"The Effect" von Lucy Prebble: Premiere im Ernst Deutsch Theater Hamburg, am 6. März 2014
Helmut Marrat
Hamburg (Weltexpresso) - Wenn eine Aufführung nach langer Unentschiedenheit dennoch mit einem "Sieg des Theaters" endet, so kann es überflüssig erscheinen, Genaueres darüber zu schreiben. Nur bedeutet der Beruf des Kritikers nicht, nur "geglückt" zu vermelden, sondern er sollte ein paar Gründe nennen.
Nachvollziehbare selbstverständlich. Letztlich ähnelt seine Aufgabe also der des Schauspielers und der des Theaters oder der jeweiligen Aufführung.
"The Effect" heißt das neue Stück der englischen Autorin Lucy Prebble. Es stammt aus dem Jahr 2012 und wurde im selben Jahr in London uraufgeführt. Am vergangenen Donnerstag erlebte es seine deutschsprachige Erstaufführung in Hamburg.
"Effect" hieße übersetzt "Wirkung" oder "Ergebnis", aber auch "Wendepunkt". Und alle drei Bedeutungen treffen auf dieses Stück zu. Es besteht aus zwei Akten und endet jeweils an tatsächlich einem Wendepunkt. Zur Pause machen sich zwei junge Leute daran, ihrer Zwangslage zu entgehen, am Ende des Stückes hat die leitende Ärztin, wenn man so will, zu sich selbst gefunden.
"Wer spricht von Siegen? Überstehen ist alles." An jenes Rilke-Zitat fühlte ich mich im ersten Teil der Aufführung erinnert. Denn tatsächlich ist die erste Hälfte etwas quälend, und man kommt sich zeitweise wie auf einem Ärzte-Kongreß vor, auf den man unbeabsichtigt geraten ist. Dabei geben sich die beiden Darsteller (Saskia Fischer und Erik Schäffler) alle Mühe, die schwergängige Dialogfolge in Fahrt zu bringen. Doch gelingt dies den beiden erst im zweiten Teil.
Hartmut Uhlemann führt Regie und gestaltet die Handlung, indem er versucht, zu rhythmisieren. Dazu gehört ein energischer, gemeinsamer Auftritt der vier Akteure zu Beginn, aber vor allem der unermüdliche Einsatz der Drehbühne.
Es erscheint denkbar, dass ein kurzes Sich-Aufbäumen der Ärztin gegen den fast science- fictionartigen Ablauf jener medizinischen Versuchsanordnung - unterstützt durch das Bühnenbild von Eva Humburg - uns ein winziges Aufflackern jener Depression, in die sie später fallen wird, zeigte. Ein solches Zeichen wäre hilfreich. So fühlte ich mich stattdessen streckenweise alleingelassen. Mag sein, dass der Dramaturg (Stefan Kroner) hier entschiedener hätte eingreifen sollen, denn, während es den beiden Probanden untersagt ist, sich aus der sogenannten Nobelklinik zu entfernen, tut sich eine Aufführung schwer, aus der sich der grundsätzlich geneigte Zuschauer wegwünscht.
Aber sich selbst und damit den ersten Teil retten Henrike von Kuick und Kostja Ullmann in einer beinah ballettös anmutenden Szene der Liebesannäherung. So geht es in die Pause! Und ohne die erwähnte "Rettung" wäre wohl die allgemeine Ratlosigkeit noch größer gewesen. Doch man ist geblieben. Und wird belohnt. Das liegt ganz wesentlich an der immer sicherer spielenden Saskia Fischer, die immer mehr zu sich und ihrer Rolle finden wird. Sie liefert einen gelungenen Monolog - Stichwort: "Kennedys Hirn" - und fällt anschließend immer tiefer in ihre Krankheit. Und einen sich allmählich verfinsternden Zustand glaubhaft darzustellen, gehört zum Schwersten. Die Ärztin, die die fast schon "Volkskrankheit" zu nennende Depression einzukreisen bemüht ist, gelangt nun selbst in diesen Kreis der Unausweichlichkeit hinein. Und ihr Kollege Dr. Sealey, dem Erik Schäffler die wohldosierte Güte und Strenge gibt, die seine Darstellung eindrücklich machen wird und den zudem private Zuneigung zu seiner immer mehr entrückenden Kollegin bestimmt, läßt beide zu einem sich ergänzenden Paar der Verunsicherten werden.
Auf der anderen Seite das junge Paar: Aus dem Gefühl der Nähe wird ein dauerhafter Zustand. Und hier leisten Schauspieler und Regie viel: Denn auch heute sind zwei Schauspieler, die nahezu unbekleidet agieren, noch immer etwas Besonderes, und es so hinzubekommen, dass es natürlich wirkt und nicht aufdringlich, ist gar nicht so leicht, wie man meinen könnte. Doch es gelingt. Und in diesem Zusammenhang seien die ansonsten verwendeten Kostüme hervorgehoben, die Sabine Birker gerade den beiden Patienten entworfen hat. Ich verwendete vorhin den Begriff der Science Fiktion. Hier etwa tragen die beiden beinah eine Art Superman oder -woman Dress, und es wirkt eben nicht wie die Kluft von Krankenhausinsassen. So gibt es beides: Die Ärzte in ihren weißen Kitteln und die "Versuchskaninchen", die man für medizinische Tests benutzen wird, in ihren Trikots, in denen sie dann aber entkommen.
Und so ist es nur konsequent, wenn die Ärtzin schließlich selbst zur Gefangenen wird.
Zu guter Letzt: Henrike von Kuick als leicht irritierte, aber doch entschiedene junge Frau und Kostja Ullmann als männlicher Patient im doppelten Sinne: Zunächst als quirliger Proband, dann als Genesender, der sein Gedächtnis glaubhaft wieder zurückgewinnen muß.
Es spricht für große Geschicklichkeit der Theaterleitung, eine solch gelungene Besetzung der Rollen hinbekommen zu haben, und, wenn nicht alles täuscht, geht das Kalkül, mit zwei Jungstars weitere Publikumsschichten anzulocken, auf. Es wäre nicht verwunderlich.