“Schutz in Europa” und die Presse – PEN-Zentrum Deutschland kritisiert Berichterstattung zu Günter Grass
Klaus Hagert
Darmstadt (Weltexpresso) – Das in Darmstadt beheimatete PEN Zentrum teilt zum Jahrestag Geschichtliches und Aktuelles mit, das wir gerne weitergeben: Am 15. Dezember 1924 wurde die erste deutsche P.E.N.-Gruppe gegründet, als Teil des Internationalen PEN, der sich weltweit mit über 140 Schriftstellervereinigungen als Anwalt des freien Wortes und als Stimme verfolgter und unterdrückter Schriftsteller einen Namen gemacht hat.
Aus Anlass des 90. Jahrestages lud das PEN-Zentrum Deutschland zu einer Benefizgala nach Hamburg, bei der PEN-Mitglieder Texte inhaftierter oder exilierter Autoren lasen. Während eines Gesprächs mit den beiden Ehrenpräsidenten Günter Grass und Christoph Hein über die Situation von Flüchtlingen wurde auch der als europäische Autoreninitiative konzipierte Aufruf „Schutz in Europa“ vorgestellt.
Die anschließende „Berichterstattung“ über unsere Veranstaltung in einem Großteil der hiesigen Presse hat uns dann doch in Erstaunen versetzt. Insbesondere wurden die Äußerungen von Literaturnobelpreisträger Günter Grass grob verzerrt dargestellt und unsachlich zugespitzt. Das ruhige und differenzierte Gespräch wurde für reißerische Zwecke instrumentalisiert – leider auch in solchen Medien und von solchen Kommentatoren, die weithin als seriös gelten.
Pressefreiheit ist ein hohes und kostbares Gut. Sie geht aber, das brauchen man der Presse nicht zu erklären, mit einem hohen Maß an Verantwortung einher. Wer in den vergangenen zwei Wochen in den Chor hämischer Polemik eingestimmt hat, ohne sich die Mühe zu machen, die Äußerungen von Günter Grass im Wortlaut nachzulesen oder noch einmal nachzufragen, hat weder dem journalistischen Ethos noch unserer um eine humane Flüchtlingspolitik ringenden Gesellschaft einen Dienst erwiesen.
Der behauptete Ruf nach Zwangseinquartierungen mag allerdings diejenigen bestärkt haben, die sich derzeit landauf und landab zusammenfinden, um Abwehrmaßnahmen gegen Menschen zu ergreifen, die hier Zuflucht suchen. Jedes Mitglied im PEN verpflichtet sich im Sinne der internationalen Charta, „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken.“ Große Worte, aber eine Selbstverständlichkeit eigentlich für jeden, der schreibt.
Die in Hamburg initiierte Resolution zur europäischen Flüchtlingspolitik findet derzeit Unterstützung von Autorinnen und Autoren aus ganz Europa. Das Ergebnis wird der PEN im Januar 2015 der Öffentlichkeit präsentieren und den Verantwortungsträgern in der Europäischen Union vorlegen. Der Aufruf schließt mit den Worten: «Wir Schriftsteller Europas erwarten von den Mitgliedsstaaten und den Institutionen der Europäischen Union, dass sie ihren humanitären Verpflichtungen nachkommen und es als vordringliche gemeinsame Aufgabe verstehen, Menschen zu schützen und ihnen Zukunftsperspektiven zu ermöglichen.»
Dies erwarten wir nicht nur von politischen Institutionen, sondern von der Zivilgesellschaft, also von uns allen. Unterschrieben haben diesen öffentlichen Aufruf die Generalsekretärin Regula Venske und Präsident Josef Haslinger. Wir schließen uns diesem Appell als Redaktion ausdrücklich an und finden es peinlich, daß es für manche Journalisten, ja ganze Medien sozusagen ein Sport geworden ist, auf Günter Grass einzudreschen, wobei man sein Engagement für das gemeinsame Leben von Israelis und Palästinensern oft zum Anlaß nimmt, aber eigentlich den Weltautor mit seinem Weltruhm meint. Es ist leider so, daß Deutschland mit seinen Weltautoren noch nie gut umgegangen ist. Zu neidisch sind diejenigen, die im Mittelmaß umherdümpeln.
Hintergrundinfo:
Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine der weltweit über 140 Schriftstellervereinigungen, die im PEN International vereint sind. Die drei Buchstaben stehen für die Wörter Poets, Essayists, Novelists. Der PEN wurde 1921 in England als literarischer Freundeskreis gegründet. Schnell hat er sich über die Länder der Erde ausgebreitet und sich als Anwalt des freien Wortes etabliert – er gilt als Stimme verfolgter und unterdrückter Schriftsteller.