Inga IsraelInga Heß - eine Erforscherin des jüdischen Lebens in Schlüchtern

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - Vor einiger Zeit kaufte die Lehrerin Inga Heß ein Haus in Schlüchtern. Das war eine gute Nachricht, denn nun wird die Neununddreißigjährige ihren Schulkindern mit besonderem Förderbedarf und der Gruppe zur Verlegung von Stolpersteinen erhalten bleiben. Voraussichtlich bietet sie sogar bald für Erwachsene Rundgänge durch die jüdische Geschichte unserer Stadt an.

Mit ihrer Arbeit für die Stolpersteine wurde Heß auch einem größeren Publikum im Bergwinkel bekannt. Als studierte Historikerin ist sie geradezu prädestiniert, die notwendigen geschichtlichen Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen zu recherchieren.

Zufällig geriet die Referendarin 2010 nach Schlüchtern, obwohl sie eigentlich freiwillig mit schwierigen Jugendlichen an Problemschulen im Frankfurter Gallus oder in Offenbach arbeiten wollte. Doch in Zeiten der „Lehrerschwemme“ waren wohl viele angehende Lehrkräfte bereit überall hinzugehen. Jedenfalls musste oder durfte Heß ihr zweijähriges Referendariat hier ableisten. Danach wurde ihr in der Bergwinkelschule die sofortige Übernahme als Beamtin angeboten. Jedoch blieb sie auch, weil sie die Mitgestaltung der Schule, die Kolleginnen und Kollegen sowie die ihr anvertrauten Kinder „ganz toll“ fand.

„Lehrerin zu sein ist auch großartig“, meint sie heute, obwohl ihr Leben anders verlief, als sie es sich als junges Mädchen vorstellte: Sie wollte Archäologie studieren, doch Ihre Eltern meinten, sie müsse Polizistin werden. In Südamerika wollte sie ein soziales Jahr machen, doch die Eltern waren dagegen. Deshalb bewarb sie sich – „hinter deren Rücken“ - für ein diakonisches Jahr in den Niederlanden.

Zurück in Deutschland einigte sie sich mit den Eltern auf ein Pädagogikstudium mit Schwerpunkt Geschichte. Nicht nur aufgrund ihrer Lektüre des Buches „Der Medicus“ hatte sie großes Interesse für das Mittelalter entwickelt, das später ihr erstes Prüfungsfach wurde. Im zweiten Bereich Zeitgeschichte entschied sie sich für eine niederländische Widerstandskämpferin. Erst spät kam sie also näher mit dem Nazi-Holocaust in Berührung.

Im Referendariat mussten sich die angehenden Lehrkräfte für ein eigenes pädagogisches Projekt entscheiden, das den jeweiligen Schulen auch nach ihrer Ausbildung zur Verfügung stehen sollte. In einem jüdischen Altersheim lernte Heß einen Überlebenden kennen, der ihr von seiner dramatischen Geschichte erzählte, die KZ-Nummer am Arm zeigte und klarmachte, dass Schlüchtern einst eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland war. Diese Begegnung motivierte sie, „Einen Stadtrundgang auf den Spuren jüdischen Lebens in Schlüchtern“ zu entwickelt.

Sie selbst musste im Geschichtsunterricht immer „Fotos und Filme mit Bergen von Leichen ansehen“, dagegen wollte sie „die Opfer würdiger darstellen und ihren Kindern und Jugendlichen ganz normale Menschen nahebringen, die unter uns lebten und dann plötzlich verfolgt wurden.“ Das Projekt konnte sie seitdem häufig an ihrer Schule durchführen, ständig arbeitet sie an dessen Weiterentwicklung: „Ich will, dass niemand vergessen wird!“ Sicher ist sie mittlerweile eine der kompetentesten Kennerinnen des einstigen jüdischen Lebens in unserer Stadt. Deshalb wurde sie mit einem Rundgang für Erwachsene, zum achtzigsten Jahrestag der Reichs-Pogromnacht 2018, von der Stadt Schlüchtern angefragt. Darüber kam sie zur Gruppe, die seitdem die Verlegung der Stolpersteine organisiert. Ihre Schülerinnen und Schüler zeigten bisher von sich aus großes Interesse, Gedichte bei den Verlegungen vorzutragen.

Inga Kaffee 7265
Ihr Fußfassen in Schlüchtern zog sich etwas lange hin, zunächst lernte sie durch das Brücken-Café Leute kennen, erst sehr spät arbeitete sie im KUKI mit. Doch sie ist nicht ständig sozial engagiert, in ihrer Freizeit geht sie gerne ins Schwimmbad oder ist in den Wäldern um Schlüchtern unterwegs. Leider ohne ihren achtzehnjährigen Hund Zerah, der mittlerweile fast blind ist. „Kochen ist nicht so meine Leidenschaft, erzählt sie, „ich backe lieber Kuchen.“ Und sie hat ständig eine Kaffeetasse in der Hand.

Foto:
Hanswerner Kruse
Foto oben privat: Inga Heß zur Fortbildung in Israel