Kreatives Schreiben in den Wissenschaften, Teil 2/2
Harald Lutz
Frankfurt am Main / Berlin (Weltexpresso) – Lutz von Werder, geboren 1939 in Berlin, gehört zu denen, die mit und nach der Studentenbewegung die Bedingungen unter denen Kinder großwerden und 'erzogen' werden, sehr kritisch verfolgten und verschiedene Versuche antiautoriäter Erziehung mitinitiierten.
Heute muß man einfach daran erinnern, daß eine der Wurzeln des deutschen Faschismus in Form des Nationalsozialismus im Autoritären Charakter (Adorno) liegen, Gegenmodelle also wichtig wurden. Heute ist Lutz von Werder emeritierter Professor der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, ist Soziologe, Philosoph, Moderator und einer der Gründer der Schreibwerkstättenbewegung. Mit ihm führte unser Autor Harald Lutz folgendes Gespräch:
Weltexpresso: In den Vereinigten Staaten haben sich derartige Schreibtechniken weit verbreitet. Worin sind die USA uns noch voraus?
Lutz von Werder: Dort wurde der Zusammenhang von Lernen im Alltag und in der Wissenschaft wesentlich früher als bei uns erkannt. Über Kreatives Schreiben wurde in den Staaten die Verbindung beider Bereiche wieder hergestellt. Nimmt man als Erfolgsmaß die Zahl der Forschungs- und Praxisprojekte und der jährlich erscheinenden Publikationen, steht das Kreative Schreiben gut da.
Welche Zielgruppe sprechen Sie mit Ihren Büchern und Schreibübungen an?
Schüler ab der Sekundarstufe II des Gymnasiums, Studierende im Grund- und im Hauptstudium der Hochschulen und Universitäten sowie in der Erwachsenenbildung.
Worin zeichnet sich die Methode Kreatives Schreiben vor allem aus?
Sie nutzt Ergebnisse der Gedächtnisforschung, Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Unbewussten. Ziel ist es, bisher ungenutzte Kreativitätspotenziale von Studierenden und Wissenschaftlern für die Arbeit an Texten zu mobilisieren. Wenn man bedenkt, dass Studierende etwa 30 bis 40 Prozent ihrer Studienzeit, wissenschaftliche Mitarbeiter 50 Prozent und Professoren 60 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Schreiben beschäftigt sind, ermöglicht die Methode, ein erhebliches Arbeitsvolumen schöpferisch zu bewältigen.
Damit erhält aber die subjektive Erfahrung der Lernenden und Forschenden Einzug in die sachlich-rationale Wissenschaftssprache. Schlachten Sie damit nicht heilige Kühe?
Im Gegenteil! Mit der Methode Kreatives Schreiben in den Wissenschaften wird die Brücke zwischen subjektivem Alltagsbewusstsein und wissenschaftlicher Erkenntnis geschlagen. Es ist der Versuch, die hochschuldidaktische Weisheit zu überwinden, dass Wissenschaft nur über das Lesen wissenschaftlicher Texte gelernt werden kann, und zu zeigen, dass jede wissenschaftliche Erkenntnis ihren Ausgangspunkt in der alltäglichen Lebenswelt nimmt. Daraus folgt, dass auch wissenschaftliches Lernen den Rückbezug zur Alltagserfahrung keineswegs entbehren kann.
INFO:
Während im 19. Jahrhundert die Wissenschaftssprache noch Deutsch war, was allein die Philosophie bis ins 20. Jahrhundert hinüberrettete, ist heute die lingua franca der globalisierten Welt das Englische. Wie gut sich die Wissenschaftler um die Jahrhundertwende 1900 ausdrückten, kann man noch heute mit tiefem Respekt den Schriften von Sigmund Freud entnehmen. Daß die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt nicht nur den literarischen Georg Bücher Preis verleiht, sondern auch einen Preis für die beste wissenschaftliche Prosa auslobt, ist nicht so bekannt. Dieser Preis heißt Sigmund-Freud-Preis und es ist jedes Jahr ein Vergnügen, wenn man die Preisträger liest und auch ihre Dankesrede hört. Ja, es gibt sie noch, diese Wissenschaftler, die sich auf Deutsch verständlich und sprachmächtig ausdrücken. Damit das so bleibt, sind Kurse in Kreativem Schreiben für Wissenschaftler nützlich.
Nützliche Links:
www.lutz-von-werder.de
www.schreibinstitut-berlin.de
Foto: (c)Lutz von Werder
Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.