Dem Rassismus der Pegida-Bewegung zum Trotz: Islamkritik ist heute wichtiger denn je, Teil 3
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Teil 2 schließt: So warnt der türkische Islamwissenschaftler Ednan Aslan davor, sich mit der Möglichkeit verschiedener koranischer Auslegungen zufrieden zu geben: „Wenn meine liberale Auslegung richtig ist, dann kann auch die von Abu Bakr al-Bagdadi, dem Kalifen des IS, richtig sein. Wir muslimischen Theologen müssen endlich den Mut haben, zu sagen dass bestimmte Interpretationen des Islam falsch sind. Inakzeptabel. Das tun wir aber nicht.“[9]
Das tun sie in der Tat nicht. Das vermeidet selbst die Al-Azahr-Universität in Kairo, eine der anerkanntesten Lehrstätten in der Welt. Sie veranstaltete Anfang Dezember eine International Counterterrorism Conference, die die ISIS-Ideologie zwar kritisierte. Vor einer Verurteilung des Islamischen Staats als „unislamisch“ schreckte sie jedoch zurück. „Als offizielle Einrichtung hat Al Azhar noch nie in ihrer gesamten Geschichte irgendjemanden oder irgend eine Organisation für unislamisch erklärt“ – mit diesen Worten suchte der Pressesprecher von Al-Azahr das Versäumnis zu entschuldigen.[10]
Dies aber ist der beunruhigende Befund: Der neue Totalitarismus leitet seine Legitimation von einem göttlichen Auftrag her. Er verfügt mit seiner Koranauslegung über ein kohärentes ideologisches Konzept. Er besitzt mit seiner aufs Jenseits gerichteten Kampfstrategie eine furchteinflößende Waffe. Und er wird von den Wortführern des Islam nur halbherzig kritisiert. Was heißt das für die deutsche Situation?
Rassismus und Paternalismus gegen Muslime
Auch in Deutschland kommt es darauf an, zwischen den Muslimen und dem Koran zu unterscheiden. Die Mehrzahl der Muslime geht hierzulande mit dem Glauben pragmatisch um: So wie Christen höchstens einmal im Jahr in die Kirche gehen, besuchen sie vielleicht einmal, höchstens zweimal im Jahr die Moschee. Doch auch in Pakistan oder Indonesien gilt das Leben als wichtiger als die Doktrin. Obwohl der Koran die Frauen degradiert, wählten die Bevölkerungen beider Länder als Regierungschefin eine Frau.
Deshalb ist der neu entfachte Straßenprotest gegen muslimische Einwanderer wie auch das Wort von den „grundverschiedenen Kulturkreisen“ rassistisch. Wer, wie die Pegida-Kampagne Islamismus und Islam grob verrührt, vermittelt den Eindruck, als hätten allein die ISIS-Terroristen mit ihrer Koranauslegung recht, während in Wirklichkeit eine moderne Koranauslegungen oder der erwähnte Pragmatismus gang und gebe sind.
Gleichzeitig ist die Behauptung von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des mit den Muslimbrüdern verbandelten „Zentralrats der Muslime in Deutschland“ absurd. Mazyek behauptet, ISIS hätte mit dem Islam oder dem Koran nichts zu tun. Er trifft sich hier mit der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die im Namen ihrer Partei erklärt, dass jeder, der ISIS als „islamisch“ oder „radikal-islamisch“ darstelle, die Muslime in Deutschland beleidige.[11]
So werden Muslime infantilisiert: Man stempelt sie zum schutzbedürftigen Kollektiv und spricht ihnen den Willen und die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung ab. Gleichzeitig wird die Chance, die ISIS für eine Neubestimmung der Rolle der Religion bietet, verspielt. Anderswo wird diese genutzt.
In der arabischen Welt hat ISIS das Fass zum Überlaufen gebracht
Stellvertretend für einen neuen Trend in der arabischen Welt steht der Brief, den kürzlich ein Marokkaner namens Rachid an Barack Obama schrieb:
„Lieber Herr Präsident, ich muss Ihnen sagen, dass Sie bei ISIS falsch liegen. Sie sagten, ISIS spreche für keine Religion. Ich bin ein ehemaliger Muslim. Mein Vater ist ein Imam. Ich habe 20 Jahre lang den Islam studiert. Ich kann Ihnen nur versichern, dass ISIS für den Islam spricht. … Dessen 10.000 Mitglieder sind alle Moslems. … Sie kommen aus verschiedenen Ländern, haben aber einen gemeinsamen Nenner: Den Islam. Sie folgen dem islamischen Propheten Mohammed bis auf jedes Detail.“[12] Fortsetzung folgt.
Anmerkungen:
9] „Diese Gewalt wird gepredigt“. Ein Gespräch mit dem türkischen Islamwissenschaftler Ednan Aslan, in: „Zeit“, 17. Dezember 2014, S. 58.
[10] Raymond Ibrahim, ,Muslim Reformers‘. Forever Talking the Talk, never Walking the Walk, in: FrontPage Magazine, December 16, 2014. Auf: http://www.frontpagemag.com/2014/raymond-ibrahim/muslim-reformers-forever-talking-the-talk-never-walking-the-walk-1/
[11] Siehe auf http://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/muslime-untaten-haben-mit-islam-nichts-zu-tun-89131/ sowie http://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/fahimi-is-nicht-islamisch-89351/ .
[12] Thomas L. Friedman, How ISIS Drives Muslims From Islam, in: New York Times, 6. Dezember 2014. Auf: http://www.nytimes.com/2014/12/07/opinion/sunday/thomas-l-friedman-how-isis-drives-muslims-from-islam.html