heinrich hannover

Zum Tod des Strafverteidigers und Kinderbuchautors Heinrich Hannover

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Im Alter von 97 Jahren ist am vergangenen Sonnabend der bekannte Strafverteidiger und Buchautor Heinrich Hannover gestorben. Zu seinen Mandanten gehörten unter anderen Daniel Cohn-Bendit, Otto Schily und Günter Walraff und er war für die Jugend Westdeutschlands eine Hoffnungsfigur. Er selbst bezeichnete sich als „Anwalt der kleinen Leute, der politisch oder religiös verfemten Minderheiten, der gegen das kapitalistische System und neue Einmischung in Krieg und Völkermord aufbegehrenden Generation“. Aus Anlass seines Todes veröffentlichen wir noch einmal einen Artikel, den wir vor sechs Jahren erstmals abgedruckt  haben. Unser Mitarbeiter Kurt Nelhiebel, der mit Heinrich Hannover befreundet war, schildert darin eine Begegnung mit Heinrich Hannover an dessen letztem Wohnsitz Worpswede. Die Redaktion.

 

Es dauerte eine Weile, bis wir uns auf einen Termin geeinigt hatten. Das lag nicht an anderweitigen Verpflichtungen und auch nicht an der Entfernung. Von Bremen aus ist man mit dem Auto in knapp einer Stunde in Worpswede, dem  postalischen Wohnort von Heinrich Hannover. In Wirklichkeit wohnt er ziemlich weit draußen auf dem Lande in der Nähe des Teufelsmoores, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen und nur noch Feldwege weiterführen in die Landschaft mit dem fernen Horizont.

 

Mit Hilfe von Satellitenaufnahmen hatte ich mir eine Fahrtroute zurechtgelegt, die sich bei näherer Betrachtung als nicht sonderlich empfehlenswert erwies und von Heinrich  Hannover rundweg verworfen wurde. Ich hatte sie ihm per E-Mail beschrieben und er antwortete darauf  mit einer handschriftlich angefertigten Wegeskizze. Sie führte mich problemlos und überraschend schnell ans Ziel, über mir ein blauer Mai-Himmel mit dicken weißen Wolken, ein Himmel, so hoch und so weit, wie er nur hier anzutreffen ist.

 

Die Bleibe Heinrich Hannovers entdeckte ich nach zweimaligem Hinsehen versteckt hinter Bäumen und Büschen. In ihrer unauffälligen geduckten Bescheidenheit gleicht sie eher der  Herberge eines Eremiten, als dem Haus eines über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Strafverteidigers und Kinderbuchautors, der zu den prägenden Gestalten der deutschen Nachkriegsgeschichte gehört. Und dann stand er auch schon vor mir im Türrahmen, groß, schlank, ein wenig gebeugt, und hieß mich willkommen. 

 

Das erste Mal waren wir uns vor einem Menschenalter in Frankfurt am Main begegnet, wo sich alljährlich ein Kreis von unbequemen Rechtsanwälten versammelte, die Gegner der Wiederbewaffnung, Pazifisten und Kommunisten vor Gericht verteidigten. Seither hatten wir uns nie aus den Augen verloren. Was Heinrich Hannover 1998 in seinem Buch „Die Republik vor Gericht“ zu berichten wusste, war für mich als Journalisten von besonderem Interesse, Dasselbe gilt für sein Buch über die politische Justiz zwischen 1918 und 1933, das er 1966 zusammen mit seiner 2009 verstorbenen Frau Elisabeth verfasst hat. 

 

Als ich nach dem Fall der Mauer unter meinem Autorennamen Conrad Taler den Rachefeldzug der bundesdeutschen Justiz gegen die verhassten Juristen-Kollegen aus der DDR unter die Lupe nahm und darüber ein Buch mit dem Titel „Zweierlei Maß“ schrieb, steuerte Heinrich Hannover ein Vorwort bei, in dem er in gewohnter Deutlichkeit bekannte: „Conrad Talers Buch steht quer zur Strömung eines Zeitgeistes, der über Recht und Unrecht Bescheid zu wissen glaubt. Wer es liest, dem werden einige Zweifel kommen, ob Anspruch und Wirklichkeit unseres Rechtsstaates tatsächlich übereinstimmen.“

 

Wir hatten also einiges zu bereden, als wir im Arbeitszimmer saßen, von dem aus der Blick hinaus geht in die Weite der Worpsweder Landschaft. Ungeachtet der Beeinträchtigung durch seine schwächer gewordenen Augen, strahlte der 91jährige während des langen Gesprächs eine mit wachem Verstand und politischem Scharfsinn unterlegte gelassene Heiterkeit aus. Hartnäckig bestand er darauf, dass mir seine jetzige Frau Doris eine Rede vorliest, die er demnächst bei einer öffentlichen Veranstaltung halten wollte. Eine Gedenktafel sollte enthüllt werden zur Erinnerung an die Beschlagnahme eines alten Bremer Gebäudes durch die Nazis, das während der Weimarer Zeit ein Regionalbüro der Kommunistischen Partei Deutschlands beherbergte und das „Rote Haus“ genannt wurde. 

 

Ob mir die Rede gefiele, wollte Heinrich Hannover am Schluss wissen. Als ich das bejahte, meinte er: „Dann halte ich sie so.“ Fünf Tage später wurde ich von den Veranstaltern zu der Gedenkfeier eingeladen. Für ein Abschiedsfoto legte Heinrich Hannover mir draußen vor der Tür seinen Arm um die Schultern. Die Sonne war inzwischen tiefer gesunken und in den Ästen über uns sang eine Amsel ihr erstes Abendlied. Ins Gästebuch hatte ich mich mit dem Satz eingetragen: Ein unvergesslicher Tag.

 

Foto:
Hannover links, rechts der Autor 
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