DAS JÜDISCHE LOGBUCH Mitte September
Yves Kugelmann
Tel Aviv (Weltexpresso) - Hamburg, September 2022. Sie strahlt auch an diesem Montagabend in der Abendsonne an der Elbe. Die Schiffe ziehen vorbei und die Perspektiven in die Weite faszinieren die Menschen auf dem ehemaligen Speicher. Wenn der deutsche Liedermacher seinen «Cousin» im Geiste Heinrich Heine auf der Bühne der Elbphilarmonie am deutschen Hafen trifft, dann begegnen sich Meister der Dichtung auf Augenhöhe – Dichter mit gebrochenen Biographien. Der deutsche Jude Heine in der Emigration in Frankreich, der deutsche Jude Biermann in der wiedergefundenen Heimat Hamburg nach seinem Berliner Exil.
Zwei Stunden singt und rezitiert Biermann auf Einladung des Harbour-Front-Literaturfestivals und zeichnet einen sehr persönlichen Zugang zu Heine entlang beider Biographien mit neuen Einblicken. So etwa, wenn er die beiden «Deutschland. Ein Wintermärchen» aufgreift, das ambivalente Verhältnis der beiden Dichter in der je eigenen Biographie verortet und Lyrik interpretiert.
Die Bühne steht im Triangel seiner eigenen Biographie. Der Speicherstadt entlang flüchtete der kleine Biermann 1943 mit seiner Mutter vor dem britischen Bombenhagel. 40 000 fallen dem Feuersturm zum Opfer, seine Mutter rettet Biermann das Leben. Auf der anderen Seite der Hafen, in dem sein Vater arbeitete und gegen das faschistische Franko-Regime Waffen schmuggelte. Er wird als kommunistischer Rebell verhaftet und als Jude in Auschwitz ermordet. Eine Bühne inmitten der Geschichte an der Elbe, die Biermann so oft besang.
Die Sätze sind klar, die Gedanken messerscharf, die Aussagen gelten weit über Heine hinaus für Deutschland und Europa, wenn Biermann etwa über die Waffenlieferungen in die Ukraine spricht, den Kommunismus reflektiert und anhand von neuen Wortschöpfungen in den Dichtungen zu Themen Krieg und Freiheit sinniert. Da Heines «Freiheitskämpfe», dort Biermanns «Vaterseelenallein» – sein jüngstes Lied und damit eine kleine Weltpremiere in Hamburg. Ein fulminanter deutscher Lied- und Denkabend. Keine Märchen, sondern viele Wahrheiten voll von Kunst und Sprachschön- und -klarheit.
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. September 2022
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.