Denkeinbruch im U-Bahndunst
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vorhin, an der U-Bahnhaltestelle stehend - wartend, da dachte ich so vor mir hin: wie bewußtlos ist doch der Mensch in der Sommerzeit – bewußtloser nämlich noch als sonst -, in seiner und ihrer phlegmatischen sommerlichen Entspanntheit, gerade im familiären Kontext, wenn die Kinder so genrehaft hinterhergezogen werden. Wobei einer sich selbst durchaus nicht ausnehmen will.
Denn wir suspendieren uns doch im Sommer – zumal wenn Weltmeisterschaft ist - von vielen Dingen, Verhältnissen und Unannehmlichkeiten zumindest teilweise, die sonst näher über oder direkt auf der Haut brennen. Sommer ist immer mit selbst verordnetem Reha-Programm für die Unbill im Alltag der abwesenden Wärme und Hitze verknüpft. Wie lange und andauernd würden wir es denn wohl im Bewusstsein eventuell letzter, schlimmer Dinge, im Angesicht des Furchtbaren und Entsetzlichen, das in der Welt ist und sein Unwesen treibt, aushalten? Das volle Bewusstsein von all dem Fragwürdigen, Grausamen und gänzlich Unhaltbaren würde uns in ein Dauer-Entsetzen bannen, wir würden erstarren.
Könnten, wollten wir uns denn in die hinein versetzen, die plötzlich und tödlich ausgeliefert mitten im Massaker zu stehen kommen, ihm ohne Ausweg preisgegeben? Das passiert und ist Realität an jedem Welt-Tag.
Erster Weltkrieg. Kluge Texte wurden gedruckt und werden wirklich dankbar gelesen und angenommen. Doch da stellt sich doch unmittelbar bildlich die griffige Formulierung von Arthur Schopenhauer ein, die in etwa lautete: `..dann muss Blut und Schweiß des großen Haufens fließen, ihre Einfälle´ – gemeint die der Mächtigen - `durchzusetzen oder ihre Fehler abzubüßen´.
Und es stellt – gelangweilt auf die nächste U-Bahn wartend - sich auch der lang gewohnte Auftritt jenes Frankfurter Herumstreichers unvermittelt wieder ein, der einst anscheinend psychotisch oder schizophren (geltend) durch die Menge des Schillermarktes am Freitag eilte und von der Herrschaft und Übermacht der Geheimdienste faselte, daher redete (zumindest war das landläufige Meinung beim Großen Haufen, dass er verrückt sei und nur was erzähle, weil er sich immer so verfolgt fühle). Sah ihn lange nicht mehr, aber wie es sei, ob es ihn noch gibt oder nicht: Er hatte voll recht! Er lag völlig richtig! Er war womöglich seiner Zeit voraus. Er konnte – trotz seines Genies - noch gar nicht wissen, dass er noch lange nicht alles wusste, ja nicht einmal jemals wissen würde können. Bei all den täglichen Meldungen, die über die Agenturen laufen zum Fall des munteren Treibens der Geheimdienste dieser Tage, muss, braucht an dieser Stelle kaum mehr irgend etwas hierüber angezweifelt zu werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, nicht mehr.
Aber der „Große Haufe“ (Schopenhauer) hielt ihn für voll meschugge, lächelte, grinste, feixte sich einen ab über einen so ausgeflippt Danebenliegenden, wahnsinnig Verirrten. Die Haufenvertreter dünkten sich ihm restlos überlegen, über ihn gänzlich hinaus aufgestiegen und in selbst gewisser Nüchternheit sich wiegend ob so viel dieses Wahns und Irrtums, der ihnen da im Einkaufspulk entgegen schoss.
Was überhaupt alles wissen wir noch immer nicht und wollen es gar nicht wissen, weil es das so selige Dolce far niente, das Süße Leben des lieber Nichtswissens, die lang gezogene Summertime („Living is easy“) durchkreuzen würde.
Jetzt muss erstmal das Smartphone wieder betätigt werden. Es war kurz in Ruheposition.
Foto: Heinz Markert