neugierige bei Unfallennordbayern.deDAS JÜDISCHE LOGBUCH  Mitte Juni

Yves Kugelmann

Basel  (Weltexpresso) - Herzstillstand vor laufender Kamera. Nicht nur die Fußballwelt befindet sich in Schockstarre. Das Drama um den dänischen Fußballer Christian Eriksen beim Spiel Dänemark gegen Finnland beim Euro-Spiel vom letzten Samstag beweist das gegenwärtige Symptom einer medialen Gesellschaft. Längst sind Sportereignisse mehr dem Entertainment als der journalistischen Einordnung verpflichtet.


Und so verwunderte es auch nicht, dass bei vielen europäischen Sendern der Umgang mit der Live-Berichterstattung zu Entschuldigungen für Fernsehbilder führten, die vor allem eines zeigen: Die Gier nach Sensation ist größer als der öffentlich-rechtliche Auftrag. Nicht anders ist zu erklären, dass Tour de France, Uefa, Fifa oder olympisches Komitee trotz immer wieder nachgewiesener Korruption, Betrug, Paktierens mit Despoten, Regimen und menschenfeindlichen Diktaturen letztlich die Plattform und den unbegrenzten Weg in die Öffentlichkeit weitgehend bedingungslos erhalten.

Geld öffnet da neue Möglichkeiten, die anderen verschlossen bleiben. So etwa, wenn das Kinderhilfswerk UNICEF letzte Woche in seinem jüngsten Bericht vermeldete, dass die Zahl der Kinder, die Kinderarbeit verrichten, auf 160 Millionen gestiegen ist und Millionen von Mädchen und Jungen durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind. Diese Kinder schaffen es, wie so viele andere minderprivilegierte und sozial Schwache oder Opfer von Krieg, Konflikten und Armut, allenfalls in die Kurzmeldungen der Zeitungen oder Kulturkanäle unverbesserlicher Qualitätssender. Aber nie in die auf Massen ausgerichtete Prime-Time. Christian Eriksen geht es zum Glück wieder besser. Doch die Anteilnahme an seinem Schicksal ist letztlich die einer selbstgerechten, selbstsüchtigen Gesellschaft, deren unmittelbarer Reflex vermutlich höchstens zum nächsten Check-up beim eigenen Kardiologen führt.

Die Abermilliarden für die Übertragungsrechte von Sportereignissen legalisierter korrupter Verbände entziehen dem öffentlich-rechtlichen Auftrag die Mittel für authentischen, nachhaltigen und demokratiestärkenden Journalismus. Am Wochenende begeht die Welt den internationalen Flüchtlingstag. Vielleicht berichtet da jemand über die Abermillionen von Einzelschicksalen. Denn Anteilnahme, Empathie und emotionale Begegnung wie beim Drama von Kopenhagen sind der erste Schritt für Wandel.

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 Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 18. 6. 2021
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.