DSC 8991 KopieEin Tanzabend von Studierenden im Mousonturm

Hanswerner Kruse

Frankfurt (Weltexpresso) - Am letzten Wochenende präsentierten 35 Student*innen – in wechselnden Besetzungen – im Mousonturm sechs Tanzstücke, die von ihren Lehrenden choreografiert wurden. 


Ein Ensemble sitzt zu Beginn eines Stückes im Kreis. In der Mitte tanzen und posieren einzelne Gestalten, versuchen sich im „Kontakthof“ vorteilhaft darzustellen. Bei Wechseln tragen sie Battles aus oder tanzen stürmisch miteinander, bevor die bewusst narzisstischen Soli weitergehen.

Wenige Tage vor dieser Veranstaltung „Maybe Wildness“ erlebte ich in Berlin den „Kontakthof“ von Pina-Bausch, mit den alt gewordenen Tänzer*innen der Originalversion von 1978. Neun von ihnen agierten noch mit über 70 Jahren auf der Bühne – in denselben Rollen wie damals. Auch im Alter geht es weiter und weiter: Was tun Menschen noch immer, um geliebt zu werden, um anderen zu gefallen? Wie sehr müssen sie um Nähe und Distanz kämpfen?

Im Mousonturm geht es wirklich weiter, die jungen Tanzenden sind in den Zwanzigern, quasi Enkel von Pina Bausch. Sie beweisen, dass der Tanz lebt, es geht weiter und weiter – „ob sanft, unbekannt, anders oder wild“, wie es in der Ankündigung heißt. Darin wird auch verkündet, die „choreografischen Werke seien den Wanderungen, Abweichungen und dem Puls der nächsten Generation von Tanzkünstler*innen gewidmet“. Ein hoher Anspruch. Doch die Studierenden der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst konnten ihn durchaus einlösen.

Das Programm beginnt mit einer kleinen Etüde aus „The Second Detail“ von William Forsythe, also einem Klassiker aus der Erneuerung des Balletts in den frühen 1990er-Jahren. Zwei, drei Ballettfiguren werden zitiert, dann drehen, gleiten, flattern die Tanzenden mit immer bizarreren Bewegungen in sämtliche Richtungen auf der Bühne. Frieren flüchtig ein. Formieren sich neu. Tanzen weiter. So zeigen sie eine kleine Hommage an die Zeiten des Umbruchs.

Im Stück „Becoming“ kracht, knarzt, raucht es. Im Lichtkegel kämpft ein Paar ohne Berührung. Kontaktimprovisationen ohne Kontakt. Es wird heller, fünf Personen kommen dazu, lassen eine andere Gestalt in Zeitlupe über die Bühne tapsen. Wird ihr geholfen oder quält man sie? Dann finden alle zusammen, es entstehen Gruppenkämpfe ohne direkte Berührung. Diese kontaktlose „Material Art“ erzählt keine Geschichten, kämpferische Szenen werden bloß kurz angespielt. Bilder changieren zwischen gerade noch angehaltener Brutalität und clownesker Komik, allenfalls schlüpft mal jemand aus einer festgehaltenen Jacke. Immer wieder wechseln die Ensembleszenen mit athletischen, lediglich angedeuteten Balgereien von Paaren. 

DSC 9435 Enhanced NR KopieÄhnlich ist die Choreografie „Matsutake“, nach einem japanischen Wildpilz benannt - man könnte sie „Höllenstück“ nennen. Grelles rotes Licht am Rand. Scheinbar brennt es. Dazu Hundegebell, das in elektronische Klänge übergeht. Zeitlupenhaft schieben sich aneinandergeklammerte Menschen rückwärts aus der „Hölle“ über die Bühne (Foto).

Auf ihren Rücken tragen sie eine Person. Alle sinken zu Boden, immer wieder finden Paare mit akrobatisch-grotesken Aktionen zusammen. Rennen aufeinander zu und schleudern einander herum. Oder sie ruckeln, zucken und drängeln als Ensemble zusammen ...und zerfallen gleich darauf wieder in frei tanzende Individuen.  Am Ende häufeln sie sich erneut aneinander und tragen eine von ihnen auf dem Rücken. Dazu wird aus „Sweet Dreams“ gesungen: „Everybody’s Looking for Something.“ 

DSC 9868 Enhanced NR 2 KopieDiese beiden Arbeiten sind die eindringlichsten des Abends. Sie offenbaren intensiv die Auseinandersetzung mit Einsamkeit und dem Verhältnis Einzelner zur Gruppe. Zu spüren ist, dass persönliche Gefühle und Erfahrungen der Tanzenden ihren Figuren und Konstellationen zugrunde liegen. Ihre Hochschule versteht Tanz nicht nur als Technik, sondern auch als eine reflexive künstlerische Praxis: Studierende sollen ihre tänzerischen Erfahrungen nicht nur körperlich erleben, sondern zugleich theoretisch hinterfragen und in größere künstlerische Zusammenhänge einordnen.

Zwei Werke folgen, in denen die Choreografien durch Requisiten mitgestaltet werden. Fast hört man die Aufforderungen: „Macht was mit den Tischen, mit den Hockern...“ In „Almost Angels“ steht ein langer Tisch am Bühnenende, das Ensemble liegt rückwärts drauf. Links Gesänge, am anderen Ende Gitarrenklänge. Mit milder Akrobatik tanzt die Compagnie im Wechsel mit individuellen oder chorischen Bewegungen um die Tafel. Die wird später in einzelne Tische zerlegt, die umgedreht als „Kästen“ den Tanzenden zu Minibühnen werden. In „What remains“ geschieht mit kleinen Hockern Ähnliches: Die Hälfte der Gruppe hüpft darüber, stemmt sich hoch, liegt darunter, rennt drumherum. Die anderen antworten mit individuellen oder kollektiven Reaktionen. 

Das letzte Stück beginnt mit den eingangs beschriebenen Aktionen im Kreis. Neue Gestalten machen mit wilden Tänzen zu Popmusik auf sich aufmerksam, verschwinden dann wieder in der Compagnie. Zum Ende hin entwickelt sich daraus tatsächlich ein gemeinsames Musical: „Dancing When You’re On My Mind“ (Titel).

Getanzt wird durchgehend in gewöhnlichen Klamotten, gleichsam aus dem Alltag heraus, begleitet von Neuer Musik, schrägen Geräuschen, Schlagern oder Popmusik. Insgesamt entwickeln die jungen Leute eine enorme Spannweite an technischem Können und authentischem Ausdruck, zeigen bisweilen grotesken Humor und präsentieren meist originelle, überraschende Tanzbilder.

Fotos:
© Charlotte Bösling