BURGTHEATER, WIEN

 

Helmut Marrat

Hamburg (Weltexpresso) - Wenn man sich als Bundesdeutscher mit dem "Fall Burgtheater" beschäftigt, so kommt einem merkwürdigerweise Bismarck in den Sinn. Oder richtiger, dessen berühmtes Bonmot über Mecklenburg. ("Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles fünfzig Jahre später.").

 

Nun galt der deutsche Reichskanzler nicht als Freund Österreichs. Wenn auch zu Unrecht. Sicher, der Kampf um die Vorherrschaft im Frankfurter Bundestag mußte entschieden werden, und, neutral gesagt, hatten es Preußen und Österreich nicht leicht miteinander.

 

Vor einundzwanzig Jahren,1993, wurde das Berliner Schillertheater geschlossen. "Abgewickelt" nannte man das damals, und es fehlt bis heute. Sicher, Berlin hat immer noch vier größere Sprechbühnen,und Claus Peymann, lange Jahre Burgtheaterdirektor und längst eines seiner Ehrenmitglieder, führt nach wie vor, wenn auch mit nachlassender Kraft, das Berliner Ensemble. Doch ohne ein sogenanntes Flaggschiff kommt man nicht aus. Denn eigentlich "spielte" einzig das Schillertheater in der selben Klasse wie die Burg.

 

Die langjährige stellvertretende Direktorin des Burgtheaters, mit dem für uns beinah unaussprechlichen Namen Stantejsky (doch die Österreicher und voran die Wiener sind hier ein ganzes Stück weiter), soll den Etat etwas zu fantasievoll verwaltet haben. Und so wurde ihr fristlos gekündigt. In der großen Pressekonferenz am Donnerstag (es war der siebenundzwanzigste Februar, und parallel rüstete man sich für den Opernball) informierte der Direktor der Bundestheater-Holding, Georg Springer, über seine Absicht, Frau Stantejsky wegen "Bilanzfälschung" belangen lassen zu wollen. Wogegen offenbar auch der Direktor des Burgtheaters Matthias Hartmann nichts einzuwenden hat. Jedenfalls war nichts Gegenteiliges zu hören. Hartmann selbst stammt aus Osnabrück. Das liegt mitten in Westfalen, ist aber sicher kaum der Grund, weshalb er in dieser nicht unwichtigen Sache als "Zaungast" anerkannt werden möchte.

 

Nun leidet das Burgtheater seit Jahren unter knappen Kassen, was die Politik dadurch zu verstärken wusste, daß man einerseits das Budget nur äußerst dürftig erhöhte (seit der Spielzeit 1999/2000, also seit vierzehn Jahren um ganze 6%, und andererseits die Personalkosten im selben Zeitraum, laut Presseberichten um 43% gestiegen sind. Was also tun? Eine Möglichkeit: Der übliche Personalabbau. Man machte von dieser Möglichkeit regen Gebrauch. Im Technikbereich zum Beispiel wird die Zahl von etwa einhundert eingesparten Stellen genannt, was daran erinnert, dass bei einem Theater nicht nur Schauspieler beschäftigt sind, sondern auch eine große Menge weiterer Mitarbeiter.

 

Eine "Freisetzung" von Mitarbeitern ist stets eine schmerzvolle Sache. Es könnte zumindest sein, daß darin der Grund für die gesteigerte Unruhe im Haus zu finden wäre. Zudem ist zu hören, die nun geschasste Vize-Chefin sei äußerst beliebt gewesen. Und habe als tüchtig gegolten. Der Direktor selber ist auch tüchtig, denn so ein riesiges Theater zu leiten, ist eine fast selbstmörderische Aufgabe. Ob Matthias Hartmann gleichermaßen beliebt ist, weiß ich nicht.

 

Auch beim Ensemble wurde kräftig eingespart (von etwa einhundert auf jetzt nur ungefähr achtzig SchauspielerInnen) und irgendwann werden solche Verringerungen auch zu einer künstlerischen Verkleinerung.

 

Die Krise mag für "Zaungäste" unwesentlich erscheinen, aber es sei daran erinnert, dass es sich beim Burgtheater nicht um eine zu vernachlässigende Größe handelt, sondern um das bei weitem bedeutendste Sprechtheater im deutschsprachigen Raum. Es lebt von Wundern, es kräftigt sich durch Erinnerung.

 

So erinnerte sich Erika Pluhar, als Kind, kurz nach dem Krieg, mit ihrer Großmutter im Park gegenüber dem ausgebrannten und noch längst nicht wieder eröffneten Burgtheater spazierengegangen zu sein, während ihr von all den "Bühnenwundern" der fast verglühten Vergangenheit erzählt wurde. Und Erika Pluhar wurde später eine herausragende Darstellerin jener Bühne und blieb, bis zu ihrer Pensionierung, vierzig Jahre. Eine seinerzeit für Burgschauspieler nicht unübliche Zeitspanne. Es gab sogar Zeiten, wo es hieß, aus dem Burgtheater trete man nicht aus, sondern sterbe hinaus. Aber das galt spätestens seit Josef Meinrad nicht mehr, der als erster mit dieser Tradition brach.

 

Burgtheaterdirektoren halten sich eher nicht so lang, und Claus Peymann soll sich hier recht empfindlich verrechnet haben. Wenn es denn zutrifft, dass jene ehemals stellvertretende Direktorin nur eine Art Bauernopfer war, dann würde die Luft für Matthias Hartmann dünn. Das wird er zumindest erahnen. Doch ist es beruhigend zu wissen, dass das Burgtheater bestehen bleibt.