Das Mekka des Denksports liegt im Nordschwarzwald
Sabine Zoller
Bad Herrenalb (Weltexpresso) - Das Kurhaus von Bad Herrenalb wurde in diesen Tagen erneut zum Mekka für Freunde des Denksports: Zum dritten Mal in Folge fanden die Baden-Württembergischen Seniorenmeisterschaften im Schach statt, die in diesem Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum feierten. Mit 144 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war das Turnier so groß wie nie zuvor. Unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Klaus Hoffmann zeigte sich der 1996 gegründete Club der Schachfreunde Bad Herrenalb als perfekter Gastgeber – allen voran ihr Präsident Hans-Michael Rappold, der als Dank für sein großes Engagement die Ehrennadel in Silber von Holger Moritz, dem Seniorenreferenten des Badischen Schachverbands, erhielt.
Ein so hochkarätiges Turnier in der Kurstadt Bad Herrenalb zu veranstalten, ist dem unermüdlichen Einsatz der Schachfreunde vor Ort zu verdanken. Nachdem der dreijährige Vertrag erfüllt ist, wurden die Unterschriften für das kommende Jahr geleistet – „Wir fühlen uns hier sehr wohl“, so Moritz, der als Termin den Zeitraum vom 26.6. bis 4.7.2026 verkündet. Michael Rappold nickt zustimmend: „Wenn die Gäste zufrieden sind, sind wir es auch.“
Denksport mit Tiefgang
Bei hochsommerlichen Temperaturen blieb am Spielort der Meisterschaft die Konzentration im klimatisierten Kurhaus ungetrübt. Pro Tag gab es eine Partie zu spielen, wobei sich jede davon über vier Stunden hinziehen kann. „Das ist eine Herausforderung, die man nicht unterschätzen darf“, betont Rappold. Teilnehmen darf, wer das 60. Lebensjahr erreicht hat, doch von Ruhestand ist hier keine Spur. Das Turnier lebt von der aktiven und vielfältigen Beteiligung der Teilnehmer. Auffallend positiv: Der Frauenanteil war in diesem Jahr so hoch wie nie zuvor. Sechs Damen waren diesmal mit am Brett und reisten teils von weit her an – aus Dresden, Oldenburg, Bad Neuenahr oder Kronberg im Taunus. Mit dabei auch die Gründerin des Bad Herrenalber Schachclubs, die es sich nicht nehmen ließ, persönlich mitzuspielen.
Schach kennt kein Alter: Dr. Doris Lübbers mit 91 Jahren am Start
Die älteste Teilnehmerin kommt aus Kronberg und zog besondere Aufmerksamkeit auf sich. Doris Lübbers, promovierte Zahnärztin, ist nicht nur 91 Jahre alt, sondern begeistert auch durch ihre Lebensfreude. Die gebürtige Hamburgerin ist viel unterwegs:„Ich war dieses Jahr schon in Weimar und Undeloh in der Lüneburger Heide – da wird im Hotel gespielt, in dem man wohnt. Das finde ich ideal“, erzählt sie im Gespräch. Für das nächste Turnier in Bad Herrenalb wünscht sie sich organisierte Wanderungen für ältere Gäste, lobt aber die gute Luft und den Spielsaal: „Sehr angenehm – und man trifft immer wieder liebe Menschen.“
Zum Schach kam sie erst mit Mitte 60 – und das eher zufällig. Ihr Mann, an Parkinson erkrankt, spielte leidenschaftlich gerne Schach, konnte aber irgendwann nicht mehr schreiben. „Da habe ich die Notation übernommen – und mir dabei selbst beigebracht, wie die Figuren ziehen.“ Sie lacht: „Ich habe einfach gehofft, dass mal jemand mit mir spielt – aber das war selten. Also bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe Turniere gespielt. Selbst wenn ich mit null Punkten heimgefahren wäre – aber das ist mir nie passiert!“ Lübbers trainiert nicht gezielt, hat keinen Internetzugang und nur wenige Spielpartner. „Aber ich lese in der Rochade und spiele vielleicht mal eine Partie nach“, sagt sie. Ansonsten sei schlicht keine Zeit. „Ich bin Hobbygärtnerin und politisch sehr interessiert.“ Und dass sie sich gerade ein neues Auto gekauft hat, mit dem sie selbstständig nach Bad Herrenalb gereist ist, versteht sich für sie von selbst.
Gottschall kommt aus Dresden und belegt bei den Damen den ersten Platz: „Dieses Jahr lief es außerordentlich gut für mich. Ich bin jetzt schon zum dritten Mal in Bad Herrenalb, und ich komme gerne wieder. Vormittags wird gespielt, nachmittags gehe ich wandern – das ist einfach ideal. Und einen Tag nehme ich mir meist frei, um rüber ins Elsass zu fahren. So nah komme ich nämlich selten an die französische Grenze.“ Teresa Wraga aus Osnabrück hatte tolle Gegner und Ursula Schumacher schwärmt nicht nur von den Partien, sondern auch von der Atmosphäre und der Umgebung, die sie als „kaum zu toppen“ beschreibt. Nur einen Katzensprung vom Kurhaus entfernt wohnt Bettina Rostek – die Gründerin des Bad Herrenalber Schachclubs, der es eine besondere Freude war im Heimatort so vielen Schachfreunden zu begegnen.
Kopf-an-Kopf-Rennen der Sieger
Am letzten Spieltag verkündet Moritz die Ergebnisse:„Es sind Nuancen, die bei den fünf Erstplatzierten den Ausschlag gegeben haben.“ Nach neun intensiven Runden standen bei den Seniorenmeisterschaften gleich fünf Spieler mit jeweils sieben Punkten an der Spitze – ein beachtliches Ergebnis, das nur durch außergewöhnliche Spielstärke und Ausdauer zu erreichen ist. „Sieben Punkte bei neun Partien – das ist eine tolle Leistung“, so Moritz. „Dafür muss man entweder siebenmal gewinnen oder zum Beispiel sechs Siege und zwei Remis holen. Das ist bei diesem Teilnehmerfeld alles andere als einfach.“
Da nur ein Name ganz oben auf der Siegerliste stehen kann, braucht es bei Punktgleichstand ein faires Unterscheidungskriterium – die sogenannte Buchholz-Wertung. Sie misst die Spielstärke der Gegner, gegen die man im Turnier angetreten ist. Je stärker diese waren – also je mehr Punkte sie selbst im Turnier erzielt haben –, desto besser die eigene Buchholz-Zahl.
„Man geht davon aus, dass derjenige besser gespielt hat, der gegen stärkere Gegner angetreten ist“, erklärt Thomas Müller, Seniorenreferent des Württembergischen Schachverbands. „Also addiert man die Punkte der Gegner, gegen die ein Spieler im Verlauf des Turniers gespielt hat. Wer am Ende die höchste Summe erreicht, steht in der Tabelle vorn.“ Und wenn das nicht reicht, entscheidet die verfeinerte Buchholz-Wertung, wobei nicht nur die Punkte der eigenen Gegner zählen, sondern deren Buchholz-Werte ebenso. Damit entscheiden Nuancen wer auf das Siegertreppchen kommt.
Vom Nestor bis zum Neuling
Besonders reizvoll an den Baden-Württembergischen Seniorenmeisterschaften ist die große Bandbreite an Teilnehmenden – was sowohl das Alter als auch die Spielstärke betrifft. In der Alterskategorie der über 75-Jährigen wird im Schach von den „Nestoren“ gesprochen. Diese Spieler haben zum Teil jahrzehntelange Turniererfahrung und bringen nicht nur Routine, sondern auch große Leidenschaft ans Brett.
Gespielt wird in einer gemeinsamen Turniergruppe, doch es gibt verschiedene Sonderwertungen, um den Wettbewerb fair und motivierend zu gestalten. Die ELO-Zahl, ein international anerkanntes Wertungssystem, misst die individuelle Spielstärke eines Spielers anhand seiner Turniererfolge. Wer häufiger erfolgreich spielt, steigert seine ELO – und damit auch seine Startposition in zukünftigen Wettbewerben.
Um auch weniger erfahrenen oder niedriger gewerteten Spielern einen Anreiz zu bieten, werden Preise in unterschiedlichen Wertungsgruppen vergeben – so auch in Bad Herrenalb. Damit haben alle Teilnehmer eine realistische Chance auf eine Platzierung, und das unabhängig davon, ob sie ganz vorne in der Gesamttabelle landen.„Das macht den Reiz eines solchen Turniers aus“, erklärt Rappold, der Schach als „einen sportlichen Wettbewerb mit Tiefgang, Fairness und echter Wertschätzung für jede Leistung“ bezeichnet. Baden-Württembergischer Meister und Sieger des Turniers wurde Jean-Luc Roos vom SG Rochade Kup mit 7 Punkten und einer Gesamtsumme von 401,5 Punkten.
Alle Fotos vom Turnier © Sabine Zoller