Impressionen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, Teil 1
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - In diesen Tagen wird viel über Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit gesprochen. Anlässlich des 25. Jahrestages zum Fall der Mauer gedenken die Redner der Opfer, die bei ihrem Fluchtversuch aus der DDR erschossen wurden und gemahnen an die Leidenden von heute in aller Welt, die in Diktaturen leben oder in Regionen, wo Mauern nicht abgerissen, sondern errichtet werden.
So weit so gut.
Nur beziehen die vielen engagierten Redner und Rednerinnen ihren Aufruf zu einer weltweiten Freiheit und Demokratie ausschließlich auf die Spezies Mensch. Das ist nicht nur ethisch inakzeptabel für eine moderne Gesellschaft, sondern regelrecht beschämend angesichts dessen, dass uns zur gleichen Zeit die Nachricht vom Mord an 30.000 Puten erreicht.
Gewiss, diese armen Kreaturen waren schwer an Geflügelpest erkrankt. Aber man stelle sich vor, ein Verantwortlicher käme auf den Gedanken, alle Ebola-Erkrankten einschläfern oder töten zu wollen: Derjenige würde sofort aufs Schärfste verurteilt, es gäbe einen riesigen Protest. Wir unternehmen große Anstrengungen, um Ebolakranke zu heilen. Und das soll natürlich auch so sein!
Die Tiere aber haben keine Lobby. Täglich werden Millionen von ihnen – in Deutschland! – ausgebeutet, gefoltert und ermordet. Mit der größten Selbstverständlichkeit, als handele es sich um Gegenstände. Darunter sind im Übrigen auch Menschenaffen, also Lebewesen, von denen wir unmittelbar abstammen. Wir quälen täglich Tausende von ihnen in Laboratorien zu Tode.
Dabei wäre es ganz einfach, dem Elend Abhilfe zu leisten. Tierversuche könnte man gesetzlich verbieten, die Massentierhaltung ebenso. Als „vernunftbegabten“ Wesen sollte uns das eigentlich nicht schwerfallen.
Die meisten aber nehmen es gewissenlos hin, dass die Tiere für sie leiden, nur weil sie nicht bereit sind, auf Dinge zu verzichten, obwohl sie entbehrlich sind und ihnen mitunter gar schaden. Längst haben seriöse Mediziner und Ernährungswissenschaftler nachweisen können, dass „tierische Produkte“ ebenso die Gesundheit gefährden wie das Rauchen. Das Fleischessen erhöht das Risiko auf schwere Herzkrankheiten, Krebs und Diabetes.
Eigentlich müsste auf jedem verpackten Schnitzel, jeder verpackten Bulette, Currywurst oder Weihnachtsgans das Etikett stehen: „Fleischessen gefährdet ihre Gesundheit!“, aber da steht die potente Fleischlobby vor, der es immer wieder gelingt, die Lüge zu verbreiten, dass angeblich vegetarische Kost krank mache.
Nicht einer, der am 9. November 2014 beim Bürgerfest am Brandenburger Tor in Berlin seine Stimme für Freiheit, Demokratie und Verantwortung erhob, hat auch nur ein entsprechendes Wort für die geschundenen Kreaturen dieser Welt gefunden! Oder sagen wir besser: Es wurde keiner Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die entsprechende Worte hätte finden können, ein Forum geboten. Dies hätte zum Beispiel die Autorin und Journalistin Hilal Sezgin sein können, die mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ eine wegweisende Tier-Ethik vorgelegt hat.
Leider haben sich offenbar auch die Grünen von dem beschämenden Negativ-Echo auf den Vorschlag eines Veggie-Days derart einschüchtern lassen, dass sie völlig verstummen.
Oft höre ich das Argument: Es sei doch „normal“, Fleisch zu essen. Nun, normal gewiss in dem Sinne, dass dies Mehrheiten tun. Aber Mehrheiten waren es auch, die 1933 ermöglichten, dass Hitler an die Macht kam, und Mehrheiten waren es, die zuließen, dass Millionen von Menschen in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Und Mehrheiten waren es, die in Wirtschaftswunderzeiten von alledem nichts wissen wollten und noch nicht einmal Reue zeigten. Haben wir denn wirklich nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt? Werden aus einstigen Faschisten nun ebenso grausame, inhumane, selbstherrliche Spezifisten, die sich einbilden, der Mensch habe das Recht, sich das Tier untertan zu machen, es zu quälen und auszubeuten?
Jetzt, wo wir dem Fall der Mauer gedenken und zeitgleich des großen Demokraten Fritz Bauer (anlässlich zahlreicher Kinofilme, derzeit „Im Labyrinth des Schweigens“), der mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen 1963 die Deutschen dahin brachte, sich endlich ihrer Verbrechen der NS-Zeit zu stellen, wäre doch der beste Zeitpunkt, Konsequenzen zu ziehen. Wann sonst, wenn nicht jetzt?
Wer Freiheit und Demokratie fordert, muss unweigerlich auch ein Ende von Tierversuchen, Pelztierfarmen, Treibnetzfischerei und Massentierhaltung fordern und ein Gesetz, dass unsere Mitgeschöpfe schützt. Anders gesagt: Es ist verlogen und scheinheilig, von Freiheit zu reden und gleichzeitig eine Weihnachtsgans in den Ofen zu schieben.