Was Leserinnen und Käuferinnen verändern können, wenn sie sich wehren
Lona Berlin
Berlin (Weltexpresso) – Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Denn eigentlich ist mir erst jetzt so richtig deutlich geworden, daß sich auf lange Sicht Widerstand auszahlt und das Inkriminierte sich eben doch ändert. Wenigstens ein wenig. Dabei geht es jetzt nicht um Politik. Um Gesellschaft schon. An zwei Beispielen will ich davon berichten, wo ich jeweils heftigen Protest anmeldete und wo sich tatsächlich etwas änderte, was zur Folge hat, daß man glaubt, man selbst habe das bewirkt, dabei ist es das solidarische Wirken von vielen!
Das sei denen gesagt, die dann immer jammern, man habe ja keinen Einfluß, eine Reaktion von unten habe keinen Sinn, sondern verlaufe im Nichts und mache einem nur Arbeit und Ärger, wenn nichts passiert. Bei meinen Beispielen hat sich der Protest zweimal gelohnt.
Das erste Beispiel ist schon länger her und betraf einen sehr renommierten Reiseführerverlag in Stuttgart. Da hat sich ein Reiseführer für ein bestimmtes asiatisches Land nicht geschämt, ganz offiziell auf seinen Seiten den Hinweis zu geben, man solle doch bei sexuellen Dienstleistungen, die man in Anspruch nehmen will – natürlich richtete sich der Reiseführer hier nur an Männer! - taubstumme und auch blinde junge Damen vorziehen, denn die seien nicht nur billiger, sondern seien durch ihre Behinderungen so sehr viel sensibler, auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einzugehen. Echt. Das stand über Jahre in diesem Reiseführer und nicht nur in diesem!
Problem ist, wie erfährt man davon? Ich erinnere mich, daß das damals ein Bericht in EMMA war, der mich darauf aufmerksam machte. Der Bericht war insofern sinnvoll, weil er nicht nur berichtete und wortwörtlich die Zitate in obigem Sinn brachte, sondern den Leserinnen auch den Vorschlag machte, doch seine, d.h. ihre Meinung zum Abdruck von solchen unglaublichen und für jede Deutsche oberpeinlichen Reiseempfehlungen dem Verlag mitzuteilen. Dabei stand dann nur die Adresse des Verlags.
Leider weiß ich nicht, ob in EMMA irgendwann referiert wurde, wieviele Briefe von Leserinnen geschrieben wurden. Ich weiß nur von mir und von drei Freundinnen, daß wir – jede für sich alleine – unsere Gedanken, Gefühle und Wertungen zum Vorschlag des Reiseführers an den Verlag schickten. Ich selbst hatte auch hinzugefügt, daß ich auch die anderen Reiseführer des Verlages nie wieder in die Hand nehmen werde, noch sie bei Reiseberichten erwähnen werde – damals war ich als Reisejournalistin sehr viel unterwegs, von Haiti, über Kuba, Jamaika, Kenia, Südafrika, von Europa ganz abgesehen.
Ich bekam einen anderthalbseitigen Brief der Redaktion des Reiseführers zurück, in dem sie auf die Bedürfnisse ihrer Leser verwiesen etc. Aber dann bekam ich einige Wochen später noch einen Brief, indem lapidar mitgeteilt wurde, daß die noch vorhandenen Reiseführer dieses asiatischen Landes nicht mehr lieferbar seinen und daß diese spezielle Reiseempfehlung in der nächsten Auflage, die bald komme, entfallen sei. Aha. Ich habe das nicht überprüft, aber es war klar, daß dies eine Entscheidung der Geschäftsführung war, weil durch die Diskussion über diese widerlichen Passagen das Renommee des ganzen Verlages mitsamt allen anderen Reiseführern gelitten hatte – und damit die verkauften Auflagen.
Auch wenn man weiß, daß es letzten Endes das Geschäft ist, also die Anzahl der verkauften Exemplare, die zu solchen Einsichten führt, auf sexuelle Schnäppchen und Optimierungen zu verzichten, ist dieser finanzielle Zwang für die übrigens männlichen Geschäftsführer dann doch erst eingetreten, als eine Menge von Frauen – es müssen Tausende gewesen sein – sich per Brief empört hatten. Es lohnt sich, zu Protesten aufzurufen. Und es lohnt sich, diese zu befolgen.
Der nächste Fall war keine direkte Aktionsaufforderung, sondern geschah aus persönlichem Ärger, sich nette Kleider und Hosenanzüge in einem Modeversand nur an Hungerhaken ansehen zu können. Anders kann man die damaligen extrem dürren sogenannten Hungermodells wirklich nicht bezeichnen. Ich konnte mitreden, weil ich selbst mit einem befreundeten Fotografen bei Aufnahmen in Madeira und anderswo dabei war, die für den Reisekatalog Neckermann vor vielen Jahren gemacht wurden. Da nämlich wären Hungerhaken fehl am Platz gewesen, da wollte man normale Leute am Strand, am Pool sehen, wobei die Eigenschaften: jung, hübsch, schlank schon vorgezogen wurden, aber eben keine magersüchtigen Modelle. Allerdings war das zeitlich wohl etwas früher. Das Ideal der Dürren in den Modekatalogen kam später und ich wollte eigentlich meine damaligen Briefe an MADELEINE als Faksimile beifügen, aber es geht auch so.
Da ich damals durch ständiges Unterwegssein und zu Hause dann von morgens bis abends Arbeiten in der Redaktion einfach keine Zeit hatte, mich in der Stadt um mir gefallende Kleidung zu kümmern, hatte ich das Angebot, Modekataloge ins Haus geschickt zu bekommen, gerne angenommen. Das war noch die Zeit, wo überhaupt viel per Katalog gekauft wurde. Eigentlich die Funktion, die heute das Internet hat, auch wenn es immer noch Kataloge gibt, die direkt zu einer Bestellung führen sollen. Im Gegensatz zu den Katalogen, die meist per Briefkasten den Leuten ins Haus flattern, einschließlich IKEA, wo man ja hinfahren muß, um zu kaufen, was man gerne hätte, geht es bei den Modekatalogen um Dinge, die ins Haus geschickt werden, damit man anprobieren kann und behält und bezahlt, was einem gefällt, meist mit Gratisversand und kostenloser Rücksendung.
Mir hatten damals die Angebote von MADELEINE am besten gefallen. Nicht billig, aber so lässig wie farblich variantenreich. Ich kaufte über die Jahre viel zu viel. Und dann hatte ich, nachdem ich die Entwicklung der Modelle von schlanken Frauen zu dürren Gestellen, sogenannten Hungerhaken, nicht mehr anschauen mochte, meinem Ärger Luft gemacht und an MADELEINE einen Brief geschrieben, daß ich den Anblick der dürren Modelle nicht mehr ertrage und so lange nichts kaufen werde, wie tragbare Mode an Gerippen angepriesen werden. Ich hoffe, Sie wissen genau, was ich meine. Frauen, deren dünne Beine O-beinig Hosen vorführten oder bei denen Pullover wie Säcke herunterhingen, weil sie keine Busen hatten.
Ich bekam auch da eine Antwort, derart, sie bedauerten dies, aber andere Käuferinnen würden sich nicht so äußern. Und es kam halbjährlich der nächste Katalog. Jedesmal schrieb ich brav dasselbe, ich würde so lange, wie Hungerhaken...nichts kaufen. Und irgendwann kam mit den Antworten dann auch der Hinweis, sie würden der Entwicklung folgen, nicht mehr magersüchtige Modelle zu präsentieren. Das hatten dann inzwischen sogar Modemacher und Modeschauen für sich längst beschlossen.
Und daß sie das eingehalten haben, fiel mir heute auf, als ich den neuen MADELEINE-Katalog in Ruhe anschaute. Eine blonde Frau in einem weißen Hosenanzug, die direkt Oberschenkel hat! Die nächste hat sogar einen Hintern. Aber dann sehe ich ein Modell, das sich durch den Katalog zieht, die noch das Modell von gestern zeigt: Beine wie Stangen. Aber sie ist die Ausnahme inmitten von Frauen, die zwar alle schlank, aber eben nicht krankhaft abgemagert sind.
Zwar habe ich trotzdem nichts gekauft, weil ich Kleidung seit langem direkt anprobiere und eventuell kaufe, aber es zeigt mir doch, daß sich als Verbraucher zu wehren, eine schädliche Entwicklung aufhalten und ändern kann. Dabei bin ich hier nur auf die Ästhetik, die Häßlichkeit der Gerippe eingegangen, wie fahrlässig so etwas für das Aufwachsen von jungen Mädchen ist, ist die gesellschaftlich wichtigere Frage. Denn die haben noch keine gefestigte Meinung, sondern wachsen in eine Welt hinein, die viele Jahre Magersucht als Schönheitsideal oktroyierte.
WER SICH NICHT WEHRT, lebt verkehrt!
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