Attentat getötet“, „Bombenattentate alarmieren Norddeutschland“, „Höllenmaschinen töteten zwei Menschen“ – so lauteten die Schlagzeilen der Tageszeitungen in Deutschland und im Ausland am Tag nach den Sprengstoffanschlägen in Bremen und Eystrup. Am 29. November 1951 töteten in Paketrollen versteckte Sprengladungen den Chefredakteur der „Bremer Nachrichten“, Adolf Wolfard, sowie in Eystrup die 18-jährige Postangestellte Margret Grüneklee.

Adolf Wolfard war sofort tot, nachdem er in seinem Büro das Paket mit der Aufschrift „Nur vom Empfänger zu öffnen“ aufgeschnürt hatte. Durch die Wucht der Explosion wurden Werner Wien, Feuilletonredakteur der „Bremer Nachrichten“, sowie Wolfards Sekretärin Helge Emminghaus schwer verletzt. Die Detonation erschütterte das ganze Gebäude. Eine dritte Paketbombe war an den Verdener Kraftfutter-Hersteller Anton Höing adressiert worden. Durch Radiomeldungen gewarnt, alarmierte Höing die Kriminalpolizei, nachdem er Drähte an der Postsendung entdeckt hatte. Spezialisten öffneten das Paket. Es enthielt 1,5 Kilogramm des hochexplosiven Sprengstoffs „Donarit“. Zwei Wochen lang hielten die Ermittlungen nach dem Attentäter die junge Bundesrepublik in Atem, dann wurde der Mörder nach Hinweisen aus der Bevölkerung gefasst.
In den frühen Morgenstunden des 12. Dezember 1951 gestand der 22-jährige Gelegenheitsarbeiter Erich von Halacz aus Drakenburg bei Nienburg den Beamten der Sonderkommission „S“ nach stundenlangen Verhören, dass er der Absender der tödlichen Pakete gewesen ist. Sein Motiv war erschreckend banal: Von Halacz hatte die Morde aus Habgier und Hass auf Menschen begangen, „die auf der Sonnenseite des Lebens stehen“. Und die Angehörigen der Opfer wollte er unter Androhung weiterer Anschläge um jeweils 5000 Mark erpressen. In seinem Umfeld galt der dunkelhaarige Mann mit den weichen Gesichtszügen zwar als höflich und redegewandt, aber auch als durchtrieben und geltungsbedürftig. Der Tag der Anschläge war der 22. Geburtstag von Halacz'. Er feierte ihn abends mit seiner Freundin, er soll sehr fröhlich gewesen sein.


Erich von Halacz, Sohn eines Deutschen und einer Ungarin, der in Drakenburg bei Pflegeeltern aufgewachsen war, wurde 1952 vom Verdener Schwurgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Am 1. Oktober 1974 begnadigte der niedersächsische Ministerpräsident Alfred Kubel den inzwischen 44-Jährigen. Im Januar desselben Jahres hatte von Halacz sich einer schweren Operation unterzogen, bei der ihm ein tennisballgroßer Gehirntumor entfernt worden war.

Im Kaminzimmer unseres Landhäuschens hängt an der Wand das Bild einer Freundin, die wir in Afrika kennenlernten. Reinhild Mann hat in eine abstrakte Landschaft von Durchbrüchen einen roten Schirm gemalt. Daneben steht ein antikes, schmiedeeisernes Gestell, das ich zu einer Lampe umfunktioniert habe. Am verstellbaren oberen Arm ist ein malaysischer Seidenschirm befestigt, hinter dem man eine Glühbirne einschalten kann. Den Schirm kauften wir auf einem Markt in Kuala Lumpur für unsere Tochter, damals sechs Jahre alt, mit dabei auf unserer großen Südostasien-Reise. Das schmiedeeiserne Gestell stammt aus Finnland, wo es in alten Zeiten in einem Bauernhaus auch als eine Art Lampe diente, aber mit einem harzigen Holzspan am Arm und einem gusseisernen Topf an einem Haken darunter. Die Asche wurde darin aufgefangen, wenn der Span langsam abbrannte, und da er dabei kürzer wurde, konnte man den Arm in drei Stellungen im tiefer einrasten. So hat es mir die alte Dame erklärt, als sie mir das gute Stück schenkte. Ich war damals ein junger Volontär bei Radio Bremens Chefredakteur Harry Pross, und die alte Dame war seine Sekretärin. Sie konnte schlecht sehen, an der Nase hatte sie eine Narbe, manchmal erschien sie nicht zum Dienst, fühlte sich nicht wohl. Helge Emminghaus hatte 1951 den Bombenanschlag des Drakenburger Attentäters bei den „Bremer Nachrichten“ überlebt. Die Lampe schenkte sie mir, als ich ihr half, aus einem alten Bauernhaus in Bremen auszuziehen, das dem Neubau eines Wohn-Geschäfts-Komplexes weichen musste.

Von der Weser reise ich bald zurück an den Sambesi. Ich werde aus gegebenem Anlass als Journalist im vorübergehenden Ruhestand reisen, der aus dem Internet gelernt hat, dass schon in viel früherer Zeit irrationale Bedrohungen Menschen an der Mittelweser Angst machten, wie Menschen in ganz ähnlicher Weise heute in Zimbabwe.


(http://www.satyroi.de/geschichte.html)
> Im Stiftsgebiet Loccum fielen im 17.Jahrhundert 33 Menschen den Hexenprozessen zum Opfer. Davon 6 aus Loccum, 3 aus Münchehagen und 9 aus Wiedensahl. Die Herkunft der anderen bleibt unbekannt. Die meisten Verurteilten wurden auf dem ‚Rosenbraken‘ verbrannt, einem Flurstück zwischen Klosterforst und Bundesstraße 441, nachdem man zuvor mit ihnen die ‚Wasserprobe‘ durchgeführt hatte. Sie bestand darin, dass die Angeklagte dreimal in einen Teich geworfen wurde, zweimal gebunden und einmal ungebunden. Schwamm sie jedesmal oben, so galt sie als schuldig und wurde der Tortur zur Erpressung des Geständnisses unterzogen. In der Loccumer Überlieferung gilt der kleine Teich am Hang oberhalb von Bachteich und Fulde als sogenannter Hexenteich, an dem die Wasserproben stattfanden haben sollen. Dass diese Prozedur an irgendeinem Loccumer Gewässer vorgenommen wurde, ist aktenkundig, nicht jedoch der Ort. Der ehemalige Loccumer Konventual-Studiendirektor und spätere Landesbischof Horst Hirschler schrieb in seinem Buch ‚Geschichten aus dem Kloster Loccum‘: ‚Die hochgesteigerte Hexenfurcht des Mittelalters ist leider zu einem wesentlichen Teil dem Verhalten der Offiziellen jener Zeit zuzuschreiben: Der Kirche, den Landesherren und den Juristen.‘ <

Ich bin mir nicht sicher, ob der ehemalige Loccumer Konventual-Studiendirektor und spätere Landesbischof Horst Hirschler das Versagen auf Autoritäten „jener Zeit“ hätte eingrenzen sollen. Aus derselben Quelle im Internet erfahre ich, wie Autoritäten unserer Zeit mit Versuchen umgingen, den letzten Hexenprozess des Loccumer Stiftsgerichtes für unsere Zeitgenossen aufzuarbeiten. Dieser war auf Betreiben eines Nachbarn gegen Gese Köllars aus Wiedensahl angestrengt worden. Nach schrecklicher Folter endete das Verfahren mit dem Todesurteil, das am 2.6.1660 vollzogen wurde. In meiner Quelle heisst es dazu:

(http://www.satyroi.de/geschichte.html)
> Mit dem Namen Gese Köllars bleibt einer der letzten Hexenprozesse des Loccumer Stiftsgerichtes verbunden. Frauen aus Rehburg-Loccum und Wiedensahl haben 1987 das Schicksal der Gese Köllars zum Anlass genommen, sich mit der Rolle der Frau und den Hexenverfolgungen auseinanderzusetzen. Dabei wurde es als besonders positiv bewertet, dass die Evangelische Heimvolkshochschule in Loccum damals das Thema aufgriff und sich dieser dunklen Seite der beginnenden Neuzeit selbstkritisch stellte. Damals wollte die Loccumer Frauengruppe am Jahrestag der Anklage gegen Gese Köllars mit der Erinnerung an sie und ihre Leiden auch ein Zeichen der Versöhnung setzen. Die gleiche Absicht verfolgte 1985 die Frankfurter Künstlerin Eva-Gesine Wegner mit ihrem Versuch, den kleinen Teich in der Nähe des neuen Friedhofs als Mittelpunkt einer Gedenkstätte für ‚die vielen bekannt und unbekannten getöteten Frauen‘ während der Hexenverfolgungen zu gestalten. Dort, so war es die Vorstellung der Künstlerin, könnte die von ihr als Geschenk angebotene Plastik ‚Die Segnende‘ stehen. Gegen diesen Wunsch machte Abt Eduard Lohse erhebliche Bedenken geltend und teilte der Künstlerin abschließend mit, ‚dass das Kloster jener Frauen und Männer, die der Hexenjagd der damaligen Zeit zum Opfer gefallen sind, auf die einzig mögliche Weise gedacht hat, nämlich so, dass der Aufsatz von Herrn Hirschler in den ‚Geschichten aus dem Kloster Loccum‘ abgedruckt wurde. Was damals wirklich geschehen ist, welche Zusammenhänge da bestanden, wie differenziert man von Richtern, der Dorfbevölkerung und der Sachverständigen reden muss, das lässt sich nur in einem sorgfältigen Aufsatz beschreiben, aber nicht mit einem Denkmal darstellen.‘ Auch die Vorstellung der Künstlerin, entweder im kommunalen Bereich oder auf einem anderen Gelände der Loccumer kirchlichen Einrichtungen mit einem Denkmal an die Opfer der Loccumer Hexenverfolgungen erinnern zu können, wurde nach längeren Diskussionen in den betroffenen Gremien ablehnend beschieden.

Was an der Weser vor 400 Jahren passierte, begegnete mir 1998 in Zimbabwe, als eine afrikanische Kollegin bei ihrer Recherche über Handel und Wandel am Sambesi erkennen musste, dass dort viele Menschen noch immer glauben, ihren Erfolg durch Hexerei manipulieren zu können.


(http://www.radiobridge.net/www/links/PILOT3.html)
Warum es Kleinunternehmer in Afrika oft schwer haben
Radio Bridge Overseas / 27.08.98 / Dadirayi Chigoya

Vater Chirisa: "Sie werden feststellen, dass in den meisten Fällen Kenntnisse ueber die Führung eines Unternehmens nicht an Kinder weitergegeben werden."

Chigoya: Ray Chirisa lebt in Norton, einem kleinen Städtchen nahe von Zimbabwe’s Hauptstadt Harare. Dort macht er Geschäfte mit Papier- und Metallwaren, mit Möbeln und mit einem LKW-Transporter. Die Beziehung zwischen Unternehmern und ihren Kindern, die er hier beschreibt, gründet sich auf Faktoren, die man berücksichtigen muss, wenn man Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines unternehmerischen Mittelstandes innerhalb der Shona-Kultur verstehen will. Shona bilden die größte Bevölkerungsgruppe in Zimbabwe.

Vater Chirisa: "Es gibt dafür eine Reihe von Gründen. Dazu gehört die Furcht, dass Kinder zu dicht an persönliche Geheimnisse von Erwachsenen herangeführt werden. Traditionell benutzen Geschäftsleute in unserer Kultur bestimmte Glücksbringer, die ihnen Erfolg bringen sollen; sie haben mit ganz individuell geprägten spirituellen Manipulationen zu tun, die niemals Kindern offenbart werden."

Chigoya: Das mag sonderbar klingen, aber Profitmachen in Zimbabwe ist mehr, als bloß den Verkaufspreis gegen den Einkaufspreis zu kalkulieren. Es ist die weitverbreitete Überzeugung, dass die Verwendung eines besonderen Glücksamuletts den Umsatz fördern kann. Und nicht nur Geschäftsleute glauben daran, es ist Teil unseres täglichen Lebens. Oft werden solche Glücksbringer getragen, um zum Beispiel die Chance zu vergrößern, einen guten Job zu kriegen. Manchmal jedoch hat dieser spirituelle Glauben grausame Folgen. Gerade während ich an dieser Story arbeite, berichtet der "Herald", Zimbabwe’s einzige Tageszeitung, über einen Mann, der sich vor Gericht fuer einen Mordversuch verantworten muss. Er soll versucht haben, die 11-jährige Tochter seiner Freundin umzubringen. Diese Frau hatte von einem Geisterheiler etwas erhalten, das wir "Muti" nennen, eine geheimnisvolle Mischung aus Rinde, Kräutern oder anderen Materialien. Sie war angewiesen, diesen Glücksbringer mit dem Blut ihrer Tochter und dem Samen ihres Freundes zu tränken. Als Ergebnis würde sie an ihrem Arbeitsplatz befördert werden. So grausam und primitiv dies ist, es ist nötig zu verstehen, dass sich unsere Kultur im Umbruch befindet. Noch immer ist der Glaube der meisten Shona in uralten Traditionen verwurzelt, die sich als Hindernisse auf dem Weg in die Modernisierung erweisen. Erst wenigen ist es gelungen, sich davon zu befreien. Ray Chirisa wuch in einer christlichen Familie auf. Es gelang ihm, den alten Glauben abzustreifen. Stattdessen baut er auf harte Arbeit für seinen Erfolg. Und er hat seinen ältesten Sohn, William, in die Mechanismen seines Geschäftes eingeführt.


Sohn Chirisa: "Mein Vater verbirgt nichts vor mir, er ist mir gegenüber sehr aufrichtig. Ich muss allerdings gestehen, dass es mir am ersten Tag etwas komisch war, als er sagte, komm mit William. Es war beunruhigend, aber ich habe längst erkannt, dass es mir Vorteile brachte."



Vater Chirisa: "Es ist klar, dass man Fertigkeiten entwickeln muss, nicht nur für einen selbst, sondern auch bei seinen Nachkommen. Wenn ich mal sterbe, muss alles weitergemacht werden von jemandem, der die Probleme kennengelernt hat, der weiss wie es weitergeht, ohne angeleitet zu werden von jemandem, der nicht mehr da ist. Es ist nötig jemanden nahebei zu haben, der weiss, wo es lang geht."


Sohn Chirisa:
"Ich glaube, ohne meinen Vater hätte ich es nicht geschafft. Er hat mich angetrieben, Sohn - das schaffst du! Nur wenige Kumpel haben solche Eltern wie ich. Er unterstützt mich noch immer, und ich danke ihm dafür."... (AUSZUG)



Hier diese und andere Geschichten in voller Länge anhören:
"Wirtschaften in Zimbabwe, Tansania, Kamerun & Angola ...
... wie sich Geisterglaube, Ideologien und Kriege auswirken"

 

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