Bildschirmfoto 2022 09 10 um 22.14.16DAS JÜDISCHE LOGBUCH, Anfang September

Yves Kugelmann

Basel (Weltexpresso) - Die junge Frau steht am Montagnachmittag im Kongresszentrum Basel, stülpt sich eine blaue Chulza über und drückt den grossen roten Knopf an der Fotowand. Im Hintergrund Theodor Herzl auf dem Balkon des Hotels Drei Könige. Herzl fasziniert die Jugend bis heute und ist Teil der Popkultur geworden. Zoe ist mit 22 Jahren die jüngste Delegierte der World Zionist Organization (WZO) am Kongress in Basel. Angereist aus der kleinen Stadt Mendoza im Westen Argentiniens, freut sie sich über den gelungenen Fotoprint aus der Maschine. Rund 200 Juden leben in ihrer Stadt.

Die Reise dauerte über 16 Stunden; das Erinnerungsfoto sendet sie ihrer kleinen Gemeinde. Sie ist die einzige Vertreterin von Argentinien, dem Land mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Lateinamerikas. Und sie ist letztlich die einzige Vertreterin der nächsten Generation, der Studierenden und Jugendlichen. Die zionistischen Jugendbünde, die Jugend, waren nicht an die Jubiläumskonferenzen von Basel geladen.

Es ist noch nicht so lange her, als Magbiteröffnungen im Stadtcasino Basel zu grossen Teilen von den Basler Jugendbünden Bne Akiwa und Emuna zum Teil mit den Gästen aus Bern und Zürich von Haschomer Hazair, Hagoschrim und Dubim bestritten und geprägt wurden – genau so, wie die Veranstaltungen und Programme die Jugendlichen prägten. Die Jugendlichen dieser Jugendbünde stärkten später die jüdischen Gemeinden, Organisationen und letztlich Israel. Sie waren die diskursiven, kreativen, aktiven Köpfe, die eingebunden wurden und nicht fehlen durften.

Längst ist der Zionismus nicht mehr sozialistisch, ganz so jung oder pionierhaft. Er ist etabliert, elitär und weit weg von den basisdemokratischen Bewegungen von einst. Und er klammert auch seine eigene Geschichte aus. Am Basler Galaabend der WZO wurden die grossen Verdienste der Zionisten in der Schweiz nicht gewürdigt oder erwähnt – jene etwa, die maßgebend daran beteiligt waren, dass Theodor Herzl den Zionistenkongress in Basel ausrichtete. So zum Beispiel der Zürcher David Farbstein oder der Basler Gemeinderabbiner Arthur Cohn. Immerhin jener Cohn, dessen Sohn Marcus später Israels Verfassung niederschrieb und Enkelsohn Arthur schließlich die Tochter Naomi des Staatsgründers Chaim Mosche Schapira heiratete. Die Familie, die in Basel wiederum seit der Staatsgründung den Weg von Rabbiner Cohn als Verfechter Israels fortschritten. Die Urenkelin Nurith Cohn saß indessen im Basler Stadtcasino – von ihrer und so vielen anderen Familiengeschichten war nichts zu hören – Zoe indessen setzt sich mit der Chulza ins Auditorium und verfolgt die Panels als ob sie wider alle falsche Nostalgie der WZO und dem Establishment auf der Bühne mit ihrer Chulza zurufen wollte: «Hei, hier ist der Zionismus, den ihr irgendwann verloren habt.» Der Zionismus, der nicht kapitalistisch geworden ist. Der Zionismus, der nicht nur digital, der nicht dekadent und propagandistisch wird. Der Zionismus, der an Herzls Idee in «Altneuland» gerade im Jahr 2022 im real existierenden Israel und der jüdischen Gemeinschaft weltweit anknüpft.

Soll der Zionismus die Juden verändern oder die Juden den Zionismus? Der Zionismus ändert die Juden, wenn er dogmatische Ideologie sein soll. Die Juden ändern den Zionismus, wenn er den Weg in die Freiheit auf Augenhöhe für alle bedeuten soll. Wie eine Erinnerung an die Herkunft des Zioinismus als einst so junge, innovative Bewegung leuchtete die blaue Chulza jenen entgegen, die längst vergessen haben, dass nicht Schlagworte und Platitüden Zionismus sind, sondern Engagement für Menschen in Not und der Aufbau einer gleichberechtigten Gesellschaft im Rahmen einer liberalen und nicht nationalistischen Nation.

Foto:
©tachles 

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2. September 2022
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.