Dem Rassismus der Pegida-Bewegung zum Trotz: Islamkritik ist heute wichtiger denn je, Teil 2
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Wir waren bei der Auffälligkeit, daß der Islamische Staat außerordentlichen Wert darauf legt, jeden seiner Schritte religiös aus dem Koran heraus zu legitimieren und sind auf die Beispiele der 'erlaubten' Vergewaltigung und Todesstrafe in den jeweiligen Suren mit Quellenangabe eingegangen.
Unabhängig von dieser Alibi-Funktion einzelner Koranverse weist der Koran aber auch in seiner Gänze Merkmale auf, die ihn für die Legitimation von Terror geeignet machen. Da ist erstens sein Ursprünglichkeitsanspruch: Obwohl es den Islam erst seit dem siebten Jahrhundert gibt, behauptet der Koran, dass Noah, der dem Alten Testament zufolge im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung lebte, ein Muslim gewesen sei. Auch Urvater Abraham soll dem Koran zufolge kein Jude oder Christ, sondern Muslim gewesen sein und die Nutzung der Kaaba in Mekka für den Islam in Gang gesetzt haben. Der Koran basiert somit auf einem Geschichtskonstrukt, das den Islam über das Juden- und Christentum erhebt.[6]
Zweitens fordert der Koran zur Tötung der Ungläubigen auf. „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft“, so heißt es in einem seiner Verse, „dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.“[7]
Drittens will der Koran nicht nur wie jede andere „heilige Schrift“ als wahr gelten. Sondern er beansprucht, dass jedes seiner Worte unmittelbar von Gott stammt und im Laufe von rund 20 Jahren dem Propheten Mohammed durch den Engel Gabriel eingeflüstert wurde. Deshalb gilt der Koran bei Gläubigen als absolute Wahrheit und Maßstab jedweden Tuns. Da aber auch der Aufruf „Herunter mit dem Haupt“ oder die Zusicherung „Sklavinnen sind euch nicht verwehrt“ als unmittelbar von Gott gesandte Weisungen betrachtet werden, fällt es nicht schwer, die von Boko Haram oder ISIS begangenen Gräueltaten religiös zu legitimieren.
Viertens begünstigt der Koran nicht nur die Versuchung, sich als Muslim über die „Ungläubigen“ zu erheben. Sondern er gibt den Religionskriegern auch eine Kriegswaffe an die Hand: Die Verachtung für das Leben und die Liebe zum Tod. „Wahrlich, das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits“, erklärt das heilige Buch den Muslimen in zahllosen Varianten.[8] In über einem Dutzend Suren wird zudem von „Jungfrauen mit schwellenden Brüsten“, „keuschblickenden Mädchen“ und „großäugigen Huris“ geschwärmt, die im Paradies auf die Märtyrer warten und „das Jenseits, die Stätte des Bleibens“ schmackhaft machen.
Der Koran trägt somit dazu bei, die Freude am Leben durch die Freude am Sterben zu ersetzen und die Bereitschaft zum suicid bombing zu stärken. Es ist aber gerade die Pervertierung der Kriegsführung durch Selbstmordattentate, die die radikalen Islamisten in Syrien, Nigeria oder Afghanistan zu Siegern über moderate, dem Leben zugewandte Muslime macht.
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass ISIS den Islam nicht missbraucht, sondern auf bestimmte Art und Weise interpretiert. Man macht sich etwas vor, wenn man vom „sogenannten Islamischen Staat“ spricht oder wenn man so tut, als würden Muslime, die bestimmte Passagen des Korans wörtlich nehmen, ihn verleugnen. Es gibt keine Instanz, die darüber entscheidet, ob die Anordnung „Herunter mit dem Haupt“ wörtlich oder historisch oder metaphorisch zu verstehen ist.
Daraus aber folgt, dass es nicht reicht, die von ISIS gewählte Interpretation des Koran zu kritisieren. Um dem neue Totalitarismus zu bekämpfen, muss der Koran in seiner Gänze neu gedeutet und die von den Terroristen gewählte Lesart ausgeschlossen und in den Moscheen geächtet werden. So warnt der türkische Islamwissenschaftler Ednan Aslan davor, sich mit der Möglichkeit verschiedener koranischer Auslegungen zufrieden zu geben: „Wenn meine liberale Auslegung richtig ist, dann kann auch die von Abu Bakr al-Bagdadi, dem Kalifen des IS, richtig sein. Wir muslimischen Theologen müssen endlich den Mut haben, zu sagen dass bestimmte Interpretationen des Islam falsch sind. Inakzeptabel. Das tun wir aber nicht.“[9] Fortsetzung folgt.
Anmerkungen:
[6] Siehe Koran 3/67 und 2/125 sowie 43 /4. Ich orientiere mich hier und im Folgenden an der mit Anmerkungen von Annemarie Schimmel versehenen Koranübersetzung von Max Hennings, Stuttgart (Reclam) 1991. Diese Geschichtsbetrachtung basiert auf einem Mythos, demzufolge Allah schon seit Urzeiten im Besitz der „Mutter der Schrift“ (43/4), also des seit Ewigkeiten existierenden Originals des Koran, gewesen sei. Nach der fehlerhaften Anwendung des Koran durch die Juden und später durch die Christen sei er auf wahrhaftige Weise erst durch Mohammed, dem letzten der Propheten, verkündet worden.
[7] In Sure 47, Vers 4. Andere, nicht minder brutale Beispiele liefern die Koranverse 4/89, 8/12 und 9/5. Demgegenüber wird von Verteidigern des Koran gern Vers 5/32 zitiert, in dem es heißt: „Wer eine Seele ermordet, … soll sein wie einer, der die ganze Menschheit ermordet.“ Die so argumentieren, lassen den Vorspann dieses Verses gerne weg. Vollständig heißt es: „Wir haben den Kindern Israel verordnet, wer eine Seele ermordet… soll sein wie einer, der die ganze Menschheit ermordet.“ Das ethische Prinzip wurde also nur den Juden verordnet, den Muslimen aber nicht. Schon der übernächste Vers 5/34 macht klar, was der Koran den Muslimen befiehlt: „Der Lohn derer, welche Allah und Seinen Gesandten befehden und Verderben auf der Erde betreiben, ist nur der, dass sie getötet oder gekreuzigt oder an Händen und Füßen wechselseitig verstümmelt oder aus dem Lande vertrieben werden.“
[8] Koran 4/94. Siehe auch die Verse 29/64 und 17/19.
[9] „Diese Gewalt wird gepredigt“. Ein Gespräch mit dem türkischen Islamwissenschaftler Ednan Aslan, in: „Zeit“, 17. Dezember 2014, S. 58.