Professoren der Goethe-Universität als Experten gefragt
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wissenschaftler der Goethe-Universität sind bundesweit und auch auf europäischer Ebene beratend aktiv und haben auf diese Weise Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen. So sind bei der Bundesregierung zahlreiche Professoren und Professorinnen aus Frankfurt mit ihrem Fachwissen und ihrer Meinung gefragt, EU-Behörden verlassen sich auf deren Expertise.
Muss die deutsche Osteuropapolitik neu konzipiert werden? Wie kann die Ukraine-Krise beendet werden? Mit diesen sehr aktuellen Fragen befasst sich Peter Lindner, Professor für Humangeographie mit Schwerpunkt Transformationsforschung/Russland, zusammen mit 25 anderen Kollegen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Zusammen bilden sie die Expertengruppe Osteuropa (EGOP), die im Auftrag des Auswärtigen Amtes Empfehlungen für die mittelfristige Ausrichtung der deutschen Osteuropapolitik erarbeitet. Die Gruppe ist für ein Jahr einberufen, wird aber voraussichtlich noch länger bestehen. „Es ist eine tolle Sache, wenn man seine wissenschaftliche Arbeit für die politische Praxis fruchtbar machen kann“, findet Lindner. Umgekehrt fließe auch die Erfahrung aus Berlin in die Lehre ein: „Das ändert schon ein wenig die Perspektive“, so der 45-Jährige.
Die Verbindung von Wissenschaft und Praxis nennt auch Prof. Rainer Hofmann, der am Main Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht lehrt, als Motivation für seinen Einsatz im Auftrag des Auswärtigen Amtes. Schon seit 2001 ist Hofmann Mitglied des Völkerrechtlichen Beirats des Auswärtigen Amtes, einem derzeit fünfköpfigen Gremium, das sich dreimal im Jahr zusammenfindet. Was genau dabei verhandelt wird, ist streng vertraulich. Es sei jedoch klar, so Hofmann, dass die Erörterungen, die im Beirat stattfinden, unter Umständen auf die wissenschaftliche Arbeit zurückstrahlten. Umgekehrt lege das Auswärtige Amt „ausdrücklich großen Wert auf unsere Unabhängigkeit und auch Kritik an (vorläufigen) Positionen des Auswärtigen Amtes“.
Geldmarktexperte Prof. Volker Wieland ist wohl einer der bekannteste Frankfurter Wissenschaftler auf dem politischen Parkett: Seit Frühjahr 2013 gehört der 48-jährige Volkswirtschaftler zu den so genannten Fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ erstellt jährlich ein Gutachten, zu dem die Bundesregierung Stellung bezieht. Zudem gibt er Prognosen ab und weist auf Fehlentwicklungen hin. Wieland ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Finanzen, in dem gleich drei weitere Professoren der Goethe-Universität vertreten sind: Prof. Nicola Fuchs-Schündeln, in Frankfurt zuständig für Makroökonomie und Entwicklung, Prof. Jan Pieter Krahnen, Experte für Kreditwirtschaft und Finanzierung sowie der Finanzwissenschaftler Alfons Weichenrieder. Der Wissenschaftliche Beirat existiert seit 1952 und versteht sich als „wissenschaftliches Gewissen“ der Politik, das sich in seinen Gutachten mit wichtigen Zukunftsfragen beschäftigt.
Prof. Andreas Hackethal wiederum, Stiftungsprofessor für Personal Finance, gehört der Börsensachverständigenkommission an, die die Bundesregierung in Fragen der Kapitalmarktpolitik berät. Theodor Baums, Professor für Wirtschaftsrecht, ist Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Dieser Kodex wurde auf Initiative der Bundesministerin der Justiz seit 2001 erarbeitet. Er soll die in Deutschland geltenden Regeln für Unternehmensleitung und –überwachung für nationale wie internationale Investoren transparent machen und so das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften stärken.
Drei Frankfurter sind bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA in Paris in unterschiedlichen Gremien aktiv: Prof. Hans-Joachim Böcking, Fachmann für Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance, gehört der Kommission „Corporate Reporting“ an, Professor Peter Gomber, Spezialist für e-Finance, ist Mitglied der Kommission „Secondary Markets“ und sein Kollege Jan Pieter Krahnen dem ökonomischen Beirat der Kommission „Economic and Markets Analysis“. Prof. Helmut Gründl ist im Wissenschaftlichen Beirat der EIOPA in Frankfurt, der Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung. ESMA und EIOPA sind Teil des europäischen Finanzaufsichtssystems.
Prof. Matthias Jahn, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie, befasst sich in einer Expertenkommission des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz mit der Reform des Strafverfahrens. Damit soll zunächst die Forderung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden, die bestehenden Regelungen zu überprüfen. Ein zweiter Grund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Verständigung im Strafprozess („Deal“), das eine Neuregelung nahelegt. Bis April 2015 soll die 30-köpfige Kommission konkrete Gesetzesvorschläge machen. „Das ist zwar auf Kante genäht, für mich aber zeitlich gut zu bewältigen: Schließlich greift man auf die Erfahrungen seines ganzen Juristenlebens zurück“, sagt der 45-Jährige, der die bundesweit einzige Forschungsstelle für Recht und Praxis in der Strafverteidigung innehat. Für die Lehre sei die Tätigkeit von großem Wert: Es sichere die Aufmerksamkeit der Studenten, wenn der Bezug zur Realität spürbar sei.
Roman Inderst, Professor für Finanzen und Ökonomie, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. In der Arbeitsgemeinschaft „Sicherer Rechtsrahmen für Cloud Computing“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie engagiert sich Prof. Indra Spiecker genannt Döhmann, Professorin für Öffentliches Recht.
Auch die Vertreter anderer Fachbereiche sind in wichtigen Beraterpositionen aktiv. Prominentester Kopf aus der Medizin ist der Allgemeinmediziner Prof. Ferdinand Gerlach: Er führt als Vorsitzender den Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen an, umgangssprachlich bekannt als „die sieben Gesundheitsweisen“. Diese Experten sollen in Gutachten und Empfehlungen „Prioritäten für den Abbau von Versorgungsdefiziten und bestehenden Überversorgungen“ sowie Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aufzeigen. Gerlach ist zudem als Experte und Gutachter für die Bundesministerien für Bildung und Forschung und für Gesundheit tätig, für Bund-Länder-Kommissionen der Gesundheitsministerkonferenz, für die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
Prof. Stefan Zeuzem, Direktor der Medizinischen Klinik I, und Prof. Simone Fulda, Direktorin des Instituts für Experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie, sind Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates. Als solche beraten sie die Bundesregierung und die Landesregierungen bei der Entwicklung von Hochschulen und Forschung. Die Aufgabe sei vielfältig und spannend, meint Zeuzem. „Mein besonderes Interesse gilt natürlich der Hochschulmedizin sowie den Fragen der klinischen Forschung in Deutschland.“ Simone Fulda reizt an der Aufgabe, zur inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Wissenschaft im interdisziplinären Diskurs beitragen zu können.
Andrea Meurer, Ärztliche Direktorin der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim, ist seit März dieses Jahres Mitglied des Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zusammen mit 16 weiteren Mitgliedern ist sie dafür zuständig, den Kriterienkatalog weiterzuentwickeln, nach dem der Grad einer Behinderung oder Schädigung bemessen werden kann. Auf europäischer Ebene engagiert sich Prof. Kai Zacharowski, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie: Er vertritt Deutschland in der Union Européenne des Médicins Spécialistes (UEmS) und ist seit 2014 Präsident der Multiple joint committee intensive care medicine (MJC IMC) der Europäischen Union und als solcher verantwortlich für ein gemeinsames Curriculum für Intensivmedizin in Europa. „Ein Arzt aus Portugal kann dann auch in Schweden in der Intensivmedizin arbeiten und einer aus Bulgarien in Deutschland“, so Zacharowski.
Professor Manfred Niekisch, Leiter des Frankfurter Zoo und Professor am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, gehört dem Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung an. Zudem ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Waldpolitik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Soziologie-Professorin Brigitte Geißel, die sich mit Deutschland im europäischen Kontext befasst, ist Mitglied der Sachverständigenkommission „Zweiter Engagementbericht der Bundesregierung: Demographischer Wandel und bürgerschaftliches Engagement“, der im kommenden Jahr vorgelegt werden soll. Hans Peter Klein, Professor für Didaktik der Biowissenschaften, ist für das Bundesbildungs- und –forschungsministerium gutachterlich tätig. Cornelia Rosebrock, Professorin für Deutsche Literatur und ihre Didaktik, berät seit 2007 das Institut für Qualitätssicherung im Bildungswesen (IQB) in Berlin, eine Institution der Kultusministerkonferenz (KMK). Ihr Gebiet ist dabei die fachdidaktische Beratung bei der empirischen Überprüfung der Bildungsstandards der Länder und des Bundes.
Julika Griem, Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft, ist seit wenigen Wochen Mitglied der Strategiekommission des Wissenschaftsrates. Der Wissenschaftsrat ist eines der wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremien in Deutschland. Er berät die Bundesregierung und die Regierungen der Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Wissenschaft, der Forschung und des Hochschulbereichs. Julika Griem soll zusammen mit elf anderen Wissenschaftlern einen der Berichte erstellen, auf deren Grundlage über den Fortgang der Exzellenz-Initiative nach 2017 entschieden wird. „Das ist eine sehr zeitaufwändige Sache“, sagt Griem. Aber gerade für Geisteswissenschaftler sei ein solches Engagement wichtig: „So können wir sichtbar werden.“
Auch Jura-Professorin Indra Spiecker ist für den Wissenschaftsrat aktiv. Sie gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der Arbeitsgruppe „Kerndatensatz Forschung“ an. Der Kerndatensatz ist ein Angebot an Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, um sie bei der informationstechnischen Erfassung ihrer Forschungsaktivitäten zu unterstützen. Er stellt einen Standard zur Eigenverwaltung dieser Daten bereit, eine zentrale Datensammlung erfolgt nicht.
Einer von zwölf Gutachtern für den Qualitätspakt Lehre des Bundes und der Länder ist Professor Manfred Schubert-Zsilavecz vom Institut für Pharmazeutische Chemie. Der Physiker Prof. René Reifarth ist Fachgutachter für den Europäischen Forschungsrat, und sein Kollege Prof. Werner Mäntele (Biophysik) ist für Forschungsministerien in verschiedenen Ländern Lateinamerikas beim Aufbau von Exzellenzzentren, Forschungsverbünden und Studiengängen gutachterlich tätig.
Foto: Manfred Niekisch, Leiter des Frankfurter Zoo und Professor am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität
Hintergrund:
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 2014 feiert sie ihren 100. Geburtstag. 1914 gegründet mit rein privaten Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto „Wissenschaft für die Gesellschaft“ in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100 Jahren hat die Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geisteswissenschaften.“
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