jud. gem tagesschauDAS JÜDISCHE LOGBUCH im späteren Januar

Yves Kugelmann

Brüssel-Antwerpen, (Weltexpresso) -  Das große Wahljahr steht bevor, in der Europäischen Union ebenso wie in Russland, Indien, USA und anderswo. Taiwan machte letzte Woche den Anfang. Die gläsernen Gebäude der Brüssler Bürokratie leuchten in der Wintersonne. Es ist eiskalt, kaum Menschen auf der Strasse. Anders beim Besuch des Quartiers Moolenbeek, in den Schlagzeilen seit den Attentaten in Paris, seither immer wieder als Brutstätte von Terroristen. Die Strassen sind bevölkert, das Bild divers.

Nach dem 7. Oktober tobt wieder eine Debatte in Belgien, ob Teile der Migranten tickende Zeitbomben, Schläfer und so fort seien. Der Blick in die Gesichter der Menschen auf der Straße mit solchen Gedanken ist ein anderer. Das Quartier hat sich geändert, sollte vom Problemhotspot wegkommen. Doch was ist mit den Menschen? Die Eskalation mit Antisemitismus und Hetze gegen Israel in den Straßen ist abgeflaut.

Zivilgesellschaftliche Projekte von Juden und Muslimen versuchen mit Aufklärungs- und Dialogprojekten dem gesellschaftlichen Unfrieden einzuwirken. Im jüdischen Viertel in Antwerpen hat sich das Straßenbild nicht geändert. Die vorwiegend orthodoxen jüdischen Familien ziehen durch die Straßen, die Kinder kurven mit Rollern und Fahrrädern durch das Quartier. Die vielen jüdischen Kaffees und Restaurants sind Teil der Vielfalt mit persischen, türkischen, orientalischen Restaurants. Doch trügt der Anblick, ist die Ruhe trügerisch? Die einen sehen es in den Gesprächen so, die anderen so. Über 20 000 Juden leben in Antwerpen mit seinen 35 Synagogen, zehn jüdische Schulen und vielem mehr. Die Konfliktstränge aus der Netflix-Familiensage «Rough Diamonds» über das jüdische Diamantenviertel schweben vielleicht über allem. Ist ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit verschiedensten Kulturen, Ethnien, Religionen, Herkünften noch möglicher als jemals zuvor, oder gilt das Gegenteil? Werden rechtsextreme Parteien in Europa, die Migrationsdebatten, die sozialen und ökonomischen Herausforderungen Europas Gesellschaften in die Vergangenheit zurückkatapultieren? Die einen meinen Ja, die anderen Nein. Das Superwahljahr 2024 wird weltweit Weichenstellungen bedeuten. Der Countdown läuft.

Foto:
Jüdische Gemeinde Brüssel
©Tagesschau

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 12. Januar  2024
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.