Laxness Evaluationsdrama einmal ganz anders
Wolfgang G. Weber
Innsbruck (Weltexpresso) – Lieber Harald, habe ich Dir neulich das Buch "Am Gletscher" von H. Laxness mitgegeben, eines meiner absoluten Lieblingsbücher? Bin mir nicht sicher.
Das Verfassen eines aktuellen Berichts an die Universitätsleitung hat unerwarteterweise durchaus Züge der von Laxness beschriebenen mystischen Umgebung angenommen, auch hier in Innsbruck haben wir ja (noch) einen Gletscher in der Nähe. Als ich Dank des guten Wetters am Gartentisch sitzend - mit dem Laptop bewehrt - an meinem Bericht schrieb, umschwirrte mich gegen Abend plötzlich ein Vogel. Zuerst dachte ich, dass nun wohl die Zeit der Vögel(-herrschaft), einst prognostiziert durch Alfred Hitchcock, gekommen sei, stellte dann aber erstaunt fest, dass es sich um einen zutraulichen Kanarienvogel handelte. Er ließ sich auf unserer Gartenbank nieder, trillerte und sah mir interessiert beim Berichterstatten zu.
Nach längerer Zeit gelang es mir, ihn vor dem nahenden Sommergewitter zu retten. Die Situation war besonders dramatisch, weil im Nachbargarten häufig eine zutrauliche, aber leider nicht ornithophile Katze herumstreunt. Und im anderen Nachbargarten gerade zwei ausgebildete Jagdhunde die unerwarteten Vorgänge kritisch verfolgten. Ich konnte den Nachbarn telefonisch bewegen, sie kurzzeitig in Sicherheitsverwahrung zu nehmen. Zu allem Überfluss sind Frau und Kind gerade ein paar Tage in den sonnigen Süden gereist, die mir ansonsten in solchen heiklen Lebenssituationen immer beistehen. Mittels Geduld, guter Zusprache, die, zugegebenermaßen, eine meiner beruflichen Anforderungen kennzeichnet, Öffnen der Flügeltüren (sic!) und leidlicher Imitation einer - wohl auch vom erfahrenen Ornithologen nicht näher bestimmbaren Vogelstimme - konnte ich das anmutende Vogelwesen in unser Wohnzimmer locken. Hier ließ das Tierchen, sichtlich zufrieden, weil von mir nun mit hastig vor Ladenschluss gekauftem Vogelfutter und Wasser versorgt, auf dem Bücherregal in der Nähe der weiteren Laxnessbände nieder und erfreute mich mit seinem Gesang.
Musikinstrumente vor Bombardement schützen
Selbstverständlich wurden dadurch einige kleinere Umbaumaßnahmen des Wohnzimmers erforderlich, um z.B. teure Musikinstrumente und die Ledergarnitur zu schützen. Wir haben ja keinen Vogelkäfig, nur Terrarien, die aber gegenwärtig von zwei Schildkröten belegt sind, die durchaus ihr Territorium verteidigen. Zwar konnte ich nicht alle unsere Bücher vor seinen natürlichen Verdauungsbedürfnissen schützen, dazu sind es einfach zu viele - bei manchen Bücher konnte sich das Vögelchen allerdings durchaus als kompetenter Kritiker betätigen, indem es zu deren Mist nun seinen eigenen produktiv dazusetzte. Gleichzeitig enthob der neue Mitbewohner unserer Familie - ganz im Gegensatz zu einem der Akteure im Laxness’schen Evaluationsdrama - die Last zur notwendigen Guanosuche betreffs der Pflege unseres Gartens an die ferne Küste zu reisen, da wir nun genug Vorrat in der eigenen Behausung haben.
Politische Proklamationen und Anschläge im Heiligen Land
Auch war ein nächtlicher Rundgang nebst Plakatkleben bei strömendem Regen in der Nachbarschaft erforderlich, die solches - politische Proklamationen und Anschläge im Heiligen Land befürchtend - verständlicherweise nicht gerne sieht, um den möglichen Besitzer zu identifizieren. Dies zeichnete zunächst noch keinen Erfolg. Der Kanarienvogel dankte mir meine Bemühungen, indem er mich spät abends "Zeugin der Anklage" im Fernsehen störungsfrei anschauen ließ. Um genau zu berichten, ist festzuhalten, dass es sich bei ihm wohl um keinen Freund von Kriminalthrillern handelt, da er seelenruhig, eingebettet zwischen Werken von Andre Heller und Heinrich Heine, im Verlaufe der durchaus spannenden Filmhandlung einschlief.
Heute Vormittag wurde es dann dramatisch: Nachdem ich, durch sein Zwitschern angefeuert, das Veterinärsamt angerufen hatte, das versprach, eine Tierfängerfrauenschaft nebst Zubehör vom nahen Innsbrucker Stadtmagistrat aus in Bewegung zu setzen, klingelte unmittelbar danach das Telefon und Frau G. aus der Nachbarschaft meldete sich. Ich riet ihr, gleich mit der nötigen Ausrüstung und den vier Kindern, die eine bange Nacht eingedenk ihres entfleuchten Lieblings verbracht hatten, vorbeizukommen, was sie sofort taten. Dem ältesten Bub gelang es auch sofort, die Vögelin - es stellte sich nun heraus, dass es sich um ein Weibchen handelt- auf eine Stange zu locken und mit dieser in den mitgebrachten Käfig zu setzen, den das Tierchen wohl doch gegenüber ihrem nur provisorischen Platz zwischen den Weltliteratinnen und Weltliteraten bevorzugt. Sie hatte ihre Besitzer auch gleich wiedererkannt, wie ich ihrem Benehmen entnehmen konnte. Uns wurde nun allen warm ums Herz. Auch konnte ich in letzter Minute das Tierfängerinnenkollektiv, welches aufgrund seiner amtlich vorgesehnen Frühstückspause gottlob noch in der magisteriellen Dienststelle aufgehalten worden war, von der nun Dank der glücklichen Fügung der Ereignisse obsolet gewordenen Erfüllung ihres Auftrags abhalten. Dies trug erheblich zur Kostendämpfung im regionalen Versorgungswesen bei.
So hat die mir auferlegte amtliche Pflicht des Evaluierens meiner langjährigen wissenschaftlichen und pädagogischen Leistungen nun eine unerwartete, sehr positive Nebenwirkung erbracht: Es konnte unter Einsatz vielfältiger und -sinniger Qualifikationen ein bezauberndes Tierleben gerettet werden und Sinn in der ausgeübten Tätigkeit gefunden werden!
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©Familie Weber
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Wolfgang G. Weber ist als Psychologe in Forschung und Lehre in Innsbruck tätig, zuweilen auch als Satiriker.