Impressionen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, Teil 2
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) -Trotz privilegiertem Platz auf der Pressetribüne hat mich hat das „rauschende Bürgerfest“ vor dem Brandenburger Tor enttäuscht. Warum? Weil die Massen, die sich dort versammelten, offenbar schon damit überfordert waren, sich 25 Minuten lang von einem Werk der klassischen Musik ergreifen zu lassen.
Dabei war der Klassikanteil an diesem Abend ohnehin knapp bemessen und auf den Schlusschor aus Beethovens Neunter begrenzt. Die meisten Berliner wollten die Ballons, die zuvor eine schöne Lichtergrenze um Berlin bildeten, in die Luft entschweben zu sehen. Dieses Ereignis als solches ist auch eine schöne Idee, nur hätte sie anders umgesetzt- und die Musik nicht als Untermalung missbraucht werden sollen.
So blieb die Aufmerksamkeit für die Musik auf der Strecke. Alles spähte eifrig durch die Sucher seiner Smartphones, iphones und Videokameras, um am Himmel und auf Großleinwänden die sich auflösende Lichterkette aufzunehmen. Daniel Barenboim, die Berliner Staatskapelle, der Staatsopernchor und das hochkarätige Solistenensemble mit Renée Flemming, Elina Garanca, Klaus Florian Vogt und René Pape, die allesamt den Schlusschor mit großer emotionaler Leidenschaft ergreifend interpretierten, konnte man zudem in den leisen Stellen nur schwer hören, weil Fanmeilenbesucher unentwegt schwatzten.
Dieser Eindruck erinnerte mich an einen fürchterlichen Kinobesuch in fernen Schulzeiten. Unser engagierter Musiklehrer hatte in einem Kino einen Klassenbesuch für eine Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ in der Inszenierung von Ingmar Bergmann angemeldet. Die meisten Schüler alberten herum und setzten dem Kinobesuch nach gut 45 Minuten mit zwei Stinkbomben ein Ende.
Die Bildungsmisere, sie nahm schon damals ihren Anfang und zeigte sich etwa auch darin, dass im Musikunterricht keine deutschen, sondern nur noch englische Lieder gesungen wurden.
Das ist 35 Jahre her! Heute haben Musiklehrer wohl keinen einfacheren Stand - im Gegenteil. Schon seit Jahren äußert sich der Deutsche Musikrat besorgt um die musische Bildung, die „Klassik-Krise“ ist nicht neu.
Aber was hilft es, wenn Symphonieorchester und Opernhäuser große Kraft darauf verwenden, sich mit Education-Projekten ein junges Publikum zu erziehen, wenn die meisten offenbar doch nicht erreicht werden?
Zumindest wurde man auf der Berliner Fanmeile auf den Boden der Realität zurückgeholt. Udo Lindenberg und Paul Kalkbrenner finden offenbar größeren Zuspruch als Beethoven und Schiller, der Dichter der wunderbaren „Ode an die Freude“. Besonders peinlich wurde es, als einige Publikumsströme viel zu früh vor dem Mittelteil applaudierten.
Wenige Minuten zuvor war ein Chor aufgetreten, der zu dem wunderbaren deutschen Volkslied „Die Gedanken sind frei“ anhob. Doch leider blieb es nicht bei der schlichten Melodie des Liedes, das die Sänger hernach in Popversion verhunzten.
Er sorge sich um die Zukunft der klassischen Musik, hat kürzlich auch der Dirigent Kent Nagano geäußert. Wer diesen Abend vor dem Brandenburger Tor miterlebte, neigt dazu, seinen Pessimismus zu teilen.