Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren

  

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) – Noch immer geht es um die Aufarbeitung dessen, was Werner Renz, beschäftigt am Fritz Bauer Institut, in verschiedenen Aufsätzen zum Namensgeber des Instituts äußerte, was diejenigen, die Fritz Bauer noch gekannt haben, nicht nur verärgert, sondern motiviert, dieser Demontage kräftig zu widersprechen. Die Redaktion.

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2011 veröffentlicht Werner Renz „Anmerkungen zur Entmythologisierung eines NSG-Verfahrens“.1 Gemeint ist der Auschwitz-Prozess. Die Abkürzung steht für nationalsozialistische Gewaltverbrechen. Renz leitet diesen Artikel wie folgt ein: „Zum 100. Geburtstag Fritz Bauers meldeten sich Verehrer und Kritiker zu Wort. Der Journalist und Jurist Heribert Prantl meinte in der ‚Süddeutschen Zeitung’ ehrerbietig, Bauer habe den Gerichtssaal ‚zum Klassenzimmer der Nation’ gemacht; der Jurist und Rechtsphilosoph Gerd Roelleke hielt in der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ dem hessischen Generalstaatsanwalt vor, ‚Volksaufklärung durch Strafrechtstheater’ betrieben zu haben. Inwiefern beide Autoren Bauers Intentionen angemessen darstellen, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.“

 

Wer sich in kritischer Absicht mit dem Auschwitz-Prozess befasse, schreibt Renz, der habe es auch mit Mythen tun, die den sachlichen und nüchternen Blick auf das Verfahren verstellten. Da sei zum einen der Mythos Fritz Bauer und zum anderen der Mythos der volkspädagogischen Aufklärung durch NS-Prozesse. Aus Unkenntnis sei oft von konzeptioneller Planung und Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses die Rede, wo es schlicht um die Durchführung eines Strafverfahrens nach Recht und Gesetz gehe.

 

Als politischer Beamter habe Bauer seine Behörde mit großer Konsequenz zu einem „vergangenheitspolitischen Instrument“ gemacht und gegen den Widerstand der Frankfurter Staatsanwaltschaft durchgesetzt, dass ihr der Bundesgerichtshof die Verfolgung von Auschwitz-Tätern übertrug. Für die Unwilligkeit der Anklagebehörde gab es nach Meinung von Renz gute Gründe. Der Verbrechenskomplex Auschwitz sei bei der zentralen Ermittlungsstelle in Ludwigsburg in guten staatsanwaltschaftlichen Händen gewesen. Die wiederholt zu lesende Feststellung, ohne Bauer hätte es den Auschwitz-Prozess nicht gegeben, sei „demnach ins sachgerechte Licht zu rücken“. Renz lobt im weiteren Verlauf den Untersuchungsrichter Dr. Heinz Düx, der sich mit großer Tatkraft die von Bauer angestrebte Ahndung der NS-Verbrechen zu Eigen gemacht und auf herausragende Weise der Beweissicherung und Beweisermittlung gedient habe. Ob das Verfahren am Ende zu einem Bewusstseinswandel der Deutschen geführt habe, lasse sich nur recht spekulativ beantworten.

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Welcher der beiden eingangs von ihm genannten Autoren die Intentionen Fritz Bauers zutreffend dargestellt hat, sagt Renz am Ende nicht. Auch was ihn zu den „Anmerkungen zur Entmythologisierung“ des Auschwitz-Prozesses bewogen hat, bleibt den Lesern verborgen. Seine Wortwahl lässt auch nicht erkennen, ob er eine Entmythologisierung des Prozesses für notwendig hält, oder ob er sich nur zu einem Faktum äußert. Jedenfalls meint er, wer sich in kritischer Absicht mit dem Auschwitz-Prozess befasse, habe es mit Mythen zu tun, die den nüchternen Blick verstellten. Nur - welchen Grund gibt es eigentlich, sich dem Auschwitz-Prozess in kritischer Absicht zu nähern? Wieso verstellt der Mythos Fritz Bauer den sachlichen und nüchternen Blick auf den Auschwitz-Prozess? Empfinden manche die öffentliche Ausstrahlung Fritz Bauers auch 46 Jahre nach seinem Tod immer noch als so störend, dass sie ihn als historische Gestalt vom Sockel stoßen möchten?

 

Was die Andeutung von Werner Renz betrifft, den Auschwitz-Prozess hätte es auch ohne Fritz Bauer gegeben, da dieser Verbrechenskomplex bei der Ludwigsburger Stelle in guten Händen gewesen sei, so bedarf sie einer Klarstellung. Die zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Ermittlung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg hat keine Prozesse geführt, sondern lediglich Verbrechenskomplexe zusammengestellt und ihre Ermittlungsergebnisse an die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften weiter geleitet. Im Fall Auschwitz wären die Akten vermutlich nach Stuttgart gegangen, weil einer der Hauptbeschuldigten, Wilhelm Boger, seinen Wohnsitz in der Nähe von Stuttgart hatte. Die Stuttgarter Behörden waren bekannter Maßen wenig geneigt, sich mit Auschwitz zu behängen, und auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft nahm sich der Sache erst an, nachdem der hessische Generalstaatsanwalt Bauer beim Bundesgerichtshof eine entsprechende Entscheidung herbeigeführt hatte. Das alles weiß natürlich auch Werner Renz. Fortsetzung folgt.

 

 Anmerkungen:

 

1 Werner Renz, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-1965 und die deutsche Öffentlichkeit. Anmerkungen zur Entmythologisierung eines NSG-Verfahrens, in NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit, herausgegeben von Jörg Osterloh und Clemens Vollnhals, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 349-36.