Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Vielleicht ist das alles ein großes Mißverständnis. Vielleicht war bei der Namensgebung für dieses wichtige „interdisziplinär ausgerichtete, unabhängige Forschungs-, Dokumentations- und Bildungseinrichtung zur Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Gegenwart“ vergessen worden, daß die Person Fritz Bauer ein politischer Mensch war, ein Sozialdemokrat, bei dem Denken, Fühlen und Handeln eine Einheit bildeten? Die Redaktion.
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In einem Aufsatz mit der Überschrift „Fritz Bauer zum Zweck der NS-Prozesse“ erinnert Renz 2012 an Fritz Bauers Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“, das dieser im schwedischen Exil verfasst hat. „Durchaus im Stile eines Praeceptor Germaniae“ habe Bauer dort mit Entschiedenheit dargelegt, dass das deutsche Volk „eine Lektion im geltenden Völkerrecht“ brauche. Mit der ihm eigenen Emphase habe der „patriotische Exilant“ gemeint, ein ehrliches deutsches „J’accuse“ würde das eigene Nest nicht beschmutzen, sondern ganz im Gegenteil das Bekenntnis zu einer neuen deutschen Welt sein.
Im Gegensatz zu seinen optimistischen öffentlichen Äußerungen als Generalstaatsanwalt habe Bauer die Situation insgeheim jedoch viel pessimistischer betrachtet und bei sich selbst eine intellektuelle, um der Sache willen gleichwohl erkennenden Auges praktizierte „Schizophrenie“ diagnostiziert. Zu Gunsten der NS-Täter werde man annehmen können, dass sie sporadisch ein schlechtes Gewissen und ein Unrechtsbewusstsein gehabt hätten. Nahezu alle seien der Meinung gewesen, dass sie für ihre staatlich angeordnete Beteiligung an rechtswidrigen Taten strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Nach der Schilderung von Renz empfanden sie es als „schreiende Ungerechtigkeit“, dass es dann anders kam. Bei aller Notwendigkeit, die Verbrechen zu ahnden, dürfte Bauer ihnen gegenüber nicht frei von Gewissenszweifeln gewesen sein.
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Mich erstaunt die Kühnheit, mit der Werner Renz den hessischen Generalstaatsanwalt in diesem Artikel als gespaltene Persönlichkeit charakterisiert und ihm Gewissenszweifel gegenüber Nazi-Verbrechern unterstellt, demselben Fritz Bauer, dem er an anderer Stelle vorhält, er habe NS-Täter unterschiedslos „Kriegsverbrecher“ genannt und ihnen „nicht ohne Rigorosität“, vor Gericht „nur die Rolle eines Mittels zum Zweck“ zugewiesen.1 Nicht weniger erstaunlich ist seine Aussage, zugunsten der NS-Täter werde man annehmen können, sie hätten sporadisch ein schlechtes Gewissen und ein Unrechtsbewusstsein gehabt. Im Auschwitz-Prozess war davon nichts zu bemerken. Keiner der Angeklagten hat sich von seinen Untaten distanziert oder ein Wort des Bedauerns für die Opfer gefunden. Alle hatten nur Mitleid mit sich selbst und empfanden es – wie Renz einfühlsam registriert – „als schreiende Ungerechtigkeit“, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der von Werner Renz lobend erwähnte Untersuchungsrichter Dr. Heinz Düx reagierte auf diesen Artikel mit Erstaunen und außerordentlichem Befremden. Er enthalte seines Erachtens nach Elemente, die als Beginn der Demontage und Desavouierung des Namensgebers des Fritz Bauer Instituts gesehen werden könnten. Fortstzung folgt.
Anmerkungen:
1 Werner Renz, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 2011, S.350