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DAS JÜDISCHE LOGBUCH  vor Mitte März

Yves Kugelmann
 

Lausanne (Weltexpresso) -  Hier am Genfersee ist die Welt noch beschaulich. Bundesbern, Zürichs Wirtschaftstreiben sind ebenso weit weg wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG). Den Dachverband nimmt kaum jemand zur Kenntnis. In der Romandie ist für die jüdischen Gemeinden die Coordination Intercommunautaire contre l'Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) relevant. Der SIG repräsentiert offiziell seine Mitgliedsgemeinden und damit vielleicht 60 Prozent der Schweizer Juden. Die jüdische Romandie hat allerdings seit Jahrzehnten ein gespaltenes Verhältnis zum Gemeindebund – gerade auch bei Projekten:

Antisemitismusbekämpfung verantwortet die CICAD, Likrat ist in der Romandie nicht wirklich ein Thema. In der Deutschschweiz wiederum drängt sich der SIG mit Programmen auf, die andere tun. Das National Coalition Building Institute Schweiz (NCBI) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) betreiben Aufklärung in Schulklassen mit eigenen Programmen und höherer Quote.

Auch Likrat könnte dort bestens integriert werden und der Dachverband könnte sich auf Verbands- denn Projektaufgaben konzentrieren. Der SIG hat ein strukturelles Defizit von 450 000Franken und ein Identitätsproblem. Der Dachverband möchte sich ständig mehr Bedeutung geben, als er hat. Das ist mitunter teuer und zeigt sich am Beispiel Antisemitismusbericht. Die CICAD für die Romandie und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) für die Deutschschweiz verantworten einen solchen seit Jahrzehnten in der einen oder anderen Form.

Der SIG zahlt der CICAD 80 000 Frankenjährlich an Subventionen und im Verband schlägt die Arbeit und das Monitoring rund um das Thema Antisemitismus mit 200 000 zu Buche. Fast 300 000 Franken Einsparungen fielen hier an, wenn der Dachverband endlich die Hände davon lassen und nicht jährlich einen peinlichen und unzulänglichen Bericht publizieren würde. In diesem Jahr entdeckte dieser Bericht als «Novum» Antisemitismus in Subkulturen. Etwas, das es schon seit vielen Jahren auch in der Schweiz gibt, verkündet der SIG als neue Erkenntnis – die er allerdings über Jahre nie hatte. Anstatt zu sparen, tritt der SIG mit einer eigenen «Zukunftsstiftung» in Konkurrenz mit den Schweizer Juden (tachles berichtete mehrfach).

Ab diesem Jahr sind 200 000 Franken für eine Fundraisingstelle budgetiert, die gestern, Donnerstag, bei der Sitzung des Centralcomités reduziert werden musste. Inzwischen liegt auch die sogenannte «Machbarkeitsstudie» in Sachen SIG-«Zukunftsstiftung» vor. Sie kommt zum Schluss, dass diese so nicht empfehlenswert ist, Partizipation von jüdischer Seite sozusagen nicht vorhanden ist. Statt den teuren Rohrkrepierer und damit eine völlig unnötige Diskussion endlich zu beerdigen, will die Geschäftsleitung das Projekt nun anders vorantreiben. Statt Doppelspurigkeiten mit Gemeinden oder jüdischen Zivilorganisationen zu verhindern, statt endlich zu sparen, will die Geschäftsleitung nun den aufgeblasenen Apparat mit projektbezogenen Förderungen finanzieren.

Ein Apparat, der sich auf der Webseite des SIG so präsentiert: «Generalsekretär, Leiter Public Affairs und Kommunikation sowie Stv. Chief Operating Officer, Leiterin Kultur, Raphael Lévy, Leiter Sicherheit, Leiter Politik und Analyse, Leiter Bildung und Prävention, Leiterin Administration, Projektmitarbeiterin Bildung und Prävention, Senior Projektleiterin Kommunikation, Stv. Leiter Bildung und Prävention, Projektmitarbeiter Analyse» und dazu kommen dann noch Mandate sowie eben eine Fundraisingstelle. Ausgerechnet an Purim hat der SIG-Präsident mit seinem Generalsekretär drei Züricher zu einem Runden Tisch geladen (tachles berichtete). Von der Romandie, der breiten jüdischen Zivilgesellschaft, war niemand dabei, ebenso wenig vom CC, das schliesslich die Gemeinden vertritt. Rasch hätte man teure Doppelspurigkeiten bei Verwaltung und Projekten definiert und aufgrund dessen ein ausgeglichenes Budget. Das haben dem SIG-Präsidenten inzwischen diverse jüdische Exponenten in den letzten Monaten klipp und klar gemacht – doch der Verband wurstelt weiter an einem Förderprojekt, anstatt diese Mittel der jüdischen Gemeinschaft nicht strittig und endlich seine eigenen Hausaufgaben zu machen.

Foto:
©Lausanne tourisme


Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. März 2023
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.