Hanswerner Kruse
Sinntal / Osthessen (Weltexpresso) - Seit einem Jahr wohnen Reza (60) und Mojdeh (38) mit ihrem Kind in Sterbfritz. Ihr Leben war ein langes „run away“, wie sie im englisch-deutschen Interview erzählen, ein ständiges Weglaufen. Im iranischen Gottesstaat wurden die Christen schikaniert und mit dem Tod bedroht.
„Wir wollen hier atmen, das kann man im Iran nicht mehr“, sagt das Flüchtlingspaar zum Beginn des Gesprächs. Später fügen sie klare Worte hinzu: „Wir wollen in Deutschland weder Geld noch ein gutes Leben: Wir sind hier, um nicht getötet zu werden!“
Als Siebzehnjähriger ging Reza in ein skandinavisches Land, studierte und arbeitete dort 14 Jahre lang. Er bekannte sich zum Christentum und ließ sich taufen - eine Todsünde für die meisten Muslime. Weil sein Vater schwer erkrankte, kehrte er in den Iran zurück und war vom politisch-religiösen Terror entsetzt. Nach der väterlichen Genesung wollte er wieder nach Skandinavien, doch weil er länger als ein halbes Jahr fort war, bekam er keine Aufenthaltserlaubnis. Seine Familie verstieß ihn als sie erfuhr, dass er zum Christentum konvertiert war: „Du bist nicht mehr unser Sohn!“
Reza versuchte sich mit den Zuständen in der Heimat zu arrangieren, gestaltete mit Interessierten Bibelstunden, arbeitete sich beruflich nach oben: vom Fahrer zum Personalmanager einer großen Firma. Er lernte seine Frau Mojdeh kennen, die ebenfalls Christin wurde. Sie hatte Grafik-Design studiert und arbeitete in einer Filmfirma, als sie Reza begegnete. Nach zwei Wochen heirateten die beiden zum Entsetzen der Eltern: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, meint Mojdeh, obwohl sie so was bis dahin als „Bullshit“ ansah. Auch die Familie verstieß sie, als ihr Konvertieren bekannt wurde. „Das ist bei uns nötig, weil sonst die Großfamilie in Sippenhaft genommen und verfolgt wird“, erklären die beiden.
Aufgrund seines christlichen Glaubens wurde Reza zwei Jahre lang im Gefängnis geprügelt und gefoltert. Mojdeh war mit dem gemeinsamen Kind alleine, wusste nichts über ihren verschwundenen Mann und wurde ständig von der Polizei bedroht: „Wir vergewaltigen Dich!“ Weil ihm die Missionierung nicht nachzuweisen war, wurde Reza entlassen. Als die Polizei 2015 bei einem Mitglied des Bibelkreises das Video einer christlichen Taufe entdeckt wurde, musste die Familie sofort fliehen. Sie überquerte im Winter das verschneite Gebirge zur Türkei, danach ging die Flucht über das stürmische Meer nach Griechenland weiter.
Das Schlauchboot war nur für sechs Passagiere ausgelegt, doch über 40 Geflüchtete wurden darauf zusammengepfercht. Mojdeh erlitt im Gedränge in ihrer engen Rettungsweste Panikattacken, nach der Rettung schnitt ein beherzter Helfer mit einem Messer Weste und Kleider auf. „Halbnackt kam ich in der Freiheit an“, erinnert sie sich. Nun war die Familie dem Religionsterror entkommen, wurde aber auch im Lager auf Lesbos von muslimischen Geflüchteten drangsaliert. Reza konnte als Dolmetscher arbeiteten, schnell bekam die Familie Asyl gewährt.
Die Familie zog sogar nach Athen und verbesserte sich dort beruflich. Aber als Mojdeh und ihr Kind von rassistischen Schlägern überfallen wurde, griff niemand ein, keiner alarmierte die Polizei. Die Behörden rieten von einer Anzeige ab, doch Reza und Mojdeh bestanden darauf. Daraufhin wurden die Fenster ihrer Wohnung eingeschmissen, flüchtlingsfeindliche Parolen an die Hauswand geschmiert.
Also flohen sie erneut, diesmal nach Schweden, weil Reza dort Bekannte hatte. Doch aufgrund des Dublin-Abkommens (siehe Kasten) sollten sie nach Griechenland zurückkehren. Heimlich wurde Mojdeh von den Behörden angeboten, allein mit dem Kind bleiben zu können. Als die Abschiebung drohte, floh die Familie erneut. Sie kam nach Deutschland und hatte Glück: Ein sorgfältiger Mediziner erkannte die Traumatisierung des Kindes durch den Athener Überfall und sorgte für dessen Behandlung. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es derzeit keine Deportationen, dennoch sind Reza und Mojdeh voller Ängste und Zweifel, ob sie wirklich hier bleiben können. Sie sind immer noch nicht angekommen, ihr „run away“ hat kein Ende!
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Hanswerner Kruse
Die beiden malen und zeichnen viel, Mojdeh hat es gelernt, aber auch Reza hat sich immer kreativ betätigt. Nun suchen sie nach Möglichkeiten zum Ausstellen und den Anschluss an eine Künstlergruppe. Hannah Wölfel (oben: rechts im Bild) vom Kunstverein Fulda unterstützt sie und fördert ihre Aufnahme.
Das Dublin-Abkommen...
...fordert, dass Asylbewerber in dem Land registriert werden, in dem sie die Europäische Union betreten. Dieser EU-Staat ist dann für den Asylantrag zuständig. Meist sind das die völlig überforderten Mittelmeerländer Griechenland, Italien und Spanien. Die Geflüchteten erhalten nach der Anerkennung eine Aufenthaltsgenehmigung, die auch zu temporären Reisen in andere EU-Länder berechtigt. Dort dürfen sie jedoch nicht erneut Asyl beantragen, sondern werden in das Ankunftsland abgeschoben.
Deutsche Gerichte haben Abschiebungen nach Griechenland abgelehnt, weil dort den Flüchtlingen „extreme materielle Not“ und Obdachlosigkeit drohen. Eine Grundsicherung wie Hartz IV gibt es nicht. Derzeit wendet Deutschland das Dublin-Verfahren für Griechenland nicht an (Quelle www.bundesregierung.de).
Makaber
"Die Leute können sich gar nicht vorstellen, dass wir Christen sind“, meint Reza. „Muslimische Geflüchtete oder Verkäuferinnen nehmen uns oft die Schweinewürste aus dem Korb. ‚Die dürft Ihr doch nicht essen’, sagen sie dann.“