Deutschlandfunk kulutr buDas jüdische Logbuch, Mitte Februar

Yves Kugelmann

Köln, (Weltexpresso) -  Buchhandlungen können Heimatorte sein – überall. Die Lichtenfeldsche Buchhandlung in Köln ist so eine, mit einem sehr engagierten jüdischen Programm, einem für Demokratie und über Widerstand. Viel israelische Literatur ist zu sehen – Literatur, die vor Augen führt, wo Israel herkommt, was Israels Gesellschaft erreicht hat und welche ethischen Standards sie gesetzt hat. Da der neu herausgebrachte Bialik, dort Essays von David Grossman.



Die Rückführung der israelischen Geiseln vom letzten Mal war eine Zäsur und schockierte nicht nur Israelis. Denn die totale Dehumanisierung, Folter, Missbrauch, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen standen den drei Geiseln Ohad Ben Ami, Or Levy und Eli Scharabi ins Gesicht geschrieben. Angesichts der – nicht anders zu erwartenden – Hamas-Propaganda bei der Übergabe der Geiseln hat inzwischen das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) interveniert.

«Das IKRK ist zunehmend besorgt über die Bedingungen der Freilassungsaktionen», teilte die Organisation mit. «Wir fordern alle Parteien, einschließlich der Vermittler, nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass künftige Freilassungen menschenwürdig und privat erfolgen.» Das ist wichtig und richtig in diesem auf allen Ebenen asymmetrischen Krieg und zeigt, wie sehr die Hamas immer noch das Diktat führt. Daran ändern Drohungen aus Israel und den USA wenig, denn die Hamas nimmt die totale Selbstvernichtung in Kauf. Wer die Hölle zum Ziel hat, lässt sich durch Drohungen mit der Hölle nicht beeindrucken.

Längst allerdings haben sich auch Grenzen in Israel und teilweise in der jüdischen Gemeinschaft weltweit verschoben. Das zeigt sich seit den Hamas-Massakern auch in der Prioritätensetzung der israelischen Regierung. Die Rückführung der Geiseln war nicht mehr oberste Priorität und lässt sich durchdeklinieren bei weiteren Themen. Die Trumpisierung Netanyahus, der Pakt mit dem politischen Teufel in Form messianisch-nationalistischer Parteien und der Druck der neuen Realitäten in Nahost zeigen Wirkung.

Muss das aber bedeuten, dass die Geiseln auch auf jüdischer Seite zu beliebigen Objekten verkommen dürfen? Dass bei der Rückführung eine Realtime-Inszenierung auf israelischer Seite legitimer wird? Dass den Geiseln und ihren Familien jede Intimsphäre geraubt wird und eine Art «Geisel-Big-Brother» inszeniert werden soll? Soll der Zynismus des Konflikts zum neuen Parameter auch für Israelis und Juden werden?

Bei der Freilassung wusste Eli Scharabi nicht, dass seine Frau Lianne und seine beiden Töchter Noiya und Yahel am 7. Oktober 2023 von der Hamas in ihrem Haus im Kibbuz Beeri ermordet wurden. Er erfuhr diese tragische Nachricht erst nach seiner Rückkehr nach Israel von seiner Familie. Doch davor zeigten die Kameras den völlig entkräfteten, stark verwirrten Scharabi zu einem Zeitpunkt, in dem er nichts vom Schicksal seiner eigenen Familie weiß – ganz im Gegensatz zu den Zuschauern.

Die Menschenwürde ist ein unantastbarer Wert, der schon früh in den jüdischen Quellen verankert ist. In «Bereschit» heißt es: «Jeder Mensch ist nach dem Ebenbild Gottes erschaffen.» Rabbi Nachman von Breslau sagt: «Ehre die Würde eines jeden Menschen, denn auch dein Feind ist ein Kind Gottes.» Der Begründer der Mussar-Bewegung, Israel Salanter, formuliert: «Lass dich nicht durch die Verachtung anderer erniedrigen, denn Gott wohnt in jedem von uns.» Und so fort – sie setzen die Massstäbe, die längst zu einer säkularisierten Ethik geworden sind.

Wer den jüdischen Staat im Munde führt, muss das mit Inhalt füllen. Jüdische Ethik ist dabei unumgänglich, Nationalismus eine verführerische Hülle für das Falsche. Wie die Geislen über Geschichte reden wollen, werden nur sie allein ohne den vorgängigen Übergriff der Öffentlichkeit, der Regierung etc. entscheiden sollen. Leben und Würde der Geiseln sind das Primat der Gegenwart. Ein Blick in Bücher hilft.

Foto:
Das ist. nicht die Lichterfeldsche Buchhandlung Köln, sondern irgendeine, da die in Köln nicht sins Bild gebracht werden konnte
©Deutschlandfunk Kultur

Info:

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. Februar 2025